Politische Berichte Nr.5/2021 (PDF)03
Auktuell aus Politik und Wirtschaft

Redaktionelle Anmerkung zur Dokumentation. alk, chc. Die Verhandlungen zur Bildung einer Regierung kreisen um die Frage, wie anerkannte Aufgaben, das sind pauschal die Abmilderung sozialer Härten, die Verbesserung der Daseinsvorsorge, namentlich Gesundheit und Bildung und die Reduktion des CO2-Ausstosses, gefördert werden können. Vor diesem Hintergrund bilden sich Antinomien in Sachen Steuern und Staatsverschuldung. Werden Innovationen zur Klimareduktion aus und im Bereich der Wirtschaft erwartet, wären Steuern und Verschuldung zu vermeiden. Wird dagegen davon ausgegangen, dass der Staat die Impulse setzt, muss die Möglichkeit zu Verschuldung bzw. Steuererhöhung entstehen. In dieser Verhandlungssituation sind die sozialen Belange, ein Riesenteil der Ausgaben, Verhandlungsmasse. Diese Gefahr wittert der DGB, und auf diesem Sektor steht auch eine Bewährungsprobe für die neue linke Bundestagsfraktion ins Haus.

Die Wahlen am 26. September und Folgen für die Linke: Dokumentation von ersten Stellungnahmen

1 Dok 1: Horst Kahrs, RLS: Bundestagswahl – erste Analyse und Deutungen

2 DOK 2: DGB, 6.10.: Gewerkschaftliche Kernforderungen nach der Bundestagswahl 2021

3 Dok 3: Linke, 3.10.: Zum Wahlausgang bei der Bundestagswahl 2021: Beschluss des Parteivorstands vom 3. Oktober 2021

4 Dok 4: Horst Kahrs, RLS: Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern: Der Wahlausgang – erste Analyse und Deutungen

5 Schaubilder zum Ergebnis Berlin.

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Dok 1: Horst Kahrs, RLS: Bundestagswahl – erste Analyse und Deutungen

Auszüge aus der Wahlnachtsberichterstattung von Horst Kahrs, http://www.horstkahrs.de/

Mit der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag enden sechzehn Jahre Kanzlerschaft von Angela Merkel. Sie verzichtete auf die Chance einer Wiederwahl. Zusammen mit ihrer Kanzlerschaft erreicht ein Umbruch im Parteiensystem in vorläufiges Ende: Nach der SPD kann mit der Union auch die letzte verbliebene Volkspartei alten Typs nicht mehr locker die 30%-Marke überspringen und die dominante Rolle in einer Regierung beanspruchen. Das Parteiensystem hat sich pluralisiert. Wie nach den Landtagswahlen zu erwarten hat sich mit der AfD eine antidemokratische Partei etabliert. Bis auf weiteres teilt sich das deutsche Parteiensystem in ein Lager demokratischer Parteien, welches einer Partei gegenübersteht, die die grundgesetzlichen Regeln zur Austragung politischer Interessenkonflikte immer wieder verlässt. Wie lange die „Brandmauer“ gegen die Antidemokraten hält, liegt primär in der Hand der Union. Drittens endet mit der Kanzlerschaft Merkels eine Dekade der zögerlichen „Rückkehr des Staates“. In den verschiedenen Krisen seit 2008 agierte der Staat als rettende und schützende Instanz vor den (menschengemachten) Katastrophen des Marktes und der Natur. Seit der Corona-Krise liegt allgemein offen zu tage, dass die öffentlichen Institutionen, der Staat selbst, sanierungs- und modernisierungsbedürftig ist. Die Zusammensetzung und das Programm der neuen Regierung werden darüber entscheiden (müssen), auf welchem Weg, mit welcher Methode die Transformation zum „grünen Kapitalismus“ erfolgen soll: im vollen Vertrauen auf die „entfesselten“ Kräfte des Marktes oder getrieben mit Investitionen und Regelwerken eines modernisierten demokratischen Staates. Der Wahlausgang zeigt, dass es in der Bevölkerung keinen eindeutig favorisierten Pfad gibt. Die Offenheit der politischen Situation geht zurück auf unterschiedliche allgemeine Stimmungslagen: der Wunsch nach einem Aufbruch, einem Neustart angesichts der in den letzten Jahren zutage getretenen Unzulänglichkeiten; der Wunsch nach Stabilität, Verlässlichkeit angesichts der erkennbaren (finanziellen, wirtschaftlichen) Risiken; dem Wunsch nach Normalität nach den Ausnahmejahren der Pandemie.

