Politische Berichte Nr.5/2021 (PDF)13
Aus Kommunen und Ländern

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Für die Zukunft lernen: Linke Politik im Katastrophenschutz

1 Anfrage der Kreistagsfraktion Die Linke Rhein-Erft-Kreis vom 29.7.2021*

Von Stefan Söhngen, Brühl, und Stella Wasenitz, Köln

Fast wäre die Starkregenkatastrophe in Nordrhein- und Rheinland-Pfalz neben dem Wahlkampf vor der Bundestagswahl schon wieder aus den Köpfen der Menschen gewesen. Doch häufen sich Naturkatastrophen global inzwischen so oft, dass erst jüngst die Überflutungen in New York das Thema schon wieder zurück in die Medien brachten. Wenn man wissenschaftlichen Prognosen folgt, verdeutlicht sich selbst bei unterschiedlichen Prognosen das Bild, dass uns diese noch außergewöhnlichen Ereignisse mit zunehmender Erderwärmung immer häufiger ereilen werden. Umso dringender wird eine klare politische Haltung, wie mit solchen Katastrophen umzugehen ist.

Die Katastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zeigt, dass vor allem auch eine linke Perspektive, die sich mit den sozialen Folgen auseinandersetzt, benötigt wird. Denn ob Warnsysteme, die nicht ausgelöst wurden, abgebaute Sirenen, fehlende Ausstattung der Katastrophenschutzeinheiten oder fehlende präventive, technische Maßnahmen zum Schutz vor Starkregen und Hochwasser, die Flutkatastrophe verdeutlicht nicht nur die drastischen Auswirkungen des Klimawandels auf, sondern auch die defizitäre Ausstattung staatlicher Stellen in Bezug auf Naturkatastrophe.

Die Verfehlungen auf individueller und struktureller Ebene während der Flutkatastrophe als Folge des Starkregens am 14. und 15. Juli sind offensichtlich und gut dokumentiert und durchziehen die Zeitachse der Katastrophe auf allen Ebenen. Im besonders betroffenen Ahrtal rief der zuständige Landrat den Katastrophenfall (der für die Anforderung überörtlicher Hilfe benötigt wird) deutlich zu spät aus und ließ gefährdete Menschen nicht rechtzeitig evakuieren. Die Bevölkerung wurde erst dann gewarnt, als die Flut sie bereits erreicht hatte – mit verheerenden Folgen. Es vergingen mehrere Stunden bis seitens des Landrates gehandelt wurde, obwohl dem Landratsamt alle verfügbaren Informationen vorlagen und ausdrücklich vor den zu erwartenden Regenmengen gewarnt wurde. Daher gibt es auch ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den Landrat des Kreises Ahrweiler.

Derartige Verfehlungen in der Warnkette fanden auch an anderen Orten statt. Im Rhein-Erft-Kreis wurden Pegelstände des Oberlaufs der betroffenen Erft nicht weitergeleitet, da sie außerhalb des Kreisgebiets liegen. Im Rhein-Sieg-Kreis wurde die Ernsthaftigkeit der Lage erst dann erkannt, als die Steinbachtalsperre zu brechen drohte. Evakuierungen fanden nachts statt, als die Bürger:innen orientierungslos auf der Suche nach der Notunterkunft durch das Wasser wateten.

Basierend auf Interviews mit den Verantwortlichen wird deutlich, dass Wetterwarnungen und Starkregenvorhersagen vielerorts nicht entsprechend dem angesagten Ausmaß ernst genommen und eingeordnet wurden, da sie das Vorstellbare überschritten. So wurden Sirenen zu spät ausgelöst, Warnmitteilungen über Apps nicht weitergeleitet oder konnten die Betroffenen nicht mehr erreichen, da das Mobilfunknetz nicht mehr funktionierte und der Strom bereits ausgefallen war. Entsprechend fehlte hier sowohl die Sensibilisierung der warnenden Verantwortlichen wie auch die der gewarnten, dass derartige Katastrophen stattfinden können und wie mit ihnen umzugehen ist.

