Politische Berichte Nr.4/2021 (PDF)06
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Neuseeland zwischen Australien, Großbritannien, EU und China

Edda und Helmut Lechner; Norderstedt

Neuseeland will noch in diesem Jahr sowohl mit Großbritannien wie der EU Freihandelsabkommen abschließen. Aber auch seine bisherigen Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik China will es weiter ausbauen, so der Handelsminister der Pazifiknation, Damien O‘Connor. Er besteht darauf, dass Neuseeland seine Exportgeschäfte mit Peking verbessert. Bei seinem eng angrenzenden Nachbarland Australien stößt dies vehement auf Ablehnung. Dieser Kontinent hat zwar selbst ausgedehnte Handelskontakte zu China – 80% ihres produzierten Eisenerzes geht nach China –, fühlt sich aber ideologisch besonders stark an die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Geheimdienstkette der „Five Eyes“ – USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland – hingezogen. Dieser Gruppe geht es in der gegenwärtigen Konfliktsituation zwischen der asiatischen Volksrepublik und der amerikanisch-westlichen Welt vor allem um die viel zitierten Menschenrechte, Corona-Schuldzuweisungen und Vorwürfe gegen die Chinesen in Bezug ihren Umgang mit den Uiguren. Anschuldigungen, Misstrauen, Drohungen und Sanktionen: das Verhältnis zwischen Australien und China ist auf dem Tiefpunkt.

Neuseeland hat es hingegen geschafft, solche diplomatischen Streitigkeiten zu vermeiden, die die chinesisch-australischen Beziehungen seit mehr als einem Jahr belasten und Peking dazu veranlasst haben, Strafzölle auf australische Wein- und Gerstenimporte zu erheben. Der neuseeländische Handelsminister Damien O’Connor stellte klar: „Jedes Land, das Handel betreibt, sieht den Wert darin, verschiedene Märkte zu haben, besonders in einer Welt, die zunehmend durch Störungen, klimatische Veränderungen und geopolitische Ereignisse herausgefordert wird. … Und während wir über einige der auftretenden Unruhen besorgt sind, machen wir einfach weiter und bauen auf die Stärke zwischen unseren beiden Nationen.“ „Wir waren immer geradlinig in Bezug auf unsere Beziehung [mit China], was unglaublich wertvoll war“, schilderte O‘Connor, als er gefragt wurde, wie Neuseeland es geschafft habe, neutral zu bleiben. Neuseeland war das erste westliche Industrieland, das 2008 ein Freihandelsabkommen mit China unterzeichnete. Inzwischen ist China Neuseelands größter Handelspartner mit einem Exportvolumen von 19 Milliarden NZ$ (13,5 Milliarden US$) allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres. Das sind ein Viertel der gesamten Exporte. In den vergangenen vier Jahren machte China rund 23 Prozent des gesamten neuseeländischen Handels aus. Im Januar dieses Jahres stimmte es zu, den Handelspakt zu verbessern und zu erweitern. Die Volksrepublik öffnet dabei Bereiche wie Luftfahrt, Bildung und Finanzen stärker als bislang. Im Gegenzug erhöht Neuseeland beispielsweise die Visakontingente für chinesische Sprachlehrer und Reiseleiter. „Dass dies während der durch Covid-19 ausgelösten Weltwirtschaftskrise geschieht, macht es besonders wichtig“, sagte die neuseeländische Regierungschefin Jacinda Ardern. Die Unterzeichnung des Abkommens erfolgte einen Tag, nachdem Chinas Präsident Xi Jinping beim virtuellen Davoser Weltwirtschaftsgipfel zum Abbau von Hürden bei Handel, Investitionen und Technologieaustausch aufgerufen hatte.

Daneben hat Neuseeland im Stillen auch seine Bemühungen verstärkt, seine Handelsbeziehungen zu diversifizieren und die Abhängigkeit von China zu verringern. Als Teil dieses Prozesses hat sich O‘Connor im Juni nun auch in London mit Liz Truss, der britischen Handelsministerin, getroffen, um Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen (FTA) mit dem Vereinigten Königreich UK voranzutreiben. Damit würde es zu den ersten Ländern gehören, die nach dem Brexit ein Abkommen mit Great Britain aushandeln. Gerne hat Truss Neuseeland als nächstes Ziel für ein substanzielles Post-Brexit-Handelsabkommen ins Visier zu nehmen. „Aber“, so meinte ein hoher Beamter aus Whitehall, „die Neuseeländer*innen müssen uns mehr in Bezug auf Investitionen, Mobilität und Dienstleistungen geben, wenn sie ein Abkommen wollen. Bisher haben sie sich bei diesen Themen nur langsam bewegt“. O’Connor meinte dazu, dass ein neuseeländisch-britisches Abkommen wahrscheinlich ähnlich wie das ebenfalls angestrebte britisch-australische Handelsabkommen sein werde, welches ebenfalls diese Woche vereinbart wurde. „Im Umfeld nach dem Brexit ist es sinnvoller denn je, dass wir zusammenarbeiten, um diese Partnerschaft für die Zukunft auszubauen. Zollsenkungen für neuseeländische Agrarexporte wie Milchprodukte, Lamm- und Rindfleisch würden zu den Forderungen Neuseelands gehören. Er fügte hinzu, dass britische Landwirte keine Angst vor neuseeländischen Importen haben sollten. Denn die meisten seiner landwirtschaftlichen Produkte seien für Asien, die USA und andere Markte bestimmt, während das Volumen für Großbritannien und die EU gering bleibe. Was ihn aber nicht hinderte, auch nach Brüssel zu reisen, um über ein EU-Abkommen zu sprechen. Neuseeländische Produkte könnten eher eine Rolle bei der Deckung der Nachfrage außerhalb der Saison spielen, erklärte er. Analysten sehen in den Bemühungen des Handelsministers eine Hintertür, um die neuseeländische Wirtschaft im Falle eines Abbruchs der Beziehungen zu China aufzufangen, auch wenn es derzeit wenig wirtschaftliche Gründe dafür gibt, dies zu tun.

„Diversifizierung ist immer eine Frage des Schutzes vor Risiken“, erklärte Rob Scollay, Professor an der Universität von Auckland in Neuseeland. „Aber ich bin nicht sicher, ob es ohne eine Art politischen Super-GAU einen starken Grund gibt, sich von China zu entfernen.“ Zugleich bestritt Damien O‘Connor vehement, dass Neuseeland gegenüber China unkritisch und weich geworden sei. „Wir sprechen unsere Meinung aus, wenn es nötig ist, und wir bauen weiterhin die Handelsmöglichkeiten aus, die sowohl für den Lieferanten als auch für den Kunden von Wert sind.“

Quelle: https://www.ft.com/content/410b3fc8-8ed6-4977-91bf-ef64935fb017

https://www.reuters.com/article/china-neuseeland-freihandel-idDEKBN29V0QJ

https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/509145/Streit-beigelegt-China-und-Neuseeland-erweitern-ihr-Freihandelsabkommen

Abb. (PDF): Der Außenhandel Neuseelands 2019, Quelle Statistisches Bundesamt, www.destatis.de