Voraussichtlich wird die nächste Bundesregierung aus drei (ohne die Union) oder vier Parteien (mit CDU und CSU) bestehen. Nach dem Ende der Ära Merkel werden die politischen Kräfteverhältnisse in Deutschland neu gemischt. Die Transformation zu einem Mehrparteiensystem mit drei Parteien, die für 15% bis 25% gut sind und mehreren 5%- bis 10%-Parteien scheint abgeschlossen (womit nicht ausgeschlossen ist, das neue Parteien dazu kommen, alte verschwinden). Die Flexibilität und Volatilität der Wählerinnen und Wähler nimmt weiter zu. Die kommende Regierung wird vor der großen Aufgabe stehen, in vier Jahren Dinge auf den Weg zu bringen, die massive Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse in 20 bis 30 Jahren und darüber hinaus haben werden. Auch wenn diese Aufgabe mutig angegangen würde, spricht nichts dafür, dass sich unter verschärften Transformationsbedingungen die politischen Kräfteverhältnisse stabilisieren werden. Womöglich ist die nächste Regierung nur eine Übergangsregierung.

Die Linke braucht mehr als einen Neustart

Die Linke erlebte einen bitteren Wahlabend mit einem katastrophalen Ergebnis. Weit entfernt vom Wahlziel der Zweistelligkeit und des Rückenwindes für eine Regierungsbeteiligung scheitert sie mit 4,9% an der Sperrklausel. Sie verliert über zwei Millionen Stimmen, fast die Hälfte ihrer Stimmen von 2017. Wiederum etwa die Hälfte der verlorenen Stimmen ging an die beiden Wunschkoalitionspartner SPD und Grüne, so die vorläufigen Schätzungen von Infratest dimap.

Da die Partei aber in Leipzig (Sören Pellmann) und Berlin (Gesine Lötzsch, Gregor Gysi) drei Direktmandate verteidigen kann, zieht sie über die Grundmandatsklausel doch noch in den Bundestag ein. Der absolute worst case konnte so gerade noch vermieden werden.

In den fünf ostdeutschen Flächenländern erreicht die Linke nur noch in Thüringen (11,4%) und in Mecklenburg-Vorpommern mit 11,1% ein zweistelliges Ergebnis. In Brandenburg liegt sie mit 8,5% sogar hinter den Grünen (9,0%). Im Durchschnitt aller fünf Ländern reicht es nur noch für 9,8%.

Harte innerparteiliche Kämpfe um die zukünftige Ausrichtung der Partei sind absehbar, blockierte innerparteiliche Konflikte harren der Auflösung. Vordergründig können taktische Schwächen als Gründe für das Wahlergebnis ins Feld geführt werden. Die Orientierung, die „CDU aus der Regierung zu wählen“, richtete sich in dem Moment gegen die Urheber, als sich auch Mehrheiten mit der FDP oder auch von SPD und Grünen ohne die Union abzeichneten. Darauf folgte dann „Linke statt Lindner“ als Partner für SPD und Grüne – die Umfragen gaben es aber nicht her, dass die Linke die FDP noch überholen und eine Mehrheit für SPD/Grüne/FDP verhindern könnte. Das „Sofortprogramm“ stellte erkennbar die Anliegen heraus, die von SPD und Grünen in hohem Maße geteilt werden würden. Doch warum sollte sich eine ostdeutsche Wählerin für die Forderung der Linken nach einem Mindestlohn von 13 Euro entscheiden, wenn ihr bereits die 12 Euro, die Olaf Scholz versprach, eine Erhöhung um mehr als 25% bringen würde? Schließlich zeigte sich, dass Partei und Fraktion auf das angestrebte Ziel einer Regierungsbeteiligung alles andere als vorbereitet waren: Bei der „Afghanistan“-Abstimmung folgte das Votum des Parteivorstandes die mehrheitliche Enthaltung der Fraktion dem, was innerparteilich noch gerade möglich erschien, wofür die Außenwirkung in Kauf genommen wurde, dass die Linke (aus ideologischen/identitätspolitischen Gründen) nicht zustimmen würde, bedrohte Menschen vor den Taliban aus Kabul zu evakuieren. Die Signalwirkung reichte noch weiter: Musste sich nicht die Krankenpflegerin, der die Linke höheres Gehalt versprach, die Frage stellen, ob dieses Anliegen im Zweifel nicht auch der innerparteilichen Identitätspolitik geopfert werden würde? Das offensive Werben für eine Regierungsbeteiligung mit dem Argument, dass die Menschen, die die Linke vertreten will, die Verbesserungen „jetzt“ brauchen und nicht erst in weiter Ferne nach einem Systemwechsel, wurde ordentlich untergraben.

