Politische Berichte Nr. 1/2021 (PDF)32
Aus Kommunen und Ländern

Verträge organisieren den Dialog!

Online-Veranstaltung von HAFIZ, dem „Hamburger Forum für interkulturelles Zusammenleben“

Im Jahr 2013 hatte die Hamburgische Bürgerschaft mit großer Mehrheit den Staatsverträgen mit den islamischen Gemeinschaften Schura, Ditib und Vikz sowie mit der alevitischen Gemeinde zugestimmt. Der Abschluss der Verträge mit den muslimischen Verbänden und der alevitischen Gemeinde, die die rechtlichen Kriterien einer Religionsgemeinschaft erfüllten, trug in konsequenter Weise den großen Veränderungen Rechnung, die die bundesdeutsche Gesellschaft hin zu einer Einwanderungsgesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten erfahren hatte. Er trug auch Entwicklungen in den islamischen Gemeinden Rechnung, die sich auf den mühsamen Weg gemacht haben, sich aus Hinterzimmern und Garagen-Moscheen herauszuarbeiten.

Christiane Schneider, Hamburg und Karl-Helmut Lechner, Norderstedt

In den 1990er Jahren begannen in Hamburg muslimische Vereine, Strukturen zu entwickeln in der Absicht, „sich zur deutschen Gesellschaft hin (zu) öffnen … und mit der Gesellschaft auf allen Ebenen in einen Diskurs (zu) treten“. Das mündete 1999 in die Gründung der Schura, dem „Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V.“, die ihrem Anspruch nach allen islamischen Gemeinden und Vereinen in Hamburg offensteht, unabhängig von deren ethnischer Prägung und davon, ob es sich um die sunnitische oder schiitische Glaubensrichtung handelt. Eine bemerkenswerte Leistung: hat sie doch in einer Zeit, in der politische Konflikte in und zwischen islamisch geprägten Staaten im Mittleren Osten religiös aufgeladen wurden, zum religiösen Frieden in Hamburg beigetragen. Mit der Schura, auch wenn sie nur einen Teil der Muslime in Hamburg repräsentiert, wuchs eine Kraft heran, die die Vielfalt des Islam widerspiegelt und sich ihr Selbstverständnis als islamische Religionsgemeinschaft in einem säkularen, demokratisch verfassten Rechtsstaat erarbeitet.

Die Schura wurde zu einer wichtigen Ansprechpartnerin für die Freie und Hansestadt Hamburg. In die Verhandlungen um einen Staatsvertrag konnten auch Ditib (Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.) und Vikz (Verband der Islamischen Kulturzentren) eingebunden werden; alle drei Verbände erfüllten die Kriterien einer Religionsgemeinschaft und wurden gemeinsam Vertragspartner Hamburgs. Der Abschluss der Staatsverträge brachten die islamischen Gemeinschaften und die alevitische Gemeinde einer Gleichstellung mit den anderen großen Religionsgemeinschaften ein ganzes Stück näher. Diese Gleichstellung wäre allerdings erst vollzogen, wenn diese Religionsgemeinschaften auch wie die Kirchen den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ erhielten.

Inzwischen sind die GegnerInnen des Staatsvertrags mit den muslimischen Verbänden sehr viel lauter geworden — und vielfach auch in der Öffentlichkeit präsenter als zur Zeit des Abschlusses der Verträge. Das hängt mit dem Erstarken der AfD zusammen, die unter der Fahne des „Kampfs gegen die Islamisierung“ einen Kulturkampf zu entfachen versucht und die Religionsfreiheit für Muslime in Frage stellt. In diesem Sinne hat sie in den letzten Jahren in der Bürgerschaft zahlreiche Anträge gegen den Staatsvertrag eingebracht und unzählige auf Diffamierung und Delegitimierung angelegte Kleine und Große Anfragen zum Islam im Allgemeinen und dem Staatsvertrag im Besonderen gestellt. Die CDU, die den Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden seinerzeit auf den Weg brachte, hat diesen Kurs leider verlassen und stellt den Vertrag in Frage. Eine Rolle spielt auch die FDP in der Bürgerschaft: Sie erklärt den Vertrag mit den Muslimen ein ums andere Mal für „gescheitert“ oder wirft dem Senat vor, ihn mit den „Falschen“ abgeschlossen zu haben.

Über dieses Thema sprachen am 28. März 2021 in einer Online-Veranstaltung aus dem Altonaer Museum in Hamburg die Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Frau Kirsten Fehrs, Frau Usama Bint Nasir, ein Mitglied des muslimischen Familienvereins e.V.-Masjid Rahma, Frau Aydan Özoğuz als Mitglied des Deutschen Bundestages und Staatsministerin a.D., Herr Jan Pörksen, Staatsrat in der Senatskanzlei, und Herr Fatih Yildiz als Co-Vorsitzender der Schura e.V. Hamburg. Die Diskussion moderierte Herr Reiner Scholz, Journalist des „Hamburger Forum für interkulturelles Zusammenleben“ (Hafiz).

In ihren Beiträgen kämpften sie für den Erhalt und den Ausbau der Staatsverträge. Nur durch diese Verträge sei es z.B. möglich, das Hamburger Modell des „Religionsunterrichtes für alle“ (RUA) auf den Weg zu bringen: Hier gestalten die Evangelische Kirche, die Jüdische Gemeinde und islamische Religionsgemeinschaften gemeinsam den in Artikel 7 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) formulierten Anspruch auf „…Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften …“ Auch die Katholische Kirche erwägt ihre Beteiligung an der RUA. Der RUA wendet sich an alle Schülerinnen und Schüler ungeachtet ihrer jeweiligen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen.

In Hamburg wird der Religionsunterricht nicht nach Konfessionen getrennt erteilt, vielmehr lernen Kinder und Jugendliche aller religiösen und weltanschaulichen Orientierungen und Herkunft gemeinsam, worum es geht. Die Weiterentwicklung des RUA soll zukünftig ermöglichen, dass neben evangelischen Lehrkräften auch muslimische, alevitische und jüdische ReligionslehrerInnen das Fach unterrichten können. Deren Ausbildung ist wichtig und hat an der „Akademie der Weltreligionen“ der Universität Hamburg bereits begonnen.

Gemeinsam stellten die TeilnehmerInnen fest, wie wichtig es gerade in Konfliktsituationen sei, dass die jeweiligen Religionsgemeinschaften und die Behörden des Hamburgischen Staates offizielle Partner haben, die sich verpflichtet fühlen, gerade auch im Konflikt miteinander zu sprechen: „Diese Verträge organisieren den Dialog“! Denn, so die Bischöfin: „Wir tragen Verantwortung für den Frieden in der Stadt!“

Wer darüber mehr wissen möchte, sollte hier nachschauen: https://www.youtube.com/watch?v=xj2Bs-B4CnM und https://youtu.be/yXmTI5yxez4

Abb. (PDF): Demonstration im Mai 2019. Foto: Christiane Schneider