Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)18
EU-Politik

Menschenrechte in internationalen Wirtschaftsbeziehungen

01 Was verlangt der UK Modern Slavery Act von Unternehmen?

Eva Detscher Karlsruhe / Rolf Gehring, Brüssel / Rüdiger Lötzer, Berlin

Nach der Ankündigung im April 2020 durch den verantwortlichen Kommissar Didier Reinders, die EU-Kommission wolle 2021 einen Legislativvorschlag vorlegen zur Verantwortung von Unternehmen, Menschenrechte, Sozialstandards und Umweltstandards in der Lieferkette einzuhalten, folgte im Oktober der Start einer öffentlichen Konsultation zu den Zielen, dem inhaltlichen Umfang und den rechtlichen Optionen eines solchen Vorschlages. Die Konsultation endete am 8. Februar 2021.

Die Konsultation der Kommission erfolgte aufgrund einer Empfehlung des Europäischen Parlaments (EP) zur Verantwortung der Unternehmen in der Lieferkette. Ein erster Entwurf für eine EU-Richtlinie will die EU-Kommission im zweiten Quartal 2021 vorlegen. Das Parlament schlägt vor, die Sorgfaltspflicht der Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte entsprechend den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) zu etablieren, möchte aber auch eine Erweiterung der Verantwortung auf Umweltstandards und Standards zur Unternehmensführung. Eine lebhafte Debatte hat eingesetzt, in der auch der Europäische Rat am 1.12.2020 Schlussfolgerungen vorlegte, in denen die Kommission aufgefordert wurde, 2021 einen Aktionsplan und Rechtsrahmen für nachhaltige Unternehmensführung vorzulegen, einschließlich branchenübergreifender Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten zu Arbeitnehmerrechten und Umweltstandards. Wie weit die konkrete Verantwortung der Unternehmen in einem solchen Rechtsrahmen definiert wird, welche Sanktionen vorgesehen und welche Instrumente zur Umsetzung aufgebaut werden, ist umstritten und offen. Vor allem der Europäische Gewerkschaftsbund hat detaillierte Vorschläge zur Ausgestaltung einer Richtlinie vorgelegt.

Globale Menschenrechtsverletzungen und globale Reaktionen

Hintergrund sind die andauernden Menschenrechtsverletzungen, Katastrophen an Arbeitsplätzen, Sklaven- und Kinderarbeit oder Umweltkatastrophen wie der Fabrikbrand mit über tausend Toten in Bangladesch, die Unterdrückung von Gewerkschaftsrechten in weiten Teilen der Erde, Kolonnenarbeit unter gruseligen Bedingungen bei Werften wie der deutschen Meyer-Werft, in Schlachthöfen, immer wieder bekannt werdende Fälle von Schwarzarbeit im Bau, sklavenartige Arbeitsbedingungen für aus Afrika stammende Arbeitskräfte in südspanischen Gemüse- und Obstplantagen, auf den Feldern Siziliens und Süditaliens, Kobalt-Lieferungen aus dem Kongo für Komponenten immer neuer Handys, das Abwracken von Schiffen an offenen Stränden unter Außerachtlassung jeglicher Schutzstandards, die jetzt von einem niederländischen Gericht verurteilte Umweltverschmutzung des Shell-Konzerns in Nigeria etc. pp.

Die Initiativen der EU-Institutionen sind Reaktion auf die wachsende Kritik solch menschenunwürdiger Bedingungen. Solche Arbeitsbedingungen und Ausbeutungsformen werden inzwischen weltweit wahrgenommen und kritisiert, meist verbunden mit der Forderung nach Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen. Organisationen wie die Shipbuilding Plattform sind entstanden, christliche Netzwerke haben hier ihren Platz, und auch im EP finden sich Koalitionen über Parteigrenzen hinweg. Sie decken Skandale auf und werden tätig.

Handlungs- und Rechtsebenen

Es bedarf global wirkender Lösungen, darüber sind sich viele einig. Auch die deutsche Diskussion zu einem nationalen Lieferkettengesetz speist sich aus dieser Empörung. Eine zunehmend verknüpfte Weltwirtschaft, nicht nur in Fertigungsbereichen wie Elektro, Fahrzeuge, Schifffahrt, Textilien usw., auch in Informationssektoren wie dem Internet hat solche Verhältnisse sichtbarer gemacht und so auch Bedingungen und Möglichkeiten für die Durchsetzung von notwendigen Schutz- und Rechtsnormen geschaffen. Als Empfehlung niedergelegt sind diese u.a. in den Allgemeinen Menschenrechten, den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation, den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und im OECD-Handlungsleitfaden. Andere Regelungsebenen stehen nicht so in der Debatte, bieten aber weitere Ansatzpunkte.

