Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)20
Rechte Provokationen – demokratische Antworten

Maßnahmenkatalog der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus und Rassismus

1 amadeu-antonio-stiftung. Der Maßnahmenkatalog ist ein Meilenstein – jedoch bleiben viele Ankündigungen vage

2 Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen. Plakativ, aber nicht effektiv

3 Bundesverband mobile Bertung: Wichtige Schritte, aber Gesamtstrategie fehlt

4 Deutscher Städte- und Gemeindebund begrüßt Gesamtkonzept.

5 Zentralrat der Juden … begrüßt das Maßnahmenpaket.

6 Petra Pau (Die Linke) verweist auf die Kritik von Betroffenen rassistischer Gewalt, dass der Kabinettsausschuss nur aus Menschen mit weißer Hautfarbe bestehe.

Rosemarie Steffens. Langen. Im März 2020 richtete die Bundesregierung als Antwort auf die rassistischen Anschläge und Morde den Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus ein und beschloss am 25.11.2020 ein Maßnahmenpaket. Zu diesem 98-Punkte-Katalog waren zuvor Vertretungen von Betroffenen- und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen im September angehört worden.

Als Ziele werden genannt:

Stärkeres Bewusstsein für Rassismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen schaffen sowie verbesserte staatliche Strukturen im Bereich der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus etablieren; Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden, Justiz, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Trägern sowie Verbesserung der empirischen Grundlagen;

1. Prävention gegen … alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Regelstrukturen aller gesellschaftlichen Bereiche ausbauen und stärken, auch im Netz; Weiterentwicklung der politischen Bildung und Demokratiearbeit; 2. Ausbau der Unterstützung von Betroffenen rassistischer Diskriminierung und sozialem Umfeld; wirksamer Opferschutz und Verbesserung von nachhaltigen Strukturen der Rassismusbekämpfung; 3. Anerkennung und Wertschätzung einer vielfältigen und chancengerechten Gesellschaft und Stärkung gleicher Teilhabechancen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte.“

Verschiedene Ministerien und Beauftragte der Bundesregierung sind für die Umsetzung verantwortlich. Von 2021 bis 2024 sollen über eine Milliarde Euro für die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus bereitstehen. Weitere 150 Millionen Euro will die Bundesregierung dem Haushaltsausschuss vorschlagen.

(Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Maßnahmenkatalog gegen Rechtsextremismus und Rassismus)

Die Projekte (quer über die Ressorts betrachtet und nur skizziert) bestehen aus juristischen Vorhaben wie Änderung des Verfassungsschutzrechts mit Einführung einer Rechtsgrundlage zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung für den Nachrichtendienst des Bundes oder den Aufbau einer Plattform zum Austausch von Erfahrungen, Handlungsweisen und aktueller Rechtsprechung beim disziplinarrechtlichen Vorgehen gegen extremistische Bestrebungen im öffentlichen Dienst oder auch der Einführung eines Gesetzes zur Förderung der wehrhaften Demokratie.

Viele gemeinwesenorientierte Projekte sind geplant, z.B. Stärkung der wechselseitigen Akzeptanz von (Neu-)Zugewanderten und Aufnahmegesellschaft, des interkulturellen Dialogs, der Teilhabe zum Abbau von Rassismus und Rechtspopulismus z.B. durch Auswahlverfahren im öffentlichen Dienst, um mehr Menschen mit Migrationshintergrund zu rekrutieren – die Förderung antirassistischer Bildungsprojekte, Sensibilisierung und Resilienzförderung von Kindern und Jugendlichen gegen Menschenverachtung, Forschungsprojekte wie die Erstellung und Fortschreibung eines Lageberichts zu Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden und im öffentlichen Dienst insgesamt, der Untersuchung des Polizeialltags (Seehofer-Kompromiss) sowie der Forschungsförderung im Bereich Muslimfeindlichkeit.

Einige Verbände und Organisationen haben bereits Stellungnahmen veröffentlicht:

01

Der Maßnahmenkatalog ist ein Meilenstein – jedoch bleiben viele Ankündigungen vage

„Damit werden substanzielle Verbesserungen in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus erreicht. Viele Maßnahmen … brauchen noch Präzisierung. Das Maßnahmenpaket greift zentrale Forderungen auf, die bei den Anhörungen von Zivilgesellschaft und Wissenschaft vorgetragen wurden.“

Positive Beispiele sieht die Stiftung in der Unterstützung von Gerichten und Staatsanwaltschaften bei der Strafzumessung von Hasskriminalität, Strafbarkeit von „Feindeslisten“, die explizite Benennung von Antifeminismus als Handlungsfeld, die Diversitätsstrategie des Bundes und Überlegungen zu einer rassismussensiblen Sprache.

„Die Strafverfolgung im Bereich Hasskriminalität ist seit Jahren unbefriedigend, es fehlt auch noch ein Überblick über rechtsextreme Gefährder.“ Auf offene Straftaten wie Mordaufrufe hin passiere nichts. Unzureichend im Bereich innere Sicherheit sei auch der Umgang mit Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Außerdem brauche es auch Präventionsarbeit mit Erwachsenen und Älteren, nicht nur mit Jugendlichen, „denn das sind im Wesentlichen die Menschen, die sich derzeit im Rahmen der Corona-Proteste radikalisieren“.

