Politische Berichte Nr.4/2021 (PDF)08
EU-Politik

„NextGenerationEU“ (NGEU): EU-Wiederaufbaufonds

Im Rahmen der EU-Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemiefolgen, vor allem der wirtschaftlichen, und im Zusammenhang mit der Transformation der europäischen Wirtschaft haben die Wirtschafts- und Finanzminister in ihrer Sitzung im Juli die ersten nationalen Aufbau- und Resilienzpläne folgender Staaten genehmigt: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Luxemburg, Österreich, Portugal. die Slowakei und Spanien. Mittlerweile sind auch von allen anderen Mitgliedsstaaten einzelstaatlichen Pläne vorgelegt und durch den Rat und die Europäische Kommission geprüft worden. Die Zahlungen aus den doch umfangreichen EU-Fonds laufen nun an. Diese Mittel sollen durch konkrete Maßnahmen helfen, die pandemiebedingten Verwerfungen im ökonomischen und sozialen Leben zu korrigieren und den Wandel hin zu einer grünen und digitalen Wirtschaft zu bewerkstelligen. Aber wie sind die dahinterliegenden Fonds der EU strukturiert, welche strategischen Ziele sollen erreicht werden? Der folgende Beitrag soll zum besseren Verständnis der Strukturen und der Verfahren zur Umsetzung dieses Programms beitragen.

Rolf Gehring, Brüssel

Der eigentliche EU-Wiederaufbauplan umfasst insgesamt 672,5 Milliarden Euro Zuschüsse und Darlehen. Ergänzt wird das Gesamtprogramm durch Mittelzuweisungen aus anderen EU-Programmen, also aus dem laufenden Haushalt (2021 bis 2027). Wichtig für das Zustandekommen des Wiederaufbaufonds war, dass der Eigenfinanzierungsbeschluss des Rates von den Mitgliedsstaaten gebilligt wurde, die Schuldenaufnahme durch die Kommission also legitimiert wurde. Insgesamt werden so 750 Milliarden Euro mobilisiert.

Programme und Zielstellungen

Die NGEU-Beträge für die einzelnen Programme wurden wie folgt festgesetzt:

• 672,5 Milliarden Euro für die Aufbau- und Resilienzfazilität; als Darlehen: 360 Milliarden Euro, als Finanzhilfen: 312,5 Milliarden Euro (Anmerkung: Fazilität ist die Kreditmöglichkeit, die bei Bedarf in Anspruch genommen werden kann).

• 47,5 Milliarden Euro für ReactEU: neue Mittel für pandemiebezogene Maßnahmen im Rahmen der Kohäsionspolitik.

• 5 Milliarden Euro für Horizon Europe: Forschungsrahmenprogramm.

• 5,6 Milliarden Euro für InvestEU: allgemeines Investitionsprogramm, das mit geringen EU-Mitteln enorme öffentliche und private Investitionen in den Mitgliedsstaaten mobilisieren soll.

• 7,5 Milliarden Euro für die Entwicklung des ländlichen Raums.

• 10 Milliarden Euro für den Fonds für einen gerechten Übergang, als Weiterbildungsinstrument konzipiert.

• 1,9 Milliarden Euro für rescEU: Zivilschutzprogramm.

Diese unterschiedlichen Elemente werden mit Geldern sowohl aus bestehenden Haushaltposten wie auch aus Krediten finanziert. Im Rahmen des Gesamtprogramms NGEU können vielfältige Themen bzw. politischen Zielstellungen sowie wirtschaftliche und politische Initiativen aufgelegt werden. Auf sechs Säulen haben sich die Europäischen Institutionen verständigt, die das Programm mit unterschiedlicher Gewichtung tragen.

• Ökologischer Wandel • Digitaler Wandel • Intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum und Beschäftigung • Sozialer und territorialer Zusammenhalt • Gesundheit und Resilienz • Maßnahmen für die nächste Generation, einschließlich Bildung und Kompetenzen

Die Verordnung zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität

Die zentrale Verordnung in diesem Zusammenhang führt aus, warum diese Schwerpunktsetzungen gewählt wurden. Sie definiert die Verwaltungsabläufe, Berechnungsgrundlagen und Finanzierungsmodalitäten. Zu beachten ist aber auch die sonstige Haushaltsplanung der EU, in der sich Posten finden, die sich nicht unerheblich mit den sechs Säulen aus dem Wiederaufbauprogramm überschneiden: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) – 226 Milliarden Euro; Kohäsionsfonds – 48 Milliarden Euro; Europäischer Sozialfonds Plus (ESF+) – 99 Milliarden Euro.

Verwaltung und Rahmenbedingungen

Die Mitgliedsstaaten mussten bis zum 30. April 2021 Pläne vorlegen, in denen die nationalen Vorhaben detailliert und bis ins Jahr 2026 ausgebreitet werden, um die Unterstützung aus der Aufbau- und Resilienzfazilität zu erhalten (siehe auch den Bericht aus Polen).

Einzuhalten waren die Vorgaben: 37 % für den Kampf gegen den Klimawandel, 20 % für die Digitalisierung. Investitionen sollten aber nicht nur in wirtschaftliche Aktivitäten und Projekte fließen, sondern auch für wirtschaftliche, soziale und politische Reformvorhaben eingesetzt werden. In ihren Plänen für einen gerechten Übergang mussten die Mitgliedstaaten angeben, welche Gebiete die Energiewende am stärksten trifft. Dorthin sollen die Mittel hauptsächlich fließen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf gering entwickelten Regionen, Randgebieten und Inseln sowie insbesondere auf den Kohlefördergebieten.

