Politische Berichte Nr. 3/2021 (PDF)XX
Diskussion – Dokumentation – Termine

DOK: Der Weg in die Konfrontation ist nicht zwangsläufig

1 Wir lassen uns nicht trennen – ein offener Brief

2 Foto gemeinsame Versammlungen von jüdischen und arabischen Einwohnern Israel

3 Erklärung des UN-Sicherheitsrates

4 Anmerkung

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dok 1: Ein offener Brief jüdischer und muslimischer Initiativen 20. Mai 2021

Wir lassen uns nicht trennen – ein offener Brief

Wir als jüdische, muslimische, jüdisch-muslimische Organisationen, Initiativen und Bündnisse sowie Einrichtungen, die Räume für jüdisch-muslimische Begegnung geschaffen haben, schreiben diesen Offenen Brief, weil wir nicht hinnehmen, dass der Konflikt im Nahen Osten unser Zusammenleben und unsere politische und kulturelle Arbeit in Deutschland zerstört.

Wir haben in den letzten Jahren, unter schwierigen Bedingungen und in komplexen Prozessen, vielfältige Allianzen, Bündnisse und Netzwerke zwischen jüdischen und muslimischen Organisationen, Communities und Individuen aufgebaut, die wir gegen eine neue Welle des Hasses und der Propaganda verteidigen wollen. Denn, wann immer der Nahost-Konflikt hier ausgetragen wird, leiden auch wir darunter!

Deswegen wollen wir zwei Dinge festhalten:

1.) Wir verurteilen Antisemitismus und anti-muslimischen Rassismus

Wir verurteilen jede Art von Antisemitismus und anti-muslimischen Rassismus, sowie jede Form von Gewalt und Hass, wie etwa die jüngsten Angriffe auf Synagogen in Bonn oder in Gelsenkirchen. Wir verwahren uns dagegen, dass Jüd:innen und Muslim:innen hierzulande für die Geschehnisse im Nahen Osten verantwortlich gemacht werden, sei es durch physische Gewalt oder durch entsprechende Darstellungen in den sozialen Medien. Diese Zuschreibung ist Ausdruck von Antisemitismus und anti-muslimischem Rassismus, die Gegenwart und Zukunft unseres Miteinanders hierzulande gefährden. Genau dagegen richtet sich unsere vielfältige Arbeit seit vielen Jahren.

Jüdisch-muslimische Beziehungen sind alles andere als selbstverständlich. Wir haben viel investiert um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, um dadurch auch vor Fragen nicht zurückzuschrecken, die uns gegenseitig irritieren und befremden. Diese Fragen sind mit komplexen historischen Dynamiken verwoben, die Leid und Traumata beinhalten. Wir haben gelernt, Differenzen auszuhalten, auch wenn dies nicht immer leichtfällt. Wir haben auch viele Gemeinsamkeiten entdeckt und Ziele formuliert, wie wir als Jüd:innen und Muslim:innen in Deutschland miteinander leben wollen und können, und was wir im Zusammenleben auch von der Mehrheitsgesellschaft erwarten.

Deshalb lassen wir unsere jüdisch-muslimischen Freundschaften, Bündnisse und Allianzen weder für politische Zwecke instrumentalisieren noch auf den Nahost-Konflikt reduzieren.

2.) Es muss Raum für unterschiedliche Haltungen zum Nahost-Konflikt geben.

Der Nahost-Konflikt ist ein „Hot Button Issue“ jüdisch-muslimischer Beziehungen – dessen sind wir uns bewusst. Dass unterschiedliche Haltungen zum Nahost-Konflikt bestehen, ist nachvollziehbar. Unsere jeweiligen Perspektiven sind von unterschiedlichen Sozialisationen, Erfahrungen, Wissensbeständen und Emotionen bestimmt. Dafür muss es in einer offenen, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft Raum geben. Mit diesen Differenzen müssen und können wir leben, denn sie bestehen nicht nur zwischen Jüd:innen und Muslim:innen, sondern auch innerhalb verschiedener Gruppen. Wir stellen aber auch fest, dass der Nahost-Konflikt nicht der Regelfall jüdisch-muslimischer Beziehungen ist; er ist keine Notwendigkeit des Muslimisch- oder Jüdischseins, sondern eine spezifische Situation, zu der jede und jeder sich verantwortungsvoll verhalten kann. Wir gehen zudem davon aus, dass der Nahost-Konflikt kein zwingendes Thema jüdisch-muslimischer Beziehungen und Gespräche sein muss. Unsere Arbeit ist von einer Fülle an unterschiedlichsten Themen geprägt, das soll auch so bleiben. Wir lassen unsere Arbeit nicht auf die Nahost-Thematik reduzieren.

