Politische Berichte Nr. 3/2021 (PDF)21
Rechte Provokationen – Demokratische Antworten

Die identitäre Entwicklungspolitik der AfD AfD-Identität – verlogen, verächtlich, würdelos

AfD-Identität – verlogen, verächtlich, würdelos

01 Kasten: Ergänzend zu ihrem Aktionsplan fordert die AfD die Gründung einer „Deutschen Akademie für Sprache und Kultur“

Im April stellte die AfD im Bundestag den Antrag „Einen Nationalen Aktionsplan Kulturelle Identität auf den Weg bringen“ (Drucksache 19/28794, 21.04.2021). Darin wendet sie sich gegen die „Denunzierung des eigenen Herkommens und der eigenen Geschichte“ als Merkmal einer Kulturrevolution, die auf die Auflösung der deutschen kulturellen Identität ziele. Die Rede ist von Ächtung historischer Persönlichkeiten, wachsendem Gedächtnisverlust, Schuld- und Schamkultur, Zerrbild der deutschen Geschichte, „voller Fake History“ mit Blick auf die deutsche Kolonialzeit. Die AfD weiß, von wo ihr Gefahr droht. Ohne die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte und ihrer Präsenz in Straßennamen, Museen und Zivilisationsstolz wird der Kampf gegen Rassismus, Herrenmenschentum und Kulturraub unvollständig bleiben.

MICHAEL JURETZEK, BREMEN

Welche Identität der deutschen Kolonialgeschichte will die AfD als staatliche Leitkultur (Kasten) vorschreiben? Björn Höcke, Führer des „Flügels“ und der AfD-Landtagsfraktion in Thüringen, schreibt dazu: „Das Ansehen, welches die Deutschen bei unzähligen Erdenbürgern in Afrika, Amerika und Asien genießen … beruht auf einem Wohlstandsaufbau, der in der Zeit von 1850 bis 1918 aus dem Geist und der praktischen Tüchtigkeit der Deutschen erwuchs. Das bleibt den Menschen von Bagdad bis Zanzibar unvergessen.“ (Björn Höcke in „Nie zweimal in denselben Fluss“ S. Henning und Höcke; S. 191)

Weder in Bagdad noch in Sansibar werden wir Zeugen deutscher Kolonialtüchtigkeit finden: Hier gab es nicht eine deutsche Kolonie.

Gehen wir also auf die Suche nach dem Ansehen und dem Wohlstandsaufbau im tatsächlichen deutschen Kolonialreich, das mit 2,7 Mio. km² fünfmal so groß wie das Deutsche Reich 1910 und von 14 Mio. Menschen bewohnt war.

Beginnen wir mit Kiautschou (heute Qingdao, VR China), einem seit 1898 deutschen Flottenstützpunkt an der ostchinesischen Küste. Als in der Gegend antikolonialer Widerstand („Boxeraufstand“) ausbrach, schickte Kaiser Wilhelm 15 000 Soldaten mit dem Befehl nach China: „Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen!“ Feldmarschall Graf von Waldersee hatte den Oberbefehl über die Truppen von acht Kolonialmächten, von denen sich ein amerikanischer Offizier erinnerte, „dass auf einen wirklichen Boxer, der getötet wurde, fünfzehn harmlose Kulis und Landarbeiter, unter ihnen nicht wenige Frauen und Kinder, kamen, die erschlagen wurden“. Das Ergebnis dieser praktischen Tüchtigkeit waren 30 000 Tote.

