Politische Berichte Nr.4/2021 (PDF)07
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Neue Generalsekretärin der spanischen Regierungspartei Podemos gewählt: Verhandlungsgeschick als Kernkompetenz

Gaston Kirsche; Hamburg

88,7 Prozent der Stimmen erhielt Ione Belarra mit ihrer Liste bei der Wahl der neuen Generalsekretärin von Podemos. 53 000 der 139 000 eingeschriebenen Pateimitglieder beteiligten sich an der Online-Abstimmung. Davon entfielen auf die Listen der beiden anderen Kandidaten: Fernando Barredo 3.106 Stimmen, Esteban Tettamatti 2.730 Stimmen. Das Ergebnis der Onlineabstimmung wurde am 13. Juni auf der vierten Parteiversammlung seit der Gründung von Podemos 2014 bestätigt. Die Beteiligung lag mit 38,5 Prozent aller Mitglieder niedriger als bei der letzten Abstimmung auf der dritten Parteiversammlung ein Jahr zuvor, auf welcher Pablo Iglesias als Generalsekretär bestätigt worden war. Eigentlich war nicht so schnell wieder eine Parteiversammlung geplant. Aber am 4. Mai war Pablo Iglesias überraschend von allen politischen Ämtern zurückgetreten, nachdem Podemos mit ihm als Spitzenkandidaten bei den vorgezogenen Regionalwahlen von Madrid nur auf 7 Prozent der Stimmen kam, während die andere alternative Partei Más Madrid mit 17 Prozent knapp die sozialdemokratische PSOE überholte. Más Madrid wurde 2019 von Manuela Carmena und Íñigo Errejón gegründet. Zuvor hatte Iglesias die Strömung um Íñigo Errejón aus Podemos herausgedrängt, weil diese der Listenverbindung mit Izquierda Unida, dem Wahlbündnis der Kommunistischen Partei Spaniens, ablehnend gegenüberstanden. Podemos, 2014 als alternative Partei aus der Bewegung der Indignados entstanden, ist zwar mittlerweile zusammen mit Izquierda Unida als Juniorpartner Teil der Regierung des sozialdemokratischen Premiers Pedro Sánchez, konnte aber wenig von den Forderungen durchsetzen, mit denen die Indignados 2011 angefangen hatten: Schluss mit der Sparpolitik, mehr Sozialstaat, mehr Rechte für Arbeiterinnen, für Mieter. Die trotzkistische Organisation Anticapitalistas, die Podemos mit aufgebaut hat und eine einflussreiche Strömung war, ist im Juni 2020 wegen der ihrer Ansicht nach falschen Regierungsbeteiligung und Abkehr von radikaleren linken Bewegungsforderungen geschlossen aus Podemos ausgetreten. Teresa Rodríguez, bekannteste Vertreterin der Anticapitalistas und ehemals Fraktionsvorsitzende von Podemos im Regionalparlament, zeigt durch ihre engagierte Beteiligung an sozialen Protesten in Andalusien – wie aktuell dem Kampf gegen die Schließung eines Werkes von Airbus in Puerto Real -, wie eine emanzipatorisch-rebellische Bewegungspartei agieren kann.

Podemos ist in der Krise, denn Parlamentsfraktion und die Interessen der Verwaltungsapparate der drei Ministerinnen von Unidas Podemos – Ione Belarra, Yolanda Díaz und Irene Montero – an reibungsloser Regierungsarbeit dominieren ihr Erscheinungsbild. Ione Belarra wird wenig daran ändern – sie war bereits Mitglied der letzten Parteileitung und wird als Generalsekretärin weiterhin Regierungsmitglied bleiben. Die beiden unterlegenen Kandidaten haben dagegen protestiert, dass Ione Belarra sich nicht an einer gemeinsamen Kandidierendenvorstellung beteiligen wollte. Fernando Barredo ging so weit, von einem „Kazikensystem“ bei der Amtsweitergabe zu sprechen, weil Pablo Iglesias seine Nachfolgerin mit dem inneren Führungszirkel zusammen ausgesucht habe. Ione Belarra habe sich auch gar nicht parteiintern vorgestellt, sondern qua ihrer Bekanntheit und Kontakte als Ministerin über die großen Medien.

Ione Belarra ist seit dem gemeinsamen Studium mit Irene Montero befreundet, der Ehefrau des zurückgetretenen zuvor omnipräsenten Pablo Iglesias. Seit der Gründung von Podemos 2014 gehörte sie mit zum inneren Zirkel. Während des Studiums hat sie sich an antirassistischen Kampagnen beteiligt, etwa für die Schließung der Massenunterkünfte, die sie auch zum Thema ihrer Uniarbeiten gemacht hat, und hat für das spanische Flüchtlingskommissariat gearbeitet. Bekannt wurde sie für ihr geschicktes Agieren bei den Koalitionsverhandlungen mit dem sozialdemokratischen PSOE. Die 33-jährige Ione Belarra Urteaga ist in der baskischsprachigen Stadt Alsasua im nördlichen Navarra aufgewachsen und hat bei den baskischen und katalanischen Regionalparteien erfolgreich für eine Unterstützung der Minderheitsregierung von PSOE und Unidas Podemos geworben. Bei sozialen Mobilisierungen wurde sie seltener gesehen. So wundert es auch nicht, dass sie in ihrer ersten Rede als neugewählte Generalsekretärin erklärte, das wichtigste Ziel sei jetzt, die designierte Spitzenkandidatin von Unidas Podemos, Yolanda Díaz, bei den kommenden Wahlen in zwei Jahren zur Premierministerin von Spanien zu machen. Ob sie so die als Alternative zur „politischen Kaste“ gegründete Podemos aus der Krise leitet, erscheint fraglich.

Abb. (PDF): You-Tube-Film, Rede nach der Wahl von Ione Belarra (mitte), https://podemos.info