Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)23
Rechte Provokationen – demokratische Antworten

Kirchenasyl: Bundesamt lenkt ein

1 info Kirchenasyl ein frommer Rechtsbruch

Edda und Helmut Lechner, Norderstedt

Wenn ein Ausländer oder eine Ausländerin sich in Deutschland dauerhaft aufhalten will, muss er/sie bekanntermaßen eine Erlaubnis erhalten. Wer als Flüchtling gekommen ist, muss dazu einen Asylantrag stellen und ein langwieriges Asylverfahren durchlaufen. Wird er/die Betroffene abgelehnt, droht innerhalb von vier Wochen die Abschiebung. Bei der Überprüfung durch das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ (BAMF), ob ein Asylverfahren eingeleitet werden soll, geht es zunächst um die Frage, ob das Asylverfahren überhaupt in Deutschland verhandelt werden muss. Nach der europäischem Dublin III-Verordnung gilt als zuständig, wo und wann — zuerst — ein legaler oder illegaler Grenzübertritt in einem anderen Mitgliedsstaat stattgefunden hat. Ist das festgestellt, wird der Flüchtling in das entsprechende Land „überstellt“, sprich ausgewiesen und bei Weigerung zwangsweise abgeschoben.

Bei Einleitung eines Verfahrens in Deutschland werden die persönlichen und politischen Gründe für die Flucht untersucht und über einen Verbleib entschieden. Ein langwieriges Verfahren zwischen Ablehnung, Duldung, Härtefallregelung und Bleiberecht, bei dem immer wieder die Entscheidung droht, dass eine „Überstellung“ erfolgt. Nur durch aufwendige Unterstützung ehrenamtlich tätiger Menschen gibt es überhaupt die Chance, diese schwierige Lage durchzustehen und schließlich Asylrecht zu bekommen. Hierbei spielt das sogenannte „Kirchenasyl“ eine besondere Rolle. Unter bestimmten Voraussetzungen können Flüchtlinge in Räumen der Kirchen für längere Zeit vor Zugriffen von Staat und Behörden beschützt werden.

Im Jahr 2015 wurde zwischen dem Bundesamt und Vertretern der Kirchen zu diesen seit längerem praktiziertem „Kirchenasyl“ eine neue Vereinbarung getroffen. Die Kirchen sagten zu, prinzipiell keine juristischen Sonderrechte irgendwelcher Art in Anspruch nehmen zu wollen. Sie erklärten zudem, dass sie dem BAMF die betreffenden Personen im Kirchenasyl melden und in einem aussagekräftigen „Dossier“ diese Fälle erneut zur Überprüfung vorlegen werden, um damit die unzumutbare Härte des Einzelfalles zu belegen. Als Zugeständnis erklärten die Kirchen, nicht „unverhältnismäßig“ vom Kirchenasyl Gebrauch zu machen. Das Bundesamt seinerseits sagte zu, es wolle den vorgetragenen Fall erneut überprüfen. Dabei behielt das BAMF sich eine sechsmonatige Überstellungsfrist vor — die Möglichkeit der automatischen Abschiebung in ein anderes EU-Land. Erst danach ist die BRD für das Asylverfahren grundsätzlich zuständig. Um diese Frist zu überbrücken geht es maßgeblich beim Kirchenasyl.

2018 beschlossen die Innenminister der Länder und der Bundesinnenminister, diese Überstellungsfrist auf 18 Monate zu verlängern.

Das bedeutete: bei einem abgelehnten Härtefall durch das BAMF drohte jetzt 18 Monate lang unmittelbar die Abschiebung. Das hieß für die Asylsuchenden, zukünftig bis zu eineinhalb Jahren im Kirchenasyl ausharren zu müssen. Nun urteilte in 2020 das Bundesverwaltungs-Gericht, dass Menschen im Kirchenasyl nicht „als flüchtig“ zu gelten hätten und daher diese Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist im Kirchenasyl rechtswidrig sei.

Daraufhin forderte die „Evangelische Kirche in Deutschland“ (EKD) bei den Innenministern von Bund und Ländern die Rücknahme der verschärften Regelungen. „Die 2018 erfolgte einseitige Verlängerung der Überstellungsfrist ist rechtswidrig“, sagte der Bevollmächtigte des Rates der EKD in Berlin, Martin Dutzmann, dem „Evangelischen Pressedienst“ (epd). Nach Umsetzung der Beschlüsse des BAMF war die Zahl der Kirchenasyle stark zurückgegangen. Die Kirchengemeinden meldeten, dass Kirchenasyl unter diesen Umständen kaum mehr zu stemmen ist. Die vielfach ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer kämen an ihre Grenzen. Denn die Asyl gewährenden Gemeinden müssen für den gesamten Unterhalt, einschließlich der Kosten der medizinischen Versorgung, aufkommen. Insbesondere sei es aber für die Betroffenen selbst eine allzu große Belastung, solange in einem Kirchenraum auszuharren.