Deutsch-Ostafrika. An der ostafrikanischen Küste hatte Carl Peters, der sich „die rücksichtslose und entschlossene Bereicherung des eigenen Volkes auf anderer, schwächerer Völker Unkosten“ auf die Fahne schrieb, Land „erworben“, so die tradierte Wortwahl. Dahinter steckte ein System von schnapsgetränkter Hinterlist, Betrug und roher Gewalt, dessen Ergebnis „Schutzverträge“ waren, die Reichskanzler Bismarck kommentierte: „Der Erwerb von Land ist in Ostafrika sehr leicht. Für ein paar Flinten besorgt man sich ein Papier mit einigen Negerkreuzen.“ Ausgestattet mit kaiserlichem Schutzbrief und Schutztruppen forcierte Peters 1885 den „Landerwerb“ auf ein Gebiet von fast 1 Mio. km², das heute die Staaten Tansania, Burundi und Ruanda umfasst. 1891 wurde Peters Reichskommissar. 1897 wurde er unehrenhaft entlassen. Nicht wegen seiner Auspeitschungen, Hinrichtungen oder Vernichtung ganzer Dörfer. Er hatte eine afrikanische Konkubine und damit als Kolonialbeamter die Rassenhygiene verletzt.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass der spätere Nobelpreisträger Robert Koch im Kaiserlichen Krankenhaus in Daressalam ohne Einwilligung der afrikanischen Patienten Menschenversuche mit arsenhaltigen Mitteln durchführte, nachdem das im Kaiserreich seit 1900 verboten war.

Ein verheerendes Erbe hinterließ die deutsche Kolonialherrschaft am Victoriasee, dem heutigen Ruanda. Ab 1916 wurde in den Ausweisen der mit der Kolonialverwaltung kooperierenden Volksteile die Zuweisung „Tutsi“ eingetragen und in denen der bäuerlichen Bevölkerung „Hutu“. Diese herrschaftsstabilisierende Spaltung entlud sich 1994 in einem 800000 Menschenleben kostenden Rachefeldzug von Hutu-Milizen.

Der im Kamerungeschäft tätige Hamburger Unternehmer Thormälen war überzeugt, dass der in „blödem Stumpfsinn dahin dämmernde Neger … durch nichts dem civilisierten Menschen nähergebracht werden könne, als durch ernste Arbeit“. Die Missionsschulen assistierten mit einem Programm „Erziehung zur Arbeit“. Die grausame Sterberate auf den lukrativen Kautschukplantagen in der Kolonie Kamerun kommentierte ein Journalist im Jahr 1900 „Es ist nicht zu viel gesagt, wenn behauptet wird, dass jährlich bis zu zwanzig Prozent der Arbeiter als Kulturdünger dienten“. Kolonialsprache – zu Tode geschundene Menschen verdinglicht als Kulturdünger.

Quelle: Wir Herrenmenschen, Bartholomäus Grill, bpb Band 10443

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Abb. (PDF): Der NS-Rassismus als visuelle Ideologie,. 3. Zeile: „den rassischen Instinkt des Volkes entwurzeln, die Grenzen des Blutes niederreißen helfen!“

Abb. aus: Miriam Yegane Arani: Der NS-Rassismus als visuelle Ideologie, S. 18. (cc). https://propagandaundwiderstand.de/wp-content/uploads/2019/08/m_yegane_arani_rasse_als_visuelle_ideologie_2b.pdf., S. 18, „Wanderausstellung „Entartete Kunst“ – Diffamierung moderner Kunst mit rassistischen Parolen“

Ergänzend zu ihrem Aktionsplan fordert die AfD die Gründung einer „Deutschen Akademie für Sprache und Kultur“ (Bundestags-Drucksache 19/28764, 21.4.2021). Auf Lebenszeit berufene Mitarbeiter sollen „über die Bewahrung und Pflege der deutschen Sprache und Kultur wachen“. Dieser Wächterrat soll die „zentrale Instanz“ und „Autorität bei der Bestimmung des richtigen Sprachgebrauchs“ bilden. Zur „Eindeutschung“ der „um sich greifenden Anglizismen (Benutzung englischer Wörter in Umgangssprache) dient ein Terminologie-Kommission. Sprache als lebendiges Ausdrucks- und Verständigungsmittel unterschiedlichster Lebensumstände und -entwürfe wird zum Eigentum des Staates, der die „traditionsbewusste Korrektheit“ ihres Gebrauchs bestimmt. Geschlechtergerechte, postkoloniale Sprache als eine mögliche Repräsentationsform menschlicher Bedürfnisse symbolisiert für die AfD den gefährlichen „Erosionsprozess kultureller Identität“, der zum „inneren Zerfall des Staatsvolkes“ führt. Aufsässigen Sklaven wurde die Zunge herausgeschnitten, sie wurden mundtot gemacht. Der AfD-Wächterrat würde sich in diese Tradition einreihen.