Politische Berichte Nr.4/2021 (PDF)02b
Blick auf die Medien

Afghanistan-Intervention: Die BRD muss ihren Teil Verantwortung tragen

Martin Fochler, München. Am 11. September 2001 erschütterte der Terrorangriff auf die Vereinigten Staaten das politische Gefüge der Welt. Mit einem Schlag wurde die Verletzlichkeit der technikbasierten Gesellschaften offenbar. So hieß es in einer Erklärung der Redaktion der Politischen Berichte (Nr. 21, 13.9.2001) „Flugzeug und Hochhaus sind mehr als nur ein Symbol der modernen, globalisierten Welt. Sie sind Resultat und Mittel der Ballung von Macht und Reichtum in Zentren und der Marginalisierung der Welt. Gegen sich selbst gewendet, zeigen sie: Die moderne Welt ist auf den mitmenschlichen Konsens angewiesen. Sie kann nicht beherrscht werden. Den Staatsoberhäuptern aller Welt fällt dazu nichts ein als Drohungen. Es fallen Metaphern wie ‚Jagd‘ und ‚zur Strecke bringen‘, die Beziehungen zwischen Mensch und wildem Tier bezeichnen. Schröder versichert der USA die ‚uneingeschränkte Solidarität‘, was nichts anderes heißt als Teilnahme an Vergeltungsschlägen wohin auch immer.“ https://www.linkekritik.de/fileadmin/pb2001/pb01-19.pdf

Ziemlich bald stellt sich heraus, dass das Taliban-Regime in Afghanistan die Verwendung der Region als Basis für die Planung und logistische Absicherung der Terrororganisation Al-Qaida mindestens duldete. Der UN-Sicherheitsrat sah das Recht auf kollektive Selbstverteidigung gegeben. Die Nato stellte den Bündnisfall fest. Die BRD beteiligte sich unter der Führung der USA an Operationen in Form der Unterstützung von Bürgerkriegsparteien. Für die USA war die Zerstörung der Operationsbasis von Al-Qaida ein wesentliches Kriegsziel. Nach der unter der Regierung von Barack Obama vollzogenen Erstürmung des im Grenzgebiet Afghanistan/Pakistan gelegen Quartiers und der Tötung von Osama Bin Laden verstärkten sich die Tendenzen zum Rückzug aus dem Bürgerkrieg.

Für die Legitimation des Bundeswehreinsatzes war von Anfang an die Idee tragend gewesen, ein Paket aus Militärintervention und Entwicklungshilfe zu schnüren. Es würde sich wohl zeigen lassen, dass diese Kombination bereits in der (kurzen, aber grausamen) deutschen Kolonialgeschichte vorkommt. In Afghanistan verstrickten sich auch Soldaten der Bundeswehr bei der Demonstration von Übermacht in Kriegsverbrechen, die unter dem Namen Kollateralschaden liefen und nicht geahndet wurde. Nun ziehen die Interventionstruppen ab. Sie hinterlassen einen Bürgerkrieg, in dem sich die Kräfteverhältnisse durch ihren Abzug dramatisch verschoben haben. Zur Stunde ist unklar, ob die Taliban, die in den Landgebieten auf dem Vormarsch sind, die Städte erobern wollen bzw. können.

Sicher ist hingegen, dass die vielen Menschen, die in Afghanistan an von den Interventionsmächten geförderten Projekten beteiligt waren oder ihren Militär- und Logistikorganen sogar direkt zur Hand gingen, nicht grundlos um ihre zivile Existenz und sogar das nackte Leben fürchten müssen.

Angeblich ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee, und es ist ganz gewiss, dass es nicht die Truppe war, die auf den Einsatz drängte. Es war die Politik der parlamentarischen Mehrheit. Als am 30. Juni die letzten Bundeswehreinheiten in Wunstorf bei Hannover landeten, war der Zeitpunkt, politische Verantwortung zu übernehmen. Dabei hätte man sich nicht in Nachdenklichkeiten, Bedauern usw. ergehen können, sondern etwas zum Schicksal der sogenannten Ortskräfte sagen müssen. Zuflucht zu gewähren, steht ja in der Macht des Deutschen Bundestags, der sich dabei auf das Regelwerk der Genfer Flüchtlingskonvention stützen könnte, ja sogar müsste. – Die Flüchtenden werden kommen.

Kasten: Die Vorsitzende der Partei Die Linke, Janine Wissler, sagt zu den Regierungsplänen für einen Appell der Bundeswehr in Berlin: Es ist jetzt nicht die Zeit für Appelle. Es gilt Menschenleben zu retten. Die Bundeswehr hat ihre Soldatinnen und Soldaten sicher zurück nach Deutschland gebracht. Aber die Ortskräfte lässt man im Stich. Ich fordere die Bundesregierung auf, alle Hilfskräfte, die das wünschen, umgehend zusammen mit ihren Familien aus Afghanistan auszufliegen und nach Deutschland zu holen