Tatsächlich sind diese wahltaktischen Schwächen nur die Folge tiefergehender Probleme und anhaltender strategischer Schwächen. Wie die CDU konnte auch die Linkspartei ihren Führungswechsel pandemiebedingt nicht rechtzeitig vor dem Wahltermin herbeiführen. So blieb der neuen Parteiführung kaum Zeit, noch eigene positive Akzente in Inhalt und Auftritt zu setzen und damit als Unterschied bekannt zu werden. Gleichzeitig wurde dank des im April erschienenen neuen Buches von Sahra Wagenknecht die innere Zerstrittenheit der Partei über den künftigen Weg in die öffentliche und innerparteiliche Aufmerksamkeit geholt. Die Wahlniederlagen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verhießen für die Bundestagswahl nichts Gutes, sondern offenbarten ebenfalls das Dilemma der Partei. Von der SPD waren (seit 2012) keine Wählerzuströme mehr zu erwarten, die Versuche, Wählerinnen der Grünen mit „konsequenteren“ klimapolitischen Forderungen zu überzeugen, die Linke zu wählen, schienen ebenfalls wenig gewinnbringend, mit Blick auf die Bundestagswahl angesichts zugleich drohender Verluste an anderer Stelle sogar gefährlich. Vorübergehende Gewinne in den „jungen urbanen Milieus“ erwiesen sich als prekär, weil angesichts der „Wagenknecht-Debatten“ unklar blieb: Wer spricht für die Partei? Angesichts der Altersstruktur der eigenen Anhängerschaft (und der gesamten Wählerschaft) war dieser Zuspruch allerdings eher ein Versprechen für die Zukunft, nicht aber eine Garantie für die Gegenwart – ohne die älteren Wählerinnen und Wähler waren Wahlen nicht zu gewinnen.

Da angesichts der innerparteilichen Blockade-Situation zwischen drei „Lagern“ ein Schritt nach vorn ausgeschlossen war, konzentrierte sich der Wahlkampf auf das alle Strömungen integrierende sozialpolitische Stammgeschäft interessenspolitscher Forderungen sozialer Gerechtigkeit. Lange Zeit bewegte sich die Partei damit außerhalb des politischen Spielfeldes. Erst durch die steigenden Umfragewerte der SPD rückte die rechnerische Möglichkeit einer rot-grün-roten Regierung wieder in den Bereich des vielleicht Möglichen. Es war dann Armin Laschet – es war nicht die Stärke der Linken, sondern die Schwäche der Union –, der im ersten „Triell“ mit seiner Kampfansage gegen den „Linksrutsch“ die Partei zurück auf das Spielfeld holte.