„Hoffnung macht, dass sich Innenministerium und Familienministerium auf einen gesetzlichen und haushälterischen Rahmen für die Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements verständigen wollen.“ Wichtig: ein gesetzlicher Rahmen, der Projekte und Träger dauerhaft absichert und würdigt.

02

Plakativ, aber nicht effektiv

„… der Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses (kann) im Hinblick auf eine wirksame und institutionell verankerte Bekämpfung von Rassismus nur als verpasste Chance der gesellschaftlichen Neugestaltung betrachtet werden. Schon vor dreißig Jahren wurde die Aufarbeitung der Geschehnisse in den 80er und 90er Jahren nicht als Anlass genommen, die jahrhundertelange Tradition des Rassismus in Deutschland ins Visier zu nehmen für einen grundlegenden gesellschaftlichen Dialog sowie angemessene Maßnahmen.“ Es sei auffällig, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes als die zentrale, gesetzlich verankerte Institution für Antidiskriminierungsstrategien in keiner Weise Erwähnung finde. Statt den Empfehlungen internationaler Menschenrechtsinstitutionen zu folgen und die ADS als Beratungszentrum gegen Rassismus auf der Bundesebene zu einer starken und unabhängigen Institution zu entwickeln, würden Parallelstrukturen in einem neuen Beratungszentrum aufgebaut.

(vgl.: https://bundeskonferenz- mo.de/aktuelles/antirassismus-agenda-2025). 25.11.20.

03

Wichtige Schritte, aber Gesamtstrategie fehlt

„Wir sehen aber vor allem Einzelmaßnahmen, keine nachhaltige Strategie über die Zuständigkeiten der Ministerien hinaus“. Bei der Umsetzung komme es darauf an, Zivilgesellschaft und Betroffene verstärkt einzubeziehen. Für die Einführung des Gesetzes zur „wehrhaften Demokratie“ sei es wichtig, Doppelstrukturen zu vermeiden und die seit 20 Jahren etablierten Strukturen der Opferberatung und Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus abzusichern, erklärt Sprecher H. Klare. Es müssten dazu auch vor allem Migrant*innenorganisationen stärker einbezogen werden, außerdem die Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts bzw. der Abgabenordnung, damit der Einsatz für die Demokratie gemeinnützig bleibe. „Unsere Fachexpertise (ist) in den Maßnahmen abgebildet und wir sind gern bereit, an der Umsetzung mitzuarbeiten.“

(BMB, 26.11.20)

04

Deutscher Städte- und Gemeindebund begrüßt Gesamtkonzept.

Bestehende Programme müssten noch besser abgestimmt, Betroffene sowie kommunale Entscheidungsträger, Arbeitgeber, Schulen, Verbände und Vereine bei der Präventionsarbeit stärker unterstützt werden. Die Einrichtung zentraler Beratungsstellen und Opferschutz-Plattformen seien wichtig für Früherkennung von Radikalisierungsprozessen, um Strategien auch für die zu entwickeln, die sich bereits in extremistischen oder terroristischen Szenen befinden. Die beste Präventionspolitik sei … umfassende und dauerhafte Unterstützung von Initiativen zur Demokratieförderung, bürgerschaftlichen Engagements und politischer Bildung und Jugendarbeit vor Ort. Der Maßnahmenkatalog müsse schnellstmöglich konkretisiert und umgesetzt werden.

(PM des DStGB, 26.11.20)

05

Maßnahmenpaket begrüßt

„Die Bundesregierung macht deutlich, dass es ihr mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ernst ist“, erklärte Zentralratspräsident J. Schuster. „Entscheidend ist jetzt die Umsetzung der angekündigten Maßnahmen.“ Der Zentralrat hob unter anderem den Jugendaustausch mit Israel hervor und die Fortbildungen zum Thema Antisemitismus im öffentlichen Dienst. „Um der immer wieder auftretenden Diskriminierung von Israelis einen Riegel vorzuschieben, sollte zudem das Merkmal der Staatsangehörigkeit in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen werden“, so der Zentralrat.

(RND, 25.11.20)

06

Petra Pau (Die Linke) verweist auf die Kritik von Betroffenen rassistischer Gewalt, dass der Kabinettsausschuss nur aus Menschen mit weißer Hautfarbe bestehe.

Sie bezweifelt im Youtube-Video „Maßnahmenkatalog Rechtsextremismus – Große Lücken, offene Fragen“, dass die erste geplante Maßnahme, die Ausweitung der Rechte des Verfassungsschutzes, wirksam zum Abbau von Rechtsterrorismus beitrage. Die personelle Aufstockung der V-Leute habe im Gegenteil bisher zu größerer Gefahr beigetragen (siehe NSU-Morde). Trotzdem solle der VS nun verschlüsselte Meldungen mitlesen dürfen – eine weitere Einschränkung der Grundrechte!

Abb.: div. Verbandslogos