Eine Ursache für das schlechte Krisenmanagement liegt im schlechten Wissensmanagement rund um den Katastrophenschutz. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) stellt viel nützliches Wissen über vorbeugende Maßnahmen gegen Hochwasser und Starkregenereignisse bereit. Eine Umsetzung dieser präventiven baulichen Maßnahmen und vorbereitenden Berechnungen im Katastrophenfall hätte hier zu weniger drastischen Situationen führen können sowie schnelleres Handeln ermöglicht. Dennoch hat das BBK als Bundesbehörde keinerlei rechtliche Kompetenzen im Katastrophenschutz und berät nur, publiziert Broschüren oder entwickelt Warnsysteme wie Warnapps. Somit liegt das Wissen über das Verhindern von extremen Auswirkungen von Naturkatastrophen bei denjenigen, die rechtlich dafür nicht zuständig sind. Die Umsetzung in den Kommunen ist entsprechend sehr unterschiedlich, größtenteils aber selbst in oft von Starkregen betroffenen Regionen rückständig. Dies lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass dieses Extremwetterereignis nicht als sehr selten eingestuft wurde und so als nicht akute Bedrohung kaum Aufmerksamkeit bekam.

Doch selbst wenn das Thema kommunal Aufmerksamkeit bekam, fehlten oft die finanzielle und personelle Ausstattung des Katastrophenschutzes. Sehr viele Kommunen und viele Kreise sind überschuldet und können sich schlichtweg keine gute materielle und personelle Ausstattung ihres Katastrophenschutzes oder ihrer Feuerwehr leisten. Selbst wenn Geld verfügbar ist, konkurriert eine gute Ausstattung der Feuerwehr beispielsweise mit einer Sanierung von Schulgebäuden oder der Finanzierung von Schwimmbadbesuchen für bedürftige Kinder. Auch auf der Ebene des technischen Hochwasserschutzes, also bei den Fragen von Regenrückhaltebecken, Staudämmen oder Renaturierung von Flüssen, sind bei den allermeisten Flüssen die Kommunen zuständig. Daher tritt auch hier das Problem der Unterfinanzierung von Kommunen auf. Eine Umfrage des Städte- und Gemeindebundes NRW unter seinen Mitgliedern ergab, dass für das Jahr 2021 nur 19,4% der Kommunen in NRW einen ausgeglichenen Haushalt erwarten, während 54,2% der Kommunen ihren Haushalt aus Rücklagen ausgleichen müssen und 26,4% der Kommunen ins Haushaltssicherungskonzept fallen werden und damit ihre Budgethoheit möglicherweise verlieren werden.

Neben individuellen Verfehlungen einzelner Akteure gibt es eine Reihe an strukturellen Problemen im Bereich des Katastrophenschutzes und der Prävention von Starkregen und Hochwasserereignissen, die dringend ins Auge zu fassen sind. Genau an diesem Punkt sollte linke Politik ansetzen.

Zunächst gilt es festzuhalten, dass auch bei den Themen Hochwasser und Starkregen nicht alle gleich getroffen werden. Menschen, die keine Deutsch sprechen, werden schlechter von Warnungen erreicht. Hochaltrige und Kinder können sich deutlich schlechter in Sicherheit bringen und reichere Menschen können sich und ihre Habseligkeiten deutlich besser schützen, weil sie im Zweifel das Geld für eine Elementarversicherung oder bauliche Maßnahmen zum Hochwasserschutz an ihren Häusern übrighaben. Dieses Ungleichgewicht gilt es aus einer linken Perspektive zu politisieren, vor allem vor dem Hintergrund der Häufung solcher Ereignisse durch den Klimawandel.

So müssen demografische Daten Berücksichtigung in den Katastrophenschutzplänen der einzelnen Kreise finden. Es liegen den allermeisten Kreisen und Städten demografische Daten vor, in welchen Sozialräumen es einen besonders hohen Anteil von vulnerablen Gruppen gibt wie Hochaltrige oder Kinder. Das kann dann bei Evakuierungen berücksichtigt werden. Zudem lässt sich digital berechnen, wie groß die Gefahr eines jeden Hauses gegenüber Starkregenereignissen und Hochwasser ist. Diese Daten müssen öffentlich vorliegen und auch Bezug finden in den Katastrophenschutz- und Evakuierungsplänen. Diese Methode kann selbstverständlich auch für kritische Infrastrukturen angewandt werden, sodass man weiß und sich drauf vorbereiten kann, in welchen Gebieten der Strom zuerst ausfällt und welches Krankenhaus oder Altenheