Politische Berichte Nr.5/2021 (PDF)09
EU Politik

„Next Generation EU“– Finanzierung und Wirtschaftssteuerung
Profitiert die Tschechische Republik von der EU?

Profitiert die Tschechische Republik von der EU?

Jiří Šteg, Prag

Seit den 1920er Jahren hat sich die Tschechische Republik zu einer industrialisierten Wirtschaft mit einer hinreichend effizienten Landwirtschaft entwickelt. Obwohl die Zeit zwischen 1948 und 1989 von sich verschärfenden wirtschaftlichen Problemen geprägt war, blieb die Tschechische Republik ein Land mit gut ausgebildeten und erfahrenen Arbeitskräften, einer soliden Entwicklungsbasis und der Fähigkeit, relativ fortschrittliche Produkte herzustellen. Nach 1989 wurde die Kapital- und Produktionsexpansion westlicher Unternehmen, von Hunderten von Kleinunternehmen bis hin zu Giganten wie Volkswagen, zu einem willkommenen Ziel. Heute ist die Tschechische Republik Mitglied der EU und ihre Wirtschaft ist vollständig in die europäischen bzw. globalen Produktions- und Handelsketten integriert. Der Zustrom des ausländischen Kapitals und die Privatisierung eines großen Teils der Unternehmen konservierten in erster Linie die Industrie- bzw. Produktionsstruktur der Wirtschaft. Insbesondere nach dem EU-Beitritt hat sich die Stellung der Landwirtschaft und vor allem des Handels erheblich verändert. Derzeit werden mehr als 25% des BIP in Industriesektoren in Verbindung mit der Automobil- und Elektronikproduktion erwirtschaftet. Langfristig vertieft sich jedoch der Trend des Rückgangs der Nahrungsmittelautarkie und des Rückgangs der landwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der Einzelhandel wird von ausländischen Handelsketten dominiert, die ihn nahezu beherrschen und die entscheidende Rolle bei der Preisgestaltung spielen. Die Tschechische Republik ist derzeit eine offene Volkswirtschaft ohne Rohstoffe und mit einer hohen Beteiligung ausländischen Kapitals, das entscheidende Produktionssektoren und den Bankensektor vollkommen dominiert. Das Ergebnis ist eine Diskrepanz zwischen der Bildung des Bruttoinlandsprodukts und dem Nationaleinkommen, da jährlich drei bis fünf Prozent des BIP in Form von Dividenden ins Ausland gehen. Dies schränkt den Handlungsspielraum der Regierung und der gesamten politischen Repräsentanz bei der Ausrichtung der Wirtschaft und damit des gesamten Staates erheblich ein.

Es sind gerade die Produktionsfertigkeiten und -kapazitäten der tschechischen Wirtschaft, die sich in Zukunft als ihr größter Vorzug erweisen können, aber gleichzeitig ein nicht zu vernachlässigendes Risiko darstellen. Gleichzeitig wird die Abhängigkeit der tschechischen Wirtschaft von Entscheidungen ausländischer Investoren und von der globalen Konjunktur durch den relativ geringen Anteil von Endprodukten an der Produktion noch weiter verstärkt. Dies spiegelt sich direkt in zyklischen Schwankungen bei der BIP-Entwicklung wider. Die Stabilität der BIP-Entwicklung wird auch durch das niedrige Lohnniveau beeinträchtigt, das eine begrenzte Binnengesamtnachfrage und das Zurückbleiben in der Entwicklung des Dienstleistungssektors nicht nur im Bereich ITC nach sich zieht. Die Regierungen haben lange Zeit die Priorität darauf gelenkt, die Wirtschaft innerhalb der bestehenden Struktur am Laufen zu halten, anstatt strukturelle Veränderungen anzustoßen, die die Wirtschaft von der Abhängigkeit von externen Entscheidungen befreien würden. Sie nutzten die EU-Gelder nicht, um substanziell insbesondere in eine bessere Bildung und die Entwicklung ausgewählter Infrastrukturbereiche zu investieren. Aus europäischen Mitteln wurden bestehende Produktionsstrukturen und -einheiten auf verschiedenste Weise unterstützt, was paradoxerweise den Vorbereitungsgrad der Tschechischen Republik auf die Herausforderungen der Zukunft schwächt. Der Einsatz von Steuerinstrumenten zur Verringerung der Kapitalabflüsse wurde vollständig aufgegeben und dem ausländischen Kapital wurde so die Freiheit gelassen, Gewinne in die entsprechenden Mutterländer zu transferieren.

Bis zu einem gewissen Grad kann festgestellt werden, dass es die Tschechische Republik versäumt hat, die vielfältigen Vorteile zu nutzen, die sich aus ihrer Teilhabe an den globalen Prozessen ergeben und entsprechend keine Verteidigungs- und Regulierungsmechanismen aufgebaut hat, um die Auswirkungen dieser Prozesse zu begrenzen oder zu kompensieren. Es ist nun die Frage, inwiefern dies das Ergebnis subjektiver interner Fehler und inwieweit dies das Ergebnis des politischen Handelns der gesamten EU ist, die sich insbesondere seit den Maastrichter Verträgen eher als Dienstleistungs-organisation für transnationales Kapital denn als Ausdruck des politischen Willens der Menschen in Europa profiliert.

Der Autor ist Ökonom