Politische Berichte Nr. 3/2021 (PDF)XX
Rechte Provokationen – Demokratische Antworten

Die identitäre Entwicklungspolitik der AfD AfD-Identität – verlogen, verächtlich, würdelos

Die identitäre Entwicklungspolitik der AfD

Das Deutsche Institut für Sprache und Sozialforschung (DISS) weist in einer Recherche zum Bereich „Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe“ der AfD die „ständig fortschreitende Radikalisierung“ der Partei nach. Untersuchungsgrundlage sind AfD-Grundsatzprogramm 2016 (GP), die Programme für Bundestagswahl 2017 (BT), für die Europawahl 2019 (EP) und programmatische Aussagen sowie parlamentarische Praxis der AfD seit 2016. Ausgehend von der (scheinbar) altruistischen Formulierung „Es liegt im deutschen Interesse, wenn Menschen in Entwicklungsländern eine Perspektive für ein menschenwürdiges Leben in ihrer Heimat erhalten …“ (GP) übernimmt die AfD im Europawahlprogramm 2019 die Forderung der in Frankreich jetzt verbotenen und in Deutschland unter Beobachtung stehenden Identitären Bewegung im Originalton: „Remigration!“

Rosemarie Steffens, Langen

Hilfe zur Selbsthilfe unter Garantie deutscher Interessen im AfD-Grundsatzprogramm

„Die Auswanderung von Menschen in wirtschaftlicher Not nach Deutschland löst die Probleme vor Ort nicht.“ Die sicherheitspolitischen und außenwirtschaftlichen Interessen Deutschlands müssten stärker als bisher berücksichtigt und „investiv und organisatorisch durch private Unternehmen vor Ort begleitet werden“. Dabei müsse die „Gewährung und Streichung von Entwicklungshilfe … zum Hebel für die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsstaaten bei der Rücknahme ihrer Staatsangehörigen werden“. Für die humanitäre Hilfe sollen Nicht-Regierungsorganisationen und die UN zuständig sein. (GP 2016)

Die prinzipielle Forderung nach Abschaffung des Asylrechts wird zwar noch begleitet durch die Möglichkeit legaler Einwanderung bei Integrations-Gegenleistung durch Eingewanderte. Aber bei Ermangelung einer gesamteuropäischen Asylpolitik werden „Sicherungsmaßnahmen an den deutschen Grenzen zur Verhinderung jeder unkontrollierten Einwanderung“ gefordert, Asylanträge sollen perspektivisch „nur noch in Schutz- und Asylzentren z. B. in Nordafrika gestellt und entschieden werden“ dürfen. (GP 59-62).

Entwicklungspolitik als Bekämpfung von Fluchtursachen – für „Null-Zuwanderung“ !

Im Bundestagswahlprogramm 2017 ist keine Rede mehr von Menschenwürde und wirtschaftlicher Not. Die Angst vor einer drohenden Destabilisierung „unseres Kontinents“ wird beschworen. Aufgrund des Wohlstandsgefälles zwischen Afrika und Europa und des enormen Bevölkerungswachstums entstehe ein „Wanderungsdruck (von ca. 950 Mio. Menschen), der Dimensionen einer Völkerwanderung“ habe.

Kurz vor der Bundestagswahl stellten die AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland und Alice Weidel ein Konzeptpapier zum „Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik“ mit dem Ansatz vor, Finanzmittel viel wirkungsvoller in anderer Weise einzusetzen als zur Alimentierung der Zuwanderer. „Statt der 1,5 Millionen Asylbewerber in Deutschland hätten in den Heimatregionen mit gleichen finanziellen Mitteln etwa 200 Millionen Menschen unterstützt werden können.“

Deutschland solle seinen Schwerpunkt auf Krisenprävention und friedliche Lösung von Konflikten verlegen, „in Abstimmung mit unseren Bündnispartnern“. Adressat seien vor allem „Staaten und nichtstaatliche Akteure, welche durch ihr Wirken Konflikte befördern oder verursachen.“ Bei der Notwendigkeit militärischer Maßnahmen solle Deutschland „von Fall zu Fall“ zeitlich begrenzt unter dem „Mandat der Vereinten Nationen“ bereitstehen, auch der begrenzte Bundeswehreinsatz wird ins Auge gefasst.