Beispiel Fairer Handel: Nicht nur im Agrarbereich, auch bei Textilien, im Fahrzeugbau, in der Elektro- und Elektronikindustrie werden Komponenten heute weltweit geordert, oft über Plattformen, um binnen exakt vorgegebener Fristen und Konditionen „just in time“ in die Fabriken zur Montage oder direkt in Warenhäuser zum Verkauf geliefert zu werden. Die technischen Bedingungen für die Kontrolle dieser Produkte und ihrer Wege sind also längst da. Für immer mehr Produktgruppen entwickeln sich so Strukturen, die auch für einen fairen Handel genutzt werden können.

Beispiel Zertifizierungssysteme: Diese ermöglichen Kriterien und Standards für die Produktion von einzelnen Gütern. In der Forstwirtschafte z.B. gibt es zwei Zertifizierungssysteme, die wesentlich für eine nachhaltige Forstwirtschaft entwickelt wurden. Nach und nach haben beide Systeme dann auch soziale Standards als Kriterien für Zertifizierung eingeführt. Eines der beiden Systeme, FSC (Forest Stewardship Council), hat nun nach auch für die Produktkette ein Zertifizierungssystem entwickelt und plant, die ILO-Kernarbeitsnormen als Kriterium aufzunehmen.

Beispiel Internationale Rahmenvereinbarungen: Seit Mitte der 90er Jahre haben Gewerkschaften in unterschiedlichen Sektoren begonnen, „Internationale Rahmenvereinbarungen“ mit Konzernen abzuschließen, die der weltweiten Durchsetzung von sozialen Mindestnormen (ILO-Kernarbeitsnormen) und dem Aufbau von Dialogstrukturen dienen. Dazu passen die Bestrebungen der Gewerkschaften, die Tarifverträge mehr für lebensweltliche Ansprüche (Weiterbildung, Work-Life-Balance, Gesundheit) zu öffnen. So soll die materiell und rechtlich abgesicherte unternehmerische Verfügungsgewalt auf der Basis von Menschen-, Arbeitnehmer- und sozialen Rechten und Ansprüchen begrenzt werden.

Hier taucht eine Grundsatzfrage zur Globalisierung auf. Lässt sie sich „gestalten“? Lassen sich Regeln, Normen, Zwangsverfahren errichten, die international eingehalten werden müssen, oder bleibt nur die (romantische oder nationalistische) Forderung nach einem Rückzug aus der Globalisierung? Aber diese Frage ist längst entschieden: ein „Roll back“ der Globalisierung würde in der Folge zu einer Zunahme von weltweiten Spannungen und weltweiter Armut führen. Trump oder trumpistische (sprich: nationalistische) Lösungen oder vermeintlich defensive Abwehr führen nur zu neuen Konflikten, lösen keine der bestehenden Aufgaben. Es bleibt nur der Weg über gestalterische Lösungen.

Gewerkschaftliche Positionsbildung

Der EGB hat dazu bereits 2019 Positionen zu einer möglichen EU-Richtlinie verabschiedet. Im Folgenden werden sie stichpunktartig beschrieben.

– Arbeitnehmerbeteiligung bei der Ausformulierung der Unternehmensprogramme und ihrer Evaluierung: Kollektiv- und Individualrechte, namentlich für Gewerkschaften, Beschäftigte und Beschäftigtenvertretungen (auch Europäische Betriebsräte), ihre Beteiligung bei der Definition der Unternehmensprozesse, bei ihrer Umsetzung und Evaluierung; gleiche Rechte für Gewerkschaften und Interessenvertretungen in den Betrieben entlang der Wertschöpfungskette bzw. bei Unterauftragnehmern; ausreichende Ressourcen für die Gewerkschaften.

– Materielle Arbeitnehmerrechte auf Basis der UNO-Menschrechtsdeklaration, der europäischen Sozialcharta und der EU-Charta der Grundrechte unter Sicherung sozialer Rechte, Berücksichtigung von Umweltfragen und Arbeitnehmerrechten im engeren Sinne; Geltungsbereich alle Unternehmen, nicht nur die großen, einschließlich öffentlicher Einrichtungen.

– Veröffentlichung eines Aktionsplans durch die Unternehmen; Frühwarnsystem bei Verstößen gegen Standards; öffentlich einsehbare regelmäßige Jahresberichte; Definition von Prinzipien für nachhaltiges und verantwortungsvolles Handeln des Unternehmens.

– Öffentliches Monitoring von Gewerbeaufsicht oder Präventionseinrichtungen; Koordination durch die Europäische Arbeitsagentur; Klagerecht für einzelne Beschäftigte, Gewerkschaften, aber auch Dritte (z.B. Umweltverbänden); Zugang zu den Rechtssystemen der Staaten, in denen das Unternehmen ansässig ist, (also die EU-Mitgliedsstaaten; erwähnenswert: in Frankreich ist dieser Zugang bereits seit 2017 gesetzlich geregelt); Sanktionen wie Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, von öffentlicher Förderung; umsatzabhängige Strafen.

– Die unternehmerischen Sorgfaltspflichten und die ILO-Kernarbeitsnormen sollen Inhalt aller künftigen internationalen Handelsverträge sein, verbunden mit den oben beschriebenen Klagerechten gegen Unternehmen. Das wird schon seit Jahrzehnten von Gewerkschaften und anderen zivilen Organisationen gefordert und wäre ein gewaltiger Fortschritt.