Seit 2012, seit dem politisch fahrlässigen Auflaufen-Lassen der Minderheitsregierung von Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen und dem anschließenden Scheitern bei der Neuwahl des Landtages, steht die Linke vor der Aufgabe, eine Strategie zu entwickeln, die diesen Namen verdient. Strategien sind auf mindestens mittelfristige Zeithorizonte, mehr als eine Legislaturperiode gerichtet. Sie beinhalten methodisch und formal die dauerhaften programmatischen Wahlversprechen zu allgemeinen, normativen politischen Grundsätzen, sie enthalten Antworten auf Fragen, welche Rolle die Stimmenmaximierung und/oder die politische Verhandlungsmacht spielen soll, was mit welchen Wahlversprechen im politischen Beziehungsfeld mit anderen (konkurrierenden) Parteien erreicht werden sollen. An solchen Überlegungen fehlt es in der Partei vermutlich nicht, im Gegenteil. Es fehlt aber in einem strategischen Zentrum, welches die tonangebenden Parteiaktiven hinter einer Strategie versammeln könnte, um überhaupt in die Lage zu kommen, über einen längeren Zeitraum die Wähler und Wählerinnen davon zu überzeugen, den programmatischen Signalen Glaubwürdigkeit beizumessen. Diese Aufgabe wird die Parteiführung in den kommenden zwei Jahren bewältigen müssen: die „Fehler in den letzten Jahren“ erkennen und aufarbeiten und „die Partei neu entwickeln“ (Susanne Hennig-Wellsow am Wahlabend). Zu den Fehlern und Versäumnisse zählt zweifellos, dass die Partei kein strategisches Ziel und kein Selbstverständnis entwickelte, als der Wählerzustrom von der Sozialdemokratie versiegt war. Welche Gerechtigkeitsvorstellungen, welche gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen tragen den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts? Mit welchem demokratischen Staatsverständnis geht die Partei in den Konkurrenzkampf innerhalb des demokratischen Parteienlagers? Was sollten angesichts der sozial-ökologischen und digitalen Transformation die Grundlagen des Sozialstaates, seiner Finanzierung, einer politischen Ökonomie der Arbeitskraft sein? Wie sehen demokratische Sozialistinnen die Rolle Deutschlands in der Welt, wie kann internationale Kooperation bei den großen planetarischen Fragen möglich werden. Wen will die Linke erreichen und vertreten: die Einkommensschwachen und Niedriglöhnerinnen, die bei der Wohlstandsverteilung zu kurz kommen – und auch, ganz im Marxschen Sinne – diejenigen, die an vorderster Front an der Weiterentwicklung der modernen Produktivkräfte, von Wissenschaft und Technologie arbeiten, um ihre Arbeit für das Wohlergehen der gesamten Menschheit nutzbar zu machen? Die Antworten hier, die Antworten da ergeben kein schlüssiges Narrativ der Partei: Wohin sie will, was sie mit der Gesellschaft vor hat. Wenn ein solches Narrativ fehlt, bleibt eine Partei in der Durchsetzungsfalle stecken, die sich erschließt, wenn man mal kurz in den Schuhen eines 50jährigen ehemaligen Opelarbeiters oder einer Krankenpflegerin oder … durch die politische Landschaft läuft: 2009 die Linke gewählt, 2013 die Linke gewählt, auch 2017 vielleicht noch mal -und was hat es für die Verbesserung meiner eigenen Lage, um die es der Linken ja geht, gebracht? Es gibt aus dieser Perspektive genügend andere Gründe die Linke zu verlassen als deren angeblichen Kosmopolitismus und Schwenk zum linken Lifestyle…

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DOK 2: DGB, 6.10.: Gewerkschaftliche Kernforderungen nach der Bundestagswahl 2021

Der DGB-Bundesvorstand hat sich erneut mit dem Ergebnis der Bundestagswahl beschäftigt. Mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen bekräftigen die Gewerkschaften die Forderungen, die sie bereits im November 2020 und im Rahmen der Kampagne „Echt Gerecht: Zukunft solidarisch gestalten“ an die politischen Parteien gestellt haben.

Dazu der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann: „Unser Land steht vor großen Veränderungen und Herausforderungen. Es geht um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, die Zukunft unserer Arbeitswelt und Wirtschaft angesichts von Klimawandel und Digitalisierung, um Geschlechtergerechtigkeit, gute Bildung, Chancengleichheit und unsere Demokratie in Deutschland und Europa. Wir brauchen einen Aufbruch, um die Herausforderungen in diesem Land stemmen zu können. Jetzt kommt es darauf an, dass schnell eine handlungsfähige Regierung gebildet wird, die dann die Weichen richtig stellt.“

Folgende Punkte muss die neue Bundesregierung zügig umsetzen:

1. Die Handlungsfähigkeit des Staates stärken – mehr Investitionen für die Transformation, den Wandel nachhaltig gestalten und Wohlstand sichern

2. Tarifbindung und Mitbestimmung stärken

3. Die Arbeitswelt der Zukunft gestalten – Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen

4. Den Sozialstaat stärken – Sicherheit im Wandel garantieren

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Dok 3: Linke, 3.10.: Zum Wahlausgang bei der Bundestagswahl 2021: Beschluss des Parteivorstands vom 3. Oktober 2021

Der Parteivorstand der Partei Die Linke erklärt zum Wahlausgang bei der Bundestagswahl 2021:

1.

Diese Wahl war für Die Linke eine dramatische Niederlage. Wir sind uns bewusst, dass wir diese zuallererst selbst zu verantworten haben. Einige Faktoren lagen außerhalb unseres Einflusses, aber wir müssen uns grundlegende Fragen stellen. Fragen nach unseren Fehlern, Fragen nach unserer gesellschaftlichen Funktion und unserem Profil, Fragen nach unserer Idee einer freien, demokratischen, sozialistischen Gesellschaft.

2.

Wir bedanken uns bei den vielen Tausenden Aktiven im Wahlkampf. Unser Dank gilt auch Gesine Lötzsch, Gregor Gysi und Sören Pellmann, die mit ihren Direktmandaten dafür gesorgt haben, dass wir trotz des desaströsen Ergebnisses wieder in den Bundestag einziehen konnten. Wir werden in den nächsten Monaten die Ursachen der Niederlage gemeinsam mit unserer Parteibasis aufarbeiten, um aus den Fehlern, aber auch von guten Beispielen, zu lernen. Wir freuen uns über die 2.800 Neueintritte während des Wahlkampfes und danach.

3.

Eine tieferliegende Ursache liegt in Strukturproblemen unserer Partei im Osten wie im Westen. Wir haben in den vergangenen Jahren massiv an Verankerung verloren und zu wenige neue Mitglieder gewinnen können. Diese Wahl hat gezeigt: Wir haben – bis auf wenige Ausnahmen – flächendeckend verloren. Daher müssen der Parteiaufbau und die kommunalpolitische Verankerung in der nächsten Zeit eine hohe Priorität haben. Wir müssen der Einbindung von Neumitgliedern besondere Beachtung schenken.

4.

Auch wenn die Ursachen dieses Wahlergebnisses vielfältig sind, ist die Niederlage bei der Bundestagswahl auch Ergebnis öffentlich geführter innerparteilicher Konflikte der letzten Jahre. Damit einher ging eine – trotz klarer Programmatik, Parteivorstands- und Parteitagsbeschlüssen – widersprüchliche Kommunikation in Schlüsselfragen unserer Zeit. Das muss sich ändern. Ein Neuanfang muss daher darauf abzielen, hier eine bessere Abstimmung zwischen Partei und Fraktion sowie innerhalb der Bundestagsfraktion sicherzustellen. Der neuen Bundestagsfraktion und dem Fraktionsvorstand kommt eine hohe Verantwortung zu, auf Basis des Wahlprogramms geschlossen zu agieren.

5.

Die neue Regierung trägt eine große Verantwortung für die Zukunft der Menschen in diesem Land, in Europa und der Welt. Unser Maßstab für eine andere, vorwärtsweisende Politik ist klar: bezahlbare Mieten, Schutz vor Altersarmut, gerechte Verteilung des Reichtums, entschlossene Schritte gegen den Pflegenotstand, für Abrüstung und eine friedliche Außenpolitik, einen sozial gerechten wie konsequenten Klimaschutz, Antifaschismus und Antirassismus sowie Geschlechtergerechtigkeit. Ob die Ampel oder Jamaika – wir werden in der Opposition dafür Druck machen, dass die Kosten der Corona-Krise, der Klimakatastrophe sowie des Umbaus der Industrie nicht auf die Beschäftigten und die Mehrheit der Bevölkerung abgewälzt werden. Wir werden das nicht allein tun, sondern in und gemeinsam mit sozialen und Klima-Bewegungen und mit den Gewerkschaften. Auch im Sinne der Millionen Menschen, die von der neuen Regierung zurückgelassen werden. Wir werden eine konsequente Oppositionspolitik machen und linke Alternativen aufzeigen.

6.

Wir werden unverzüglich folgende Schritte einleiten:

04

Dok 4: Horst Kahrs, RLS: Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern: Der Wahlausgang – erste Analyse und Deutungen

Auszüge aus der Wahlnachtsberichterstattung von Horst Kahrs, http://www.horstkahrs.de/

Die Landtagswahl fand erstmals seit 2002 wieder gleichzeitig mit einer Bundestagswahl statt. Die Wahlbeteiligung war mit 70,8% daher deutlich höher als bei der vorherigen Landtagswahl. Die Wählerinnen und Wähler machten bei ihren Wahlentscheidungen einen klar erkennbaren Unterschied zwischen ihrem Votum für das Landesparlamente und für den Bundestag.

Die SPD und Manuela Schwesig sind die klaren Gewinner der Landtagswahl. Das Ergebnis reicht mit 39,6% nahezu an das bisherige Spitzenergebnis von 40,6% bei der Landtagswahl 2002 heran. Bei der gleichzeitigen Bundestagswahl nur 29,1% der Stimmen. Diese Differenz unterstreicht das hohe Ansehen, welches die Ministerpräsidentin im Land und unter allen Parteianhängern genießt und zugleich die traditionelle Rolle der SPD als Landespartei. Sie gewinnt 32 von 34 Direktmandaten. Die SPD hat nun mehrere Optionen, eine Landesregierung zu bilden.

