Politische Berichte Nr.5/2021 (PDF)08
EU-Politik

„Next Generation EU“– Finanzierung und Wirtschaftssteuerung
Profitiert die Tschechische Republik von der EU?

„Next Generation EU“– Finanzierung und Wirtschaftssteuerung

Rolf Gehring, Brüssel, Christoph Cornides, Mannheim

In der letzten Ausgabe der Politischen Berichte haben wir das EU-Krisenbewältigungsprogramm Next Generation (NGEU) und einige Aspekte des Verfahrens zur Umsetzung des Programms vorgestellt. In diesem Beitrag wollen wir die Mittelbeschaffung und Vorstellungen zur Veränderung und Erweiterung behandeln.

Die EU hat nach dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 schnell gehandelt und die Vorgaben des EU Stabilitäts- und Wachstumspaktes außer Kraft gesetzt. Das dann bis Dezember 2020 geschnürte und beschlossene Programm zur Bewältigung der (wesentlich) pandemiebedingten Krise setzt sich aus Mittelzuweisungen (Widmungen in den bestehenden Haushaltposten) im Mehrjährigen Finanzrahmen (2021 bis 2027) und dem großen Wiederaufbaufonds NGEU zusammen. Die Kommission hat parallel beschleunigte Verfahren zur Genehmigung von staatlichen Beihilfen für Unternehmen oder ganze Sektoren vereinfacht (KOM(2020)102 endgültig). Die im Rahmen des Europäischen Semesters (Mechanismus zur wirtschaftspolitischen Steuerung) gemachten Vorgaben sind in Richtung soziale Maßnahmen verschoben worden. (1) Finanziert wird NGEU über von der Kommission im Namen der EU am Kapitalmarkt aufgenommene Kredite. Vorgesehen ist eine Back-to-Back-Finanzierung, d.h. die günstigen Kredite der EU (hohe Kreditwürdigkeit) werden zu den gleichen Konditionen an die Mitgliedsstaaten weitergegeben.

Das Programm selbst provozierte zuerst eine Debatte über die sogenannte Schuldenunion (Kreditaufnahme mit Solidarhaftung), aber auch erneut über die Frage einer Ausweitung der Mittelbeschaffung der EU. Wie sich die Eigenmittel des EU-Haushalts bzw. das Eigenmittelsystem zusammensetzen, wird in den Verträgen festgelegt. In der Vergangenheit hat die EU die konkrete Zusammensetzung der Eigenmittel mehrfach geändert. Dabei wurde immer wieder auch die Frage verhandelt, ob die EU eigene Steuern oder Abgaben erheben können soll.

Auch wenn nicht mit schnellen Veränderungen zu rechnen ist, die Umsetzung und vor allem die (zugeschriebenen) Wirkungen des NGEU-Programms wird das Ringen um eine Weiterentwicklung der europäischen Fiskalpolitik erneut befeuern. „Einerseits könnte sich das konzertierte Vorgehen der Mitgliedsstaaten bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie als Blaupause für eine vertiefte fiskalpolitische Integration erweisen. Andererseits könnte es sich dabei auch um eine einmalige Krisenbewältigungsstrategie handeln mit einer baldigen Rückkehr zu einer Politik von vor der Pandemie – mit 27 voneinander unabhängigen Fiskalpolitiken. Ein demokratischer Diskurs über diese für die Zukunft der EU weichenstellenden Fragen ist dringlich geboten und spaltet die EU-Länder entlang altbekannter Trennlinien.“ (2)

Jüngere Wortmeldungen in diesem Zusammenhang, setzen sich mit den beiden zentralen Gegenständen auseinander, eben dem Stabilitätsmechanismus und der Finanzierung der EU. Anfang September hatte das Brüsseler Institut Bruegel vorgeschlagen, alle sogenannten grünen Investitionen von den Schuldengrenzen auszunehmen. Das trifft das Bedürfnis bzw. die kritischen Positionen in einer Reihe von Ländern des südlichen Europa, die generell eine Lockerung der Schuldenbremse verlangen. Auch der Europäische Wirtschaft- und Sozialausschuss (3) hat sich in einer Stellungnahme für eine generelle Modernisierung ausgesprochen, die allerdings erst wieder greifen soll, wenn die Arbeitslosigkeit signifikant reduziert wurde. Der DGB schlägt Detailveränderungen an den Regularien des Stabilitäts- und Wirtschaftspaktes vor. So etwa eine Veränderung bei der Schätzung des Potentials der Wirtschaft, die aktuell bestehende Daten etwa beim Arbeitspotential in die Zukunft fortschreibt, anstatt Potentiale einzuschätzen und damit Spielräume der Mitgliedsstaaten einschränkt.