#wirlassenunsnichttrennen #wirstehenfüreinanderein #wirbleibenimgespräch

UnterzeichnendeOrganisationen: Jüdisch-muslimischer Stammtisch München • Prof. Dr. Bekim Agai – Direktor der AIWG • Heidelberger Bündnis für jüdisch-muslimische Beziehungen • Jüdisch-Muslimischer Gesprächskreis der W. Michael Blumenthal-Akademie des Jüdischen Museums Berlin • Ausarten – Perspektivwechsel durch Kunst • Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart • Keshet Deutschland • Bildungsstätte Anne Frank • KIgA e.V. • Heidelberger Bündnis für Jüdisch-Muslimische Beziehungen • Muslimische Akademie Heidelberg i. G. • Schalom und Salam, Kubus e.V. • Forum muslimischer Frauen in Baden-Württemberg • JSUD – Jüdische Studierendenunion Deutschland • Rat Muslimischer Studierender & Akademiker • JUMA – jung, muslimisch, aktiv • TaMaR Germany e.V. • Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk • Avicenna-Studienwerk • Karov-Qareeb – jüdisch-muslimischer Thinktank • Dialogperspektiven. Religionen und Weltanschauungen im Gespräch • Institut für Social Justice & Radical Diversity • Institut für Desintegration (IFD)

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dok 2, foto : Quelle: Facebook, Alon-Lee Green, Israel

Christiane Schneider. Auch während der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas fanden fast täglich an vielen israelischen Orten gemeinsame Versammlungen von jüdischen und arabischen Einwohnern Israels statt. Auch nach Beginn der Waffenruhe geht die Friedensbewegung vielerorts weiter auf die Straße. Allein in Tel Aviv kamen am 21.5. Tausende zusammen (Bild). Der Vorsitzende der größten arabischen Partei im israelischen Parlament forderte auf der Kundgebung die Gründung eines palästinensischen Staates neben Israel. Es gebe in der Region zwei Völker, sagte, er. Beide hätten das Recht auf Selbstbestimmung. Der israelische Schriftsteller Grossmann wandte sich dagegen, dass es um eine Auseinandersetzung zwischen Arabern und Juden handele. Es gehe um einen Konflikt zwischen den Kräften auf beiden Seiten, die in Frieden und Partnerschaft leben wollten, und denen, die sich von Hass und Gewalt leiten ließen.

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dok 3 : Presseerklärung des UN- Sicherheitsrates, 16.5.2021

(zur Waffenruhe im Gazastreifen, von allen 15 Mitgliedern gebilligt, von Ratspräsident Zhang Jun, China, herausgegeben, Übersetzung U.Jäckel mit DeepL aus: https://www.un.org/press/en/2021/sc14527.doc.htm, Press Release, SG/SM/20726)

„Die Mitglieder des Sicherheitsrates begrüßten die Ankündigung einer Waffenruhe ab dem 21. Mai und erkannten die wichtige Rolle an, die Ägypten, andere regionale Länder, die Vereinten Nationen, das Nahost-Quartett und andere internationale Partner in dieser Hinsicht gespielt haben. Der Sicherheitsrat rief dazu auf, den Waffenstillstand vollständig einzuhalten.

Die Mitglieder des Sicherheitsrates beklagten den Verlust von Menschenleben unter der Zivilbevölkerung infolge der Gewalt.

Die Mitglieder des Sicherheitsrats betonten die unmittelbare Notwendigkeit humanitärer Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung, insbesondere im Gazastreifen, und unterstützten den Aufruf des Generalsekretärs an die internationale Gemeinschaft, gemeinsam mit den Vereinten Nationen ein integriertes, robustes Unterstützungspaket für einen raschen, nachhaltigen Wiederaufbau und eine Erholung zu entwickeln.

Die Mitglieder des Sicherheitsrats betonten die Dringlichkeit der vollständigen Wiederherstellung der Ruhe und bekräftigten, wie wichtig es ist, einen umfassenden Frieden zu erreichen, der auf der Vision einer Region basiert, in der zwei demokratische Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite in Frieden mit sicheren und anerkannten Grenzen leben.“

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Anmerkung: Der Weg in die Konfrontation ist nicht zwangsläufig. Mit Israel oder Palästina kulturell verbundene Menschen wollen im Gespäch bleiben, wehren sich gemeinsam gegen Rassismus. (dok 1). Der UN-Sicherheitsrat unterstreicht – mit Zustimmung aller 15 Mitglieder – die Hilfsverpflichtung der Welt für die Not in Gaza, verweist auf die totgesagte Initiative für eine Zwei-Staaten-Konstruktion (dok 3) und bietet damit einer jüdisch-arabischen Friedensbewegung in Israel einen gewichtigen Anhaltspunkt. (dok 2).