Die CDU erreicht mit 13,3% ein historisch schlechtes Ergebnis bei Landtagswahlen, während sie bei der Bundestagswahl 17,4% erhält. Im Land bleibt sie erneut klar hinter der AfD auf Platz 3. Sie verliert sechs Direktmandate und erreicht nur noch eines.

Die Linke muss eine bittere Niederlage hinnehmen. Sie wird mit 9,9% auch in diesem ostdeutschen Flächenland einstellig. Bei der Bundestagswahl erreicht sie hingegen 11,1%.

Die AfD verliert wie CDU und Linke und erhält 16,7% der Zweitstimmen. Auch für sie gilt: bei der Bundestagswahl sind es etliche Stimmen mehr. Die AfD gewinnt darüber hinaus nur noch ein ein Direktmandat (minus 2). Was wie eine Schwächung erscheint, sollte indes als Etablierung verstanden werden. Gestiegen sind auch die Kompetenzwerte, die der AfD auf einigen Feldern zugewiesen werden. Unter den bis zu 45jährigen verliert sie laut Forschungsgruppe Wahlen keine Prozentanteile. Dies ist bei den 45- bis 59jährigen und den über 60jährigen Wählenden der Fall. Dies unterstreicht die These, dass der Partei auch in Mecklenburg-Vorpommern die Bindung eines rechten Wählermilieus gelingt, welches mit der Landtagswahl 2006 entstanden ist.

Grüne und FDP ziehen erstmals wieder in den Landtag ein. Beide Parteien erhalten aus den Reihen der unter 30jährigen Wählerinnen und Wähler doppelt so hohe Zustimmung wie im Ergebnis aller. Die Wahl im Land wird von den älteren, den über 45- bis 60jährigen und den über 60jährigen entscheiden. Sie wenden sich von der Linken (Verluste von 4 bis 5 Prozentpunkten), der CDU (Verluste von 4 bis 5 Prozentpunkten) und der AfD (Verluste von 5 bis 6 Prozentpunkten) ab und vor allem der SPD zu. Die SPD gewinnt bei den 45- bis 59jährige 35% statt 29%, bei den über 60jährigen sogar 53% statt 39%. Aber sie verliert bei den unter 30jährigen von 23% auf 29%. Die Linke büßt in allen Altersgruppen ein, am stärksten bei den über 60jährigen von 17% auf 12%. Unterschieden nach Qualifikation ist festzuhalten, dass die Wählerinnen und Wähler unterschiedlichen Alters mit einem Hochschulabschluss der Partei am ehesten treu blieben. Hier verliert sie nur von 17% auf 16%. Wähler mit Hauptschulabschluss wählten die Partei nur noch zu 6% (statt noch 15% in 2011).

„Links wählen“ in Mecklenburg-Vorpommern

Die PDS erzielte bei der Landtagswahl 1998 mit 24,4% der Stimmen ihr bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl. Dieses Ergebnis fiel zeitlich zusammen mit dem bis dahin besten Ergebnis bei einer Bundestagswahl im Land und landespolitisch mit der Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung unter SPD-Führung. Bei der anschließenden Wahl verlor die PDS 8 Prozentpunkte und erhielt nur noch 16,4% der Stimmen, zeitgleich stürzte sie auch bei der Bundestagswahl ab (und verabschiedete sich mit bundesweit 4,0% aus dem Parlament). Die Verluste der PDS waren zu großen Teile Gewinne der (Mit)Regierungspartei SPD.

Im Rückblick waren die beiden Wahlen 2002 die letzten, bei denen es noch einen (negativen) Gleichklang Wahlergebnis für Bund und Land in Mecklenburg-Vorpommern gab. Danach war die PDS/Linke und dann Die Linke bei Bundestagswahlen bis 2017 immer deutlich erfolgreicher als bei Landtagswahlen. Bei den Landtagswahlen gelang 2011 nochmals eine leichte Erholung auf 18,4%, aber aufgrund der geringeren Wahlbeteiligung reichten für diesen Anstieg deutlich weniger Zweitstimmen als für die 16,8% in 2006.