Berechnungsgrundlagen für die Mittelzuweisungen an die einzelnen Mitgliedsstaaten werden gemäß den Umverteilungsmechanismen der Kohäsionsfonds definiert. Die Folge davon ist eine echte Umverteilung. Die einzelnen Mitgliedsstaaten erhalten Summen, die, ausgedrückt als Anteil des Bruttoinlandsprodukts, zwischen 0,02 % (Luxemburg) und 2,28 % (Griechenland) variieren.

Dirigismus von oben?

Das Europäische Semester, mit dem, kurz gesagt, jährlich die Haushaltsplanungen und makroökonomische Daten der Mitgliedsländer geprüft und abgeglichen werden, erlaubt der Europäischen Kommission direkt in die struktur-, aber auch sozialpolitischen Entscheidungen einzugreifen. Sollten die makroökonomischen Kennziffern zu weit von den Vorgaben abweichen, muss der betroffene Mitgliedsstaat konkret strukturpolitische Korrekturmaßnahmen einleiten. Hierzu muss regelmäßig berichtet werden, die Kommission überprüft dann noch intensiver.

Artikel 17 führt aus, wie dies auf die Wiederaufbaufonds übertragen wird: Die länderspezifischen Prioritäten müssen im Einklang stehen mit der jüngsten Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets, außerdem mit den Informationen der Mitgliedstaaten in den nationalen Reformprogrammen zu Klima, dem gerechten Übergang, der Jugendgarantie, den Partnerschaftsvereinbarungen und den operationellen Programmen im Rahmen der Unionsfonds.

Artikel 10 gibt der Kommission die Aufgabe der Beurteilung und – gegebenenfalls – die Initiative, Zahlungen zu stoppen, wenn sie „zu dem Schluss kommt, dass ein Mitgliedstaat keine wirksamen Maßnahmen zur Korrektur seines übermäßigen Defizits ergriffen hat, es sei denn, es wurde festgestellt, dass ein schwerwiegender Wirtschaftsabschwung für die gesamte Union … vorliegt.“ Finanzielle Sanktionen können bis zu 0,1% des BIP betragen. Die Kommission plädiert allerdings dafür, dieses Verfahren vor dem Hintergrund der Pandemie nicht anzuwenden. Festgelegt wurde aber auch, dass lediglich Mitgliedsstaaten Förderung erhalten, die sich zu Rechtsstaatlichkeit und zu den Grundwerten der Europäischen Union bekennen.

Zwar ist die Kommission zuständig für die Überwachung und Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität, das Europäische Parlament kann jedoch eingreifen. Es kann die Kommission auffordern, alle zwei Monate vor den zuständigen parlamentarischen Ausschüssen zu erscheinen. So soll im Dialog geklärt werden, wie es um die Erholung der EU von der Corona-Krise steht und wie die Mitgliedstaaten bei den Zielvorgaben und Etappenzielen vorankommen.

Zur Beurteilung

Die große Unterstützung des Europaparlaments signalisiert das Bedürfnis nach Unterstützung für ökonomisch schwächere Regionen, für Angleichung der Lebensverhältnisse und für eine Koordinierung durch die EU. Diese Ziele sind bereits in den Verträgen verankert. Das Beispiel der Kohäsionsfonds zeigt, dass eine solche Praxis bereits besteht. Mit der Schuldenaufnahme und der aktuellen Debatte zu Möglichkeiten der Eigenerhebung von Einnahmen wäre ein Ausbau dieser Funktion wahrscheinlich mittelbar auch eine Stärkung des Parlaments.

Die breite Zustimmung zeigt aber auch, dass hier ein Programm vorgelegt wurde, in dem sich unterschiedlichste Vorstellungen zur Entwicklung und zur weiteren politischen und verwaltungsstrukturellen Ausgestaltung der EU finden können. Dies lässt den Mitgliedsstaaten viel Spielraum. Die starke Stellung der Kommission mag ebenfalls in diese („neoliberal“) oder jene („sozial“) Richtung interpretierbar sein.

Was nicht unterschätzt werden sollte, sind die politischen Zielstellungen der einzelnen Generaldirektionen. Sie werden für die kommenden Jahre Programme vorlegen, denen die nationalen Antragsteller in den politischen Zielsetzungen folgen müssen und die nicht immer zu den spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten passen.

Die dominierenden Schlagworte wie Digitalisierung, Klimaneutralität oder Green Deal kommen oft als Versprechen für die Zukunft daher, nehmen auf bestehende industrielle Strukturen aber wenig Rücksicht. So kommt beispielweise die Diskussion um Biodiversität völlig ohne den aktuellen Kenntnisstand zum Forstmanagement aus und tendiert dazu, allen Wald sich selbst zu überlasen.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32021R0241&from=DE; https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2021/ 659657/IPOL_IDA(2021)659657_EN.pdf https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/about_the_european_commission/eu_budget/mff_2021-2027_breakdown_current_prices.pdf – Haushalt 201 – 2027