Die Arbeitgeberlobby hierzulande blockiert bisher jeden Fortschritt. Ihre Ausrede: Prinzipiell seien sie dafür, aber jedes deutsche Gesetz würde zu Wettbewerbsnachteilen führen, wobei aktuell dann gerne China als Hauptprofiteur genannt wird.

Andere Länder sind da weiter. In Großbritannien gilt seit 2015 ein „Modern Slavery Act“, ein „Gesetz gegen moderne Sklaverei“, beschlossen unter der Tory-Premierministerin Theresa May.

In Frankreich gilt ein ähnliches Gesetz seit 2017, beschlossen unter dem Sozialisten Hollande.

In Portugal gibt es gesetzliche Schranken und Strafen bei Kinderarbeit in Lieferketten. Fakten, die von den Arbeitgeberverbänden und ihren Lobbyisten hierzulande penetrant verschwiegen werden.

Zeichnet sich nun eine Lösung ab? Mit Spannung wird in der EU auf den Entwurf der Kommission gewartet.

Quellen • ETUC Position for a European directive on mandatory Human Rights due diligence and responsible business conduct • Ratsbeschluss vom 1. Dezember 2020: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13512-2020-INIT/de/pdf • EP Anforderungen an ein Gesetz zur Sorgfaltspflicht der Unternehmen in der Lieferkette: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20210122IPR96215/lieferketten-unternehmen-fur-schaden-an-mensch-und-umwelt-verantwortlich

01

Was verlangt der UK Modern Slavery Act von Unternehmen?

Rüdiger Lötzer, Berlin

„1. Für alle Unternehmen … eine jährliche Berichterstattung über Organisationsstruktur, Art des Geschäfts und der Lieferkette;

2. Unternehmenspolitik zur Verhinderung von Sklaverei und Menschenhandel;

3. Due-Diligence-Prozess in Bezug auf Menschenrechte im eigenen Unternehmen und in den Wertschöpfungsketten;

4. Identifizierung von Teilen des Unternehmens und der Geschäftsprozesse, bei denen Risiken vorhanden sind; Schritte zur deren Verringerung …

Der Bericht muss vom Vorstand … verabschiedet werden und prominent auf der Webseite des Unternehmens veröffentlicht werden.“

Diese Pflichten gelten für alle Unternehmen, die eine Niederlassung oder Beteiligung in Großbritannien haben und weltweit mehr als 36 Millionen Pfund (ca. 46 Millionen Euro) im Jahr umsetzen. In der hier zitierten Broschüre wird darauf hingewiesen, dass laut ILO aktuell weltweit etwa 21 Millionen Menschen Opfer von Zwangsarbeit oder sklavenähnlichen Zuständen sind, „laut ILO ca. 880 000 Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen“ allein in Europa.

Quelle: „Was bedeutet der Modern Slavery Act für Ihr Unternehmen?“. Hrsg. Löning, Human Rights & Responsible Business, Berlin. (Gründer dieses Beratungsbüros ist der frühere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning).

Letzte Infos zur Groko-Einigung: Weicher geht’s nicht!

Ab 2023 müssen Unternehmen auch bei ihren unmittelbaren Zulieferern auf die Einhaltung der Menschenrechte achten. Die Bundesregierung hat sich … auf ein Lieferkettengesetz … verständigt. Allerdings bleibt der Kompromiss deutlich hinter den ursprünglichen Plänen zurück.

Nach Informationen des „Handelsblatts“ aus Koalitionskreisen soll das Gesetz noch vor der Bundestagswahl verabschiedet werden, aber erst Anfang 2023 in Kraft treten. Die ursprünglich geplanten strengen Haftungsregeln wurden entschärft. Auch soll das Gesetz zunächst nur für etwa 600 deutsche Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern gelten. Erst in einer zweiten Stufe – ab 2024 – soll es dann auch in kleineren Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten greifen. (Handelsblatt, 12.2.21)

2013 veröffentlichten Michael von Hauff und Katja Claus „Fair Trade“ (UVT Verlagsgesellschaft Konstanz und München), 2017 kam die dritte Auflage.

Der Anteil des fairen Handels nimmt beständig zu, das Buch liefert gut recherchierte Fakten, unterstützt von anschaulichen Tabellen und Grafiken. Auf der Sommerschule der ArGe bei der Linken: „Konkrete Demokratie – Soziale Befreiung“ wurde das Buch in Auszügen gelesen und diskutiert. Im ArGe-“Rundschreiben Nr. 14“ vom Oktober 2015 wird „Fair Trade“ ausführlich von Martin Fochler besprochen – empfehlenswert für einschlägig Interessierte. Nachzulesen ist diese Besprechung auf der Internetseite des Vereins für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation unter der Rubrik „Jahrgänge“, dann „Linke-ArGe Archiv“. https://www.linkekritik.de/index.php?id=3636

Abb.: Cover