Nun hat am 13. Januar 2021 endlich auch das BAMF bestätigt, von dieser Verlängerungspraxis Abstand zu nehmen. „Wir nehmen diesen Schritt erleichtert zur Kenntnis. Er ist lange überfällig“, so Pastorin Jochims, die Vorsitzende der „Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.“ „Wir hoffen nun, dass er insgesamt eine Rückkehr zu einer lösungsorientierten Verständigung über humanitäre Härtefälle einleitet.“ Die BAG-Asyl fordert darüber hinaus auch eine Rücknahme bereits erfolgter Fristverlängerungen bei laufenden Kirchenasylen. Für die Menschen im Kirchenasyl bestünde nun Hoffnung, dass ihre Fluchtgründe schneller inhaltlich geprüft werden könnten. Den Kirchengemeinden, Klöstern und Ordensgemeinschaften, die Menschen in besonderen Härtefällen in den vergangenen Jahren auch unter den erschwerten Bedingungen aufgenommen haben, dankt Pastorin Jochims ausdrücklich und erinnert an die Jahreslosung für 2021: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6,36)

Die Kirchen haben sich verpflichtet, weiterhin für jeden Fall von Kirchenasyl ein sogenanntes „Härtefall-Dossier“ beim BAMF einzureichen. Stellt die Behörde daraufhin keine besondere Härte fest, müssen abgelehnte Asylbewerber das Kirchenasyl innerhalb von drei Tagen verlassen. Diese Dossiers werden mit dem Ziel eingereicht, dass das Bundesamt den Härtefall anerkennt und damit den „Selbsteintritt“ Deutschlands bewirkt, das bedeutet: die BRD selbst, nicht mehr ein anderer europäischer Staat aufgrund der dort erfolgten Erstregistrierung, ist für das Asylverfahren zuständig. So soll das Kirchenasyl verhindern, dass Betroffene in andere europäische Staaten abgeschoben werden und die Möglichkeit auf ein erneutes Asylverfahren in Deutschland eröffnet wird. Ein solcher „Selbsteintritt“ kommt dann zustande, wenn Deutschland sich schon vor Ablauf der Überstellungsfrist zuständig für einen Flüchtling erklärt, etwa, wenn deutlich wird, dass die Geflüchteten nicht in der Lage sind, im eigentlich zuständigen Land Asyl zu beantragen.

Abb.: Lampedusa. Fotografie Maria Feck. mail@MariaFeck.de. www.MariaFeck.de. Abdruck hier mit freundlicher Genehmigung.

1 info Kirchenasyl ein frommer Rechtsbruch

Das religiöse Asyl hat eine Jahrtausende alte, ehrwürdige Vergangenheit. Die christlichen Kirchen haben von Beginn an um der christlichen Beistandspflicht und der Heiligkeit des Gotteshauses willen Verfolgten Schutz geboten. Kirchenasyl beruht auf der Vorstellung, daß es eine Sphäre gibt, die von der profanen Welt getrennt und dem menschlichen Recht entzogen ist. In diesem Sinne mußte sich die staatliche Ordnung den Geboten der Religion unterwerfen.

Das widerspricht dem heutigen Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche, der die staatliche Ordnung den Religionsgemeinschaften überordnet. Der Staat fordert die Einhaltung seines — religiös-weltanschaulich neutral ausgestalteten — Rechtes. Er duldet daher keine rechtsfreien Räume, auch nicht die der Kirche. Schließlich gewährleistet der Staat selbst Schutz vor der Verfolgung durch andere, aber Schutz vor der Staatsgewalt duldet er nicht. Das heutige Kirchenasyl leitet sich daher nicht als eigenes Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 137 Abs.3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) ab, es bildet kein eigenes Rechtsinstitut. Es wird vielmehr „als Ausdruck einer christlich-humanitären Tradition respektiert“, so ein Sprecher des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ein Kirchenasyl im rechtlichen Sinne gibt es darum unter dem Grundgesetz nicht.

Wenn eine Kirchengemeinde Flüchtlingen Zuflucht gewährt, ändert dies an deren Rechtsposition nichts und hindert den Staat nicht, seinem Recht Geltung zu verschaffen. Wer aus Glaubens- oder Gewissensgründen gegen die Rechtsordnung verstößt, um Flüchtlingen zu helfen, beschreitet den Weg des zivilen Ungehorsams. Ziviler Ungehorsam kann ethisch legitim sein, wenn er Ultima ratio bleibt, offen geschieht, keinen eigennützigen Interessen dient, auf gewalttätigen Aktionismus verzichtet, und bereit ist, die rechtsstaatlichen Konsequenzen der Übertretung — bis hin zu Strafe — zu akzeptieren (John Rawls).

Vor allem das letztere ist der Prüfstein sowohl für die Rechtstreue als auch für die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung. Denn auch der ethisch vertretbare zivile Ungehorsam bleibt rechtswidrig. Er ist ein frommer Rechtsbruch.

Vgl.: „100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht“, Hrsg. H. M. Heinig und H. Munsonius, Tübingen 2012, S.94 ff