Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)13
Hochhausbau

München: Eine Stadt sucht nach ihrer Bestimmung Tossehof in Gelsenkirchen: Teure Korrektur eines Irrwegs der 1960er Duisburg: Wohnen im Hochhaus? Essen: Entwicklungskonzept statt Hochhaus-„Wildwuchs“! Elbtower: Gigantismus à la SPD Kommunales Thema: Sozial wohnen

Essen: Entwicklungskonzept statt Hochhaus-„Wildwuchs“!

Wolfgang Freye, Essen

Arsatec will in Essen ein Wohnhochhaus bauen – nötig wäre eine Diskussion in der Stadtgesellschaft. Überrascht hat die Firma Arsatec vor kurzem die Öffentlichkeit in Essen mit der Ankündigung, am Rande der Innenstadt ein Wohnhochhaus bauen zu wollen. Ein dafür geeignetes Grundstück in der Nähe des Hauptbahnhofs gehört dem Projektentwickler bereits. Er würde den „High Square Essen“ allerdings lieber auf einem nicht weit entfernten städtischen Grundstück bauen, das direkt neben einem bereits 1963 eröffneten Hochhaus liegt. Eine öffentliche Debatte hat bisher nicht wirklich stattgefunden, die Stadtspitze und die schwarz-grüne Ratsmehrheit haben jedoch Sympathie für die Pläne erkennen lassen.

Investorenorientiertes Bauen oder öffentliche Planung?

Arsatec ist mit dem Projekt zum jetzigen Zeitpunkt anscheinend in die Öffentlichkeit gegangen, um sich in den Entscheidungsgremien Mehrheiten zu sichern, bevor die Planung weiter vorangetrieben wird. Das ist nötig, denn ohne einen neuen Bebauungsplan für die in Frage stehenden Grundstücke ist ein Hochhausbau an keiner der beiden Stellen möglich. Dass die Stadtspitze und vor allem die CDU bereits ihre Sympathie für das Projekt erklärten, macht deutlich, dass es hinter den Kulissen bereits einige Kontakte gab. Der Geschäftsführer der Firma Arsatec ist in Essen gut vernetzt.

Kritisch geäußert hat sich öffentlich neben einigen Leserbriefen in der Lokalpresse bisher nur die Ratsfraktion Die Linke. Dabei ging es nicht so sehr um eine prinzipielle Kritik am Bau von Hochhäusern – hierzu gibt es unterschiedliche Meinungen – sondern vor allem um zwei Punkte: Erstens macht es aus ihrer Sicht keinen Sinn, eine so weitreichende planerische Entscheidung ohne ein stadtplanerisches Konzept für die Entwicklung der Innenstadt zu treffen. Ein solches Konzept gibt es aber nicht. Zweitens geht es bei dem Projekt ausschließlich um hochpreisige Eigentumswohnungen. In Essen fehlt jedoch nach dem von der Stadt selbst in Auftrag gegebenen Wohnungsmarktbericht vor allem preisgünstiger geförderter Wohnraum.

„Gerade freistehende Hochhäuser als ‚Solitäre‘ sind stadtbildprägend,“ heißt es in einer Presseerklärung der linken Ratsfraktion. „Wir halten es nicht für sinnvoll, eine Entscheidung über den Bau eines weiteren Hochhauses in der Innenstadt ohne stadtplanerisches Konzept mal so eben als Einzelentscheidung zu treffen. Die Essener Planungspolitik sollte sich nicht darauf beschränken, Investorenwünsche zu erfüllen. Andere Städte wie Duisburg haben in den letzten Jahren zusammen mit namhaften Architekten Entwicklungskonzepte erarbeitet.“

Der Vorwurf, dass die Essener Planungspolitik investorenorientiert ist und nicht auf einer breiteren Meinungsbildung der Stadtgesellschaft fußt, wird durchaus auch von anderen Kräften, z.B. Initiativen gegen bestimmte Bebauungen getragen. Gerade im Bau ist ein zweites Wohnhochhaus von knapp 60 Meter Höhe, direkt gegenüber der Oper und der Philharmonie, das von den Anwohner*innen bis zuletzt abgelehnt wurde. Es verschattet die viel niedrigeren Gebäude in der Nachbarschaft und wird die Sichtachsen der Huyssenalle stark verändern, zuungunsten von Oper und Philharmonie. Auch hier hat die Verwaltung, damals gestützt auf die Mehrheit einer großen Koalition, einen objektbezogenen Bebauungsplan des Investors umstandslos mitgetragen und umgesetzt.