Für mögliche künftige Maßnahmenpakete zur Bewältigung von Krisen wird aber wesentlich sein, wie sich die Möglichkeiten der EU im Bereich der Eigenmittel weiterentwickeln. Mittlerweile teilen die EU-Organe die Auffassung, dass der Kanon an Eigenmitteln um eine Steuer erweitert werden kann und erweitert werden sollte. Der Kommissionsvorschlag von 2018 (COM (2020) 325), ergänzt durch (COM (2020) 445), sieht bezüglich der Eigenmittel unter anderem vor:

Zusätzlich wird in Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Juli 2020 die Einführung einer originären EU-Finanztransaktionssteuer erwogen. Mit dem Haushalt 2021 und NGEU wir die Kommission ermächtigt, Mittel an den Kapitalmärkten aufzunehmen (Verschuldungskompetenz). Faktisch findet eine Erhöhung der bisherigen Eigenmittelobergrenze statt, und die Solidarfunktion wird ausgebaut. Die Mitgliedsstaaten haften für die 750 Milliarden Euro zusätzlicher Mittel, die über das NGEU mobilisiert werden. Allenthalben wird dies als Ausnahme beschrieben, aber für künftige Krisen erneut als möglich erachtet.

Wie in der Vergangenheit wird der Streit um die Veränderungen in der Struktur der Eigenmittelbeschaffung heftig ausfallen. Eine Reihe von Rechtswissenschaftlern bestreiten generell die Möglichkeit einer direkten Besteuerung der Unionsbürger oder Unternehmen durch die EU. Das ist jedoch am Ende nur eine Beschreibung des Status Quo, Rechtsfortbildung ist immer möglich, die Diskussionen in Kommission und Rat zeigen dies. Die Struktur der NGEU-Fonds beinhaltet die Haftungsfunktion der Mitgliedsstaaten und hat somit auch eine Versicherungsfunktion, die mindestens bis zur geplanten endgültigen Tilgung (2057) besteht.

Zu unterscheiden von den Investitionsfonds und ihrer Versicherungsfunktion sind die schon bestehenden Umverteilungsfunktionen, vor allem über die Struktur- und Regionalfonds (Kohäsionsfonds) und den Agrarfonds. Die Grafik auf dervorigen Seite zeigt hier die Verschiebungen über einen längeren Zeitraum. Die Abnahme des Anteils für den Agrarsektor wird noch durch die größere Gewichtung, den darin die Entwicklung des ländlichen Raumes einnimmt, verstärkt. Hier spielen Infrastruktur Soziales, Bildung und Landschaftsplanung eine große Rolle. Die Fonds haben eine echte Umverteilungsfunktion, da sie mehr Gelder an weniger entwickelte, also ökonomisch schwächere Regionen vergeben. Ein Konzept, dass nicht überall Unterstützung findet, auch in den Gewerkschaften nicht.

Die künftige Finanzausstattung, die Struktur der Eigenmittel und die Akzeptanz von Programmen wie NGEU wird nicht zuletzt von der Akzeptanz und materiellen Wirkung der Programme abhängen. Sie werden ganz konkrete Wirkungen auf die bestehenden ökonomischen Strukturen haben und vieles könnte sich dabei noch als sehr unsichere Wette auf die Zukunft erweisen. Umstritten sind sie ohnehin. Nicht wenige Mitgliedsstaaten halten etwa das „Fit for 55“ Programm (Minimierung der Treibhausgasemissionen) für unrealistisch und eine Zumutung, sie befürchten enorme Energieverteuerung. In ihrer Mitteilung zur Finanzierung von NextGenerationEU legt die Kommission großes Gewicht auf Grüne Bonds und will die Mitgliedsstaaten verpflichten, dass mindestens 37% der Zuschüsse und Darlehen aus NGEU in Klimainvestitionen investiert werden müssen. Bei der Deklaration dürften die Mitgliedsstaaten durchaus einen gewissen Spielraum haben. Allerdings ist die Vorgabengenauigkeit bei EU-Programmen mittlerweile so groß, dass diesem Spielraum eher enge Grenzen gesetzt sind. Krach ist auch hier vorprogrammiert. Insgesamt eher schwierige Perspektiven für eine Ausweitung der EU-Kompetenzen und ihrer Finanzausstattung.

1) https://www.etui.org/sites/default/files/2020-10/An overview of the 2020-2021 country-specific recommendations %28CSRs%29 in the social field-2020.pdf

2) DIW Aktuell Nr. 73: Europa auf dem Weg zur Fiskalunion: Investitionen stärken statt Entschuldung vorantreiben – 6. September 2021

3) https://www.eesc.europa.eu/de/our-work/opinions-information-reports/opinions/economic-governance-review-2020

Weitere Quellen: Europäische Kommission: Mehrjähriger Finanzrahmen 2021-2027 COM(2018)321 final • Priewe, Jan: Reformoptionen für die Fiskalregeln in der Europäischen Union; in Jahrbuch für öffentliche Finanzen • Schorkopf, Frank: Next Generation EU – Worum es wirklich geht; in: Cicero 27. August 2020

Abb. (PDF): Schaubild, Entwicklung der wichtigsten Politikbereich im EU-Haushalt