Das Wahlergebnis von 2016 war mit 13,2% der gültigen Stimmen und 8% der Wahlberechtigten das bis dahin schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl (1990: 15,7%). Auf der anderen Seite erzielte die Partei bei der Bundestagswahl 2009 mit 29,0% der Zweitstimmen ihr bestes Ergebnis. (18% der Wahlberechtigten). Aber auch diese bundespolitische Stärke schmolz auf 17,8% in 2017 (12,5% der Wahlberechtigten).

Die Altersstruktur der Wählerschaft der Linken verläuft umgekehrt proportional zu derjenigen der AfD/NPD. Überdurchschnittlich gewählt wird die Partei von Menschen, die vor 1970 bzw. vor 1965 geboren wurden. Unter denjenigen, die ihr Berufsleben in der DDR begonnen und auch die erste Hälfte des Arbeitslebens in der DDR verbracht hatten waren die Stimmenverluste 2016 am größten.

In den gesellschaftspolitischen Umbrüchen, die sich mit dem knappen Scheitern von FDP und AfD bei der Bundestagswahl 2013 andeuteten, die mit der Pegida-Bewegung weiter Gestalt annahmen und die mit dem Offenhalten der Landesgrenzen im Sommer 2015 vollends durchbrachen, verloren die gesellschaftspolitischen Deutungen und Ordnungsmuster, die die Partei anzubieten hatte, offensichtlich an Überzeugungs- und Bindungskraft. Die Ursachen hierfür sind nicht monokausal. Sie werden auf der Ebene der Deutungen, Erklärungen und Vorschläge zu finden sein, genauso aber auch in der schwindenden sozialen, alltäglichen Reichweite der Partei, ihrer ältere werdenden Mitgliedschaft und in schrumpfenden Partei-Strukturen, in anwachsenden Fehlen von Parteimitgliedern, die in der Nachbarschaft, im Supermarkt oder auf der Arbeit im alltäglichen Gespräch „von links“ erklären, was geschieht und gespielt wird.

Ähnlich stellt sich, zumindest mit Blick auf die Altersstruktur, die Lage der SPD dar. Unter dem Gesichtspunkt von Alterskohorten-Effekten befindet sich „links wählen“ in der Defensive. In den höheren Altersgruppen, bei den über 60jährigen, finden Loslösungen aus einer über eine längere Zeit gepflegten Parteipräferenz statt und in den jüngeren Altersgruppen, insbesondere bei den unter 40jährigen hat sich eine vergleichbarer Kohorteneffekt (noch) nicht herausgebildet. Verschärft wird diese Defensive durch die sozialen Bewegungen von rechts (bzw. deren rechter Durchmischung): die Anti-Migrations-Bewegungen 2014ff, die Anti-Establishment-Mobilisierungen 2017 und auch die aktuellen Bewegungen gegen die Schutzmaßnahmen in der Pandemie. Diese Bewegungen vermischen sich bei den mittleren und auch jüngeren Altersgruppen mit einem Wahlverhalten mit ausgeprägter Präferenz für rechte, völkisch-nationalistisch auftretende Parteien. Anders als links orientierte Bewegungen in den letzten Jahren gelang im rechts-nationalen Spektrum gerade in ländlich und kleinstädtisch-mittelstädtisch geprägten Regionen die Herausbildung weltanschaulich geprägter sozialer Milieus, die auch für die Zukunft eine stabile Basis für rechtes Wahlverhalten bilden.

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Schaubilder zum Ergebnis Berlin.

Abb. (PDF): Wer mit wem regieren wird, ist in Berlin noch offen, zumal das amtliche Endergebnis gerade erst (11.10.) festgestellt wurde. Die SPD-Kandidatin für die Regierende Bürgermeisterin, die ehemalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, bevorzugt laut Presseberichte eine Koalition mit Grünen und FDP. Die Grünen, knapp zweitstärkste Fraktion, bevorzugen eine Fortsetzung der bisherigen Koalition von SPD, Grünen und Linken. Die Entscheidung soll noch im Oktober fallen. – Der Volksentscheid zur „Enteignung von Deutsche Wohnen & Co“ ist rechtlich unverbindlich, die SPD-Spitzenkandidatin lehnt eine Umsetzung ausdrücklich ab.– Die Linke konnte sich leicht positiv vom Bundestrend abkoppeln: Ergebnis Bundestagswahl: 11,4 Prozent, Abgeordnetenhaus und Bezirkswahlen: 14,0 Prozent.