Geplatzte Hochhausträume gibt es auch in Essen

Essen ist eine der bundesdeutschen Städte, die durchaus einige Hochhäuser haben und lange den Wunsch nach mehr hatten. Der Wunsch ging ursprünglich von Konzernen aus. Das Signal-Iduna-Hochhaus, das Postscheckamt, das alte Thyssen-Hochhaus, Ruhrgas, der RWE-Turm, die RAG-Zentrale usw. sind einige Beispiele. Auch das 1979 eröffnete Essener Rathaus ist ein Hochhaus. Es ist 110 m hoch und dem RWE-Konzern war es wichtig, später ein paar Meter höher zu bauen. Stadtplanerisch fand der Wunsch nach einer Hochhausarchitektur – abgesehen von Einzelentscheidungen für spätere Bebauungspläne – zuletzt seinen Ausdruck im Masterplan Krupp-Gürtel, der 2001 beschlossen wurde und das riesige Gelände der jahrzehntelang brachliegenden Flächen der früheren Krupp-Werke überplante. Dieser Masterplan sah eine „Perlenkette“ von Hochhäusern von der Essener Innenstadt in den Essener Westen, den Krupp-Gürtel vor.

Der Masterplan blieb in diesem Punkt jedoch Makulatur – sowohl das Finanzamt Essen-Süd, das als erstes einen Neubau im Krupp-Gürtel erhielt, als auch die neue Thyssen-Krupp-Zentrale selbst, die 2008 gebaut wurde, sind keine Hochhäuser. Mehrere Konzernzentralen wie das Thyssen-Hochhaus oder die Verwaltung der früheren Krupp-Widia-Werke wurden schon vor Jahren abgerissen. Selbst der RWE-Turm wurde von RWE inzwischen leer gezogen und bietet nur noch zu mietenden Büroraum. Die Konzerne haben sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt und wollen ihre in den Hochhäusern manifestierten Führungsansprüche so gar nicht mehr in Szene setzen.

Statt daraus nun planerisch Konsequenzen zu ziehen, wird die alte Hochhausbauphilosophie von der Stadtspitze und großen Teilen der Politik einfach weiterverfolgt – wenn nicht anders möglich, eben in Form von Wohnhochhäusern. Dabei geht es nicht mehr um die Wohnhochhäuser der 60er und 70er Jahre, von denen es auch in Essen einige Beispiele gibt, die heute eher den Ruf von sozialen Brennpunkten haben. Es geht um exklusives Wohnen für die oberen 10 000 der Stadt. Dabei ist selbst das Argument, es ginge um platzsparendes, verdichtetes Bauen, angesichts der im Baugesetzbuch vorgeschriebenen Abstände fraglich. Und aus dem RWE-Turm zog der Konzern übrigens ausdrücklich auch deshalb aus, weil sich der Bau als unwirtschaftlich entpuppte.

Fällig ist in Essen seit längerem eine breitere Diskussion über die Entwicklung der Stadt und vor allem des Innenstadtbereiches. Eine solche Diskussion ist die Voraussetzung dafür, die Stadtentwicklung nicht Investoren zu überlassen, die mit vielleicht profitträchtigen, aber kurzlebigen Ideen Entwicklungen auch für viele Jahrzehnte blockieren können. Für diese Diskussion sollten sich Verbündete zusammentun, um den nötigen politischen Druck aufzubauen.

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Luxus-Wohnen im „Wolkenkratzer“

Arsatec ist ein Immobilienprojektentwickler, der sich im Internet damit rühmt, bereits 1.200 Projekte vor allem im mittleren Ruhrgebiet umgesetzt zu haben – von der Architekten-Planung bis zur Bauausführung und Vermarktung. Bei den bisherigen Wohnungsbau-Projekten handelt es sich meist um hochwertige bis luxuriöse Unterkünfte. Das gilt auch für den „High Square Essen“, in dem rund 100 Eigentumswohnungen mit Größen zwischen 80 und 110 qm sowie mehrere exklusive Penthouse-Etagen mit 230 qm (!) entstehen sollen. „High Square“ heißt das Projekt offensichtlich, weil es im Hochhaus neben mehreren Parketagen in den unteren Stockwerken drei offene Grün-Etagen geben soll – natürlich auch exklusiv für die Bewohner. Mit 135 m Höhe wäre der „High Square“ das höchste Hochhaus Essens – knapp über dem RWE-Turm, der als Konzernzentrale gebaut wurde und ohne Antenne 127 m misst. Das Hochhaus soll 36 Stockwerke haben. Der „City-Tower“ neben der von Arsatec bevorzugten Lage, das frühere Signal-Iduna-Hochhaus der gleichnamigen Versicherung, ist demgegenüber klein: Er misst 57 m und hat 15 Stockwerke.