Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)32
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

Neu erschienen PDF-Download bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung:

Aktueller Antisemitismus in Deutschland – Verflechtungen, Diskurse, Befunde

01 Peter Schäfers „Kurze Geschichte des Antisemitismus“

Bruno Rocker Berlin

Unter diesem Titel ist eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Januar dieses Jahres erschienen, die wir dieser Ausgabe der Politischen Berichte beigelegt haben. Die Stiftung hatte sich angesichts der Zunahme antisemitischer Phänomene in den letzten Jahren dazu entschlossen, eine Reihe von Veröffentlichungen und Veranstaltungen zu initiieren, die sich mit Antisemitismus, dessen Analyse und Bekämpfung befassen. Anne Goldenbogen (Politikwissenschaftlerin) und Sarah Kleinmann, (empirische Kulturwissenschaftlerin) sind die Autoren der vorliegenden Studie. Es kam der Stiftung u. A. auch darauf an, jüdischen Stimmen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und jüdisches Leben in Deutschland stärker in den Fokus zu stellen.

Der Deutsche Bundestag gedachte zuletzt am Mittwoch, den 27. Januar 2021, den Jahrestag der Befreiung der Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz, der Opfer des Nationalsozialismus. Gastrednerin waren die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Dr. H. C. Charlotte Knobloch sowie die Publizistin Marina Weisband. Charlotte Knobloch, Jahrgang 1932, überlebte den Holocaust versteckt auf dem Land. Ihre Großmutter wird in Theresienstadt ermordet. Ihr Vater, durch Zwangsarbeit schwer gezeichnet, überlebt und engagiert sich nach 1945 für den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde in München. Charlotte Knobloch erinnerte an ihren Vater, einen dekorierten Soldaten des Ersten Weltkriegs, dessen Loyalität und eisernes Kreuz ihn in keiner Weise vor den Nationalsozialisten und erlittenen Demütigungen geschützt hätten.

Marina Weisband, die zweite Gedenkrednerin, sprach als Repräsentanten der Nachgeborenen, einer Generation junger Menschen, die alle ganz verschieden sind. Mehr als 90% aller jüdischen Gemeindemitglieder in Deutschland, betonte sie, entstammen inzwischen, wie sie, dem postsowjetischen Raum. Martina Weisband betonte in ihrer Rede, dass in der Gesellschaft jede Unterdrückung wie Sexismus, Rassismus und eben auch Antisemitismus davon lebt, dass sie für die Nichtbetroffenen unsichtbar ist. Die Überzeugung, dass es Menschen gibt, die in dieser Gesellschaft mehr Platz haben als andere, sei nicht ausgestorben. Auf einen weiteren wichtigen Punkt in Sachen „jüdisches Leben in Deutschland“ machte Martina Weisband in ihrer Rede aufmerksam. Sie erinnere sich noch daran, betonte sie, dass sie zusammen mit anderen jungen Menschen in ihrer Gemeinde versucht haben, einen Jüdischen Stammtisch zu gründen, der bewusst nicht in der Gemeinde stattfinden sollte. Sie wollten vor allem auch jene Studierende dorthin einladen, die mit Religion vielleicht nicht viel anfangen konnten. Als sie dann im Lokalblatt eine Anzeige dafür schalten wollten, riet Ihnen die Polizei nachdrücklich davon ab, etwas zu veröffentlichen, das Zeit und Ort enthielt. Aus Sicherheitsgründen! Deshalb sagt Martina Weisband seien sie unsichtbar, sei jüdisches Leben unsichtbar.

In der Tat ist einerseits die Unsichtbarkeit jüdischen Lebens in der Öffentlichkeit und andererseits der notwendige Schutz der Synagogen durch Polizeikräfte, noch ergänzt um Personenschutz für Repräsentanten der jüdischen Gemeinde eine schwere Belastung und großes Hindernis für die Bemühungen um Inklusion jüdischen Lebens in der Gesellschaft.

Wie die letzten Wochen und Monate in der Pandemie die sogenannten Querdenker-Demonstrationen überdies gezeigt haben, scheinen in dieser Gesellschaft nach wie vor latent vorhandene antisemitische Motive immer wieder schnell aktivierbar zu sein. Auch die dafür behaupteten Gründe sind Gegenstand der Untersuchungen in der vorliegenden Studie. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung plant weitere Veröffentlichungen zum Themenkomplex Antisemitismus.

Abb.: Darüberhinaus ist die Studie auch in einem Podcast der Rosa-Luxemburg-Stiftung vorgestellt worden durch Herausgeber und Autorinnen, erreichbar unter folgendem link: https://www.rosalux.de/manypod

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Peter Schäfers „Kurze Geschichte des Antisemitismus“

Bruno Rocker, Berlin. Peter Schäfer verweist in diesem Werk auf die Entwicklungen des Antisemitismus von der Antike bis heute. Bereits damals, in der vorchristlichen Antike, gab es ihn, den Judenhass, kam es zu Verfolgung und Vernichtung, zu Pogromen. In den Schriften des Neuen Testaments, bei Paulus sowie im Matthäus- und im Johannes-Evangelium finden sich nach Schäfer sodann die Grundlagen zur Gegnerschaft mit dem Judentum und damit auch die Grundlagen für die Verfolgung der Juden im christlichen Mittelalter. Luther wird zitiert mit Formulierungen über das „teuflische Judentum“ und Aufrufen zur Vernichtung. Die Aufklärer bescheinigten dem Judentum Unvernunft, und Mitte des 19. Jahrhunderts entstand die Rassentheorie, und der Begriff des Antisemitismus erhielt seine spezifisch rassistische Färbung. Selbst nach der NS-Zeit und seiner industriellen Vernichtungsmaschinerie war noch nicht Schluss. Seit Jahren dringen erneut antisemitische Ideologien und Verschwörungserzählungen in die Gesellschaft.

Der Verlauf von über 2000 Jahre Antisemitismus ist hier außerordentlich aufschlussreich und kenntnisreich geschildert, die Lektüre bleibt dennoch zumindest unbefriedigend. Die erzählte Geschichte des Antisemitismus über einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren verbleibt in einer nie zu Ende gehenden immer wieder neu aktivierenden Schleife, letztlich hoffnungslos.

Auch zu dem Schrei „Nie Wieder“ nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Artikel 1 im Grundgesetz der Bundesrepublik 1949 als Konsequenz hat sich der Autor nicht verhalten und sich auch nicht geäußert.

Peter Schäfer, Professor für Judaistik, hat an der Freien Universität Berlin und der Princeton University gelehrt und war bis 2019 Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. Sein Rücktritt als Direktor des Jüdischen Museums in Berlin fand unter ungewöhnlichen Umständen statt. Er hatte einen iranischen Diplomaten empfangen, sich kritisch zum Beschluss des Deutschen Bundestages geäußert, demzufolge die gegen Israel gerichtete Boykott Initiative BDS antisemitisch sei. Schäfer hatte eingewendet, dass dieser Beschluss im Kampf gegen den Antisemitismus nicht weiterhelfen würde. Schließlich, so wird kolportiert, habe der israelische Ministerpräsident Netanjahu mit einem Brief an die Bundeskanzlerin Merkel interveniert. Am Ende trat Schäfer 2019 zurück.

Abb.: Buchcover