Befriedung von Krisengebieten und Ausrichtung der deutschen Entwicklungshilfe auf wohlstandssteigernde Leuchtturmprojekte sollen Migration verhindern und als Gegenleistung die Rücknahme der Flüchtlinge durch die Empfängerländer bewirken. Um diese Ziele im „deutschen Interesse“ durchzusetzen, wäre die AfD bereit, internationalen Absprachen z.B. im Rahmen der EU zuzustimmen. Für völkisch-deutschnationale Ziele würde die AfD auch gerne internationale Hilfsorganisationen wie das UN-Flüchtlingskommissariat funktionalisieren! Die Vorverlegung des Grenzregimes soll erreicht werden durch eine ausreichende Erhöhung der Mittel der UNHCR, um Geflüchteten in „Flüchtlingszentren in heimat- und kulturnahen Regionen“, also z.B. in Nordafrika, „eine sichere Aufnahmemöglichkeit“ zu bieten.

Remigration!

Mit dem Europawahlprogramm 2019 wird gegenüber der EU der Primat der nationalen Souveränität in einem „Europa der Nationen“ (so die zentrale Vision im EP) noch hervorgehoben: „Es gilt das Prinzip der Subsidiarität und der Wahrung des Eigeninteresses der Geberländer bei der Vergabe von Entwicklungshilfe.“ (EP 20) Dazu wird die Verlagerung von Kompetenzen von der EU-Ebene auf die einzelnen Nationalstaaten geplant, der EU eine bloße „Koordinierungsrolle“ zur „Vermeidung von Doppelmaßnahmen“ zugewiesen. Der Begriff „Repatriierung“ wird nun durch den identitären Begriff „Remigration“ (Massenabschiebung) ersetzt (EP 40). Der noch im BP-Programm angesprochene „angemessene Schutz für den Aufbau der eigenen Wirtschaftsentwicklung der Entwicklungsstaaten (z.B. in Form von Schutzzöllen für Industriegüter) ist im EP verschwunden.

„Die politischen Eliten und Institutionen der EU“ brächten mit ihrer Asyl- und Immigrationspolitik „die europäische Zivilisation in existenzielle Gefahr“ (EP 37). Auf dem AfD-Bundesparteitag 2021 wurde schließlich der Austritt Deutschlands aus der EU zur Forderung erhoben. „Ein totes Pferd kann man nicht ewig reiten“, so der neue Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2021 Chrupalla. (FAZ, 26.5.21).

Die AfD bekämpft internationale Regelungen für sichere, ordnungsgemäße und geregelte Migration (UN-Migrationspakt).

Im Vorfeld der Konferenz von Marrakesch im Dezember 2018, auf der 164 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen für die Annahme des UN-Migrationspakts stimmten, brachte die AfD einen Antrag im Bundestag ein unter dem Titel „Kein Beitritt zum UN-Migrationspakt durch die Bundesrepublik Deutschland“. Die AfD betrachtet in ihrem Antrag den UN-Migrationspakt als direkten „Angriff auf die nationale Souveränität der Bundesrepublik Deutschland, die demokratische Legitimation staatlichen Handelns sowie auf das Rechtsstaatsprinzip“, da sie u.a. befürchtet, dass der rechtlich nicht bindende Kooperationsrahmen des Pakts mit der Zeit einen gewohnheitsrechtlichen Charakter annehmen, sogar zwingendes Völkerrecht werden könnte, was zur Anerkennung als internationalen Menschenrechtsstandard durch Gerichte führen könne. Aus den gleichen Gründen lehnt sie die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ab.

Quelle: DISS-Sonderausgabe 3. Hrsg. von Dr. Andrea Becker und Helmut Kellershohn, Dez. 2020; FAZ v. 26.5.21, Wikipedia „Identitäre Bewegung“.

Abb. (PDF): AfD Werbeplakatr

eoff