Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)22
Rechte Provokationen – demokratische Antworten

Stellungnahme: Für unabhängige Kinder- und Jugendarbeit und gegen Diskreditierung des Antifaschismus

Christiane Schneider, Hamburg

Der Versuch der Sozial- und der Innenbehörde in Hamburg, die Mitarbeiter:innen und Einrichtungen der Jugendsozialarbeit und der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zur Ausforschung von „linksradikaler Ausrichtung“ bei Kindern und Jugendlichen zu instrumentalisieren, stieß auf breiten Widerspruch. Die Angesprochenen verweigerten sich, ihre Fachverbände und Organisationen erhielten viel Unterstützung für ihre kritischen Stellungnahmen. Auf der Fachkonferenz am 3.2. mit nur zehn Teilnehmenden machte die Sozial- und Innenbehörde einen Rückzieher: Es gebe keinen Handlungsbedarf. Auch das Hamburger Bündnis gegen Rechts äußerte sich mit einer von vielen Organisationen und Initiativen unterstützten Stellungnahme.

„Wie durch einen Artikel der „Taz“1 bekannt wurde, verlangt die Sozialbehörde von den Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) und der Jugendsozialarbeit Auskunft über „Erscheinungsformen von extremen Haltungen unterschiedlichster Ausrichtung“ unter den Kindern und Jugendlichen, die die Einrichtungen besuchen. Dazu hat sie Fragebogen verschickt. Bisher ging es bei ähnlichen Abfragen um Auskünfte zu „rechtspopulistischen bzw. rechtsradikalen“ Konflikten und Konfliktpotential, um solche mit „fundamentalistischer, konfrontativer islamischer Ausrichtung“ oder allgemein im Zusammenhang mit „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Neu ist, dass sich die Behörde jetzt auch für „linksradikale Ausrichtung“ von Kindern und Jugendlichen interessiert.

Für den 3. Februar hat die Sozialbehörde die Mitarbeiter:innen der Einrichtungen zu einer Online-Fachveranstaltung „Linke Militanz – Bedarfe und Möglichkeiten der OKJA“ eingeladen. Mitveranstalterin ist die Bundesfachstelle Linke Militanz aus Göttingen, die 2017, nach G20, ins Leben gerufen wurde. Auch das neue Konzept der Sozialbehörde ist Ergebnis der einseitigen Verarbeitung der G20-Auseinandersetzungen durch Senat und Bürgerschaft. Die Bürgerschaft beschloss 2018 die „Stärkung der Extremismus- und Gewaltprävention“ und forderte den Senat auf, in diesem Sinne verschiedene Maßnahmen zu einem „behördenübergreifenden Konzept“ zusammenzuführen

Behördenübergreifend heißt: Sozi-albehörde, Verfassungsschutz (VS) und Polizei mit ihren ganz unterschiedlichen und teils entgegengesetzten Aufgaben zur Bekämpfung von „Linksextremismus“ und „Militanz“ zusammenzubringen.

Das war die Stunde des VS, dessen Kompetenzen vor einem Jahr noch einmal kräftig ausgeweitet wurden: Unter anderem darf er, welch eine Fügung, jetzt auch Daten von Minderjährigen ab zwölf Jahren erheben! Der Hamburger VS ist knallharter Verfechter der „Hufeisentheorie“, die radikale Linke mit Neonazis als „Extremisten“ gleichsetzt und damit die von der Rechten ausgehende Gefahr verharmlost. Mehr noch: Sein Leiter, der CDU-Mann Torsten Voß, arbeitet an vorderster Front am Feindbild Antifa, an der Delegitimierung von linkem, gesellschaftlich lebendigem Antifaschismus. Dessen vielfältige Ausformungen stigmatisiert das Amt als „linksextremistisch“ und antidemokratisch. Hier trifft sich der Inlandsgeheimdienst dann leider auch mit der Bundesfachstelle Linke Militanz, die einerseits zwar die Hufeisentheorie und den Begriff „Extremismus“ ablehnt, andererseits zu den drei Bezugspunkten, die Linksradikalismus ausmachen würden, neben Marxismus-Leninismus und Anarchismus auch Antifaschismus nennt. Sie stützt, bei aller Distanz, damit letztlich den Kurs des Inlandgeheimdienstes und rechtskonservativer Kräfte.

In seinem Konzept zur Vorbeugung und Bekämpfung linker Militanz, das er der Bürgerschaft im Dezember 2019 vorlegte, hatte der Senat noch „ausdrücklich“ darauf hingewiesen, dass es dort ansetze, „wo Grenzen legitimen Protestes und der radikalen Meinungsäußerung überschritten werden und er in gewaltbereites, gewalttätiges und militantes Verhalten umschlägt“. Die Praxis hat das Konzept überholt.

Dieser Entwicklung stellen wir uns entgegen. Wir sind empört,

• dass unter dem Einfluss der Innenbehörde die Sozialbehörde Fragebögen verschickt, denen die fatale „Extremismustheorie“, die Gleichsetzung von Neonazis, islamistischem Fundamentalismus und linkem Radikalismus zugrunde liegt und damit die Verharmlosung extrem menschenfeindlicher Positionen. Das 2019 neu aufgelegte „Landesprogramm gegen Rechtsextremismus“, das die Gefahr für Demokratie und Zusammenleben in gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, in Ausgrenzung und Gewalt befördernden Theorien der Ungleichheit der Menschen sieht, ist damit entwertet;

• dass die Sozialbehörde mit der Fragebogenaktion die Einrichtungen der OKJA und der Jugendsozialarbeit, die nach dem Prinzip der Offenheit, Freiwilligkeit, Selbstbestimmung und Partizipation der Kinder und Jugendlichen arbeiten, für fragwürdige politische Zwecke missbraucht. Sie greift damit die Grundlagen Offener Kinder- und Jugendarbeit an, für die die Perspektiven, Wertungen und Sinnzuschreibungen der Kinder und Jugendlichen zentral sind. Sie zerstört potentiell das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen in die Einrichtungen und ihre Mitarbeiter:innen;

• dass Ausdrucksformen antifaschistischer Einstellungen abgefragt werden, die für viele junge Menschen selbstverständlich sind. Oder wie ist es zu verstehen, dass die Behörden nach Symbolen, Kommunikation, Verhalten/Auftreten, Kleidung/Erscheinungsbild von Kindern und Jugendlichen als Ausdruck „linksradikaler Ausrichtung“ fragen? So wird etwa das T-Shirt mit Antifa-Logo auf dem Bauspielplatz oder im Club zum „Konfliktpotenzial“ und potenziell zum Verdachtsfall;

• dass der Innenbehörde, namentlich dem Verfassungsschutz Einflussnahme auf das Agieren der Sozialbehörde und auf die Offene Kinder- und Jugendarbeit ermöglicht wird. Das ist nicht zuletzt auch im Zusammenhang seiner Ermächtigung zur Bespitzelung von Kindern/Jugendlichen ab 12 Jahren inakzeptabel.

Wir unterstützen den Protest und den Widerstand der Mitarbeiter:innen und Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit gegen die Fragebogenaktion.

Wir fordern, die Fragebogenaktion und ihre Auswertung unverzüglich zu stoppen. Die Prinzipien der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sind zu achten, die Rechte der Kinder und Jugendlichen umfänglich zu wahren. Jeder auch nur indirekte Einfluss der Innenbehörde und insbesondere des Landesamts für Verfassungsschutz ist zu unterbinden.“

Hamburger Bündnis gegen Rechts – Die Stellungnahme ist unterzeichnet von 55 Erstunterzeichnenden aus dem Spektrum von Parteien, sozialen, pädagogischen, migrantischen, antifaschistischen und antirassistischen Verbänden, Sport- Kultur-, Bildungs- und Jugendvereinen, von Beratungsstellen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. 1 Umstrittene Prävention in Hamburg: Sozialarbeit gegen links, taz vom 3.1.21

Abb.: Logo „Kein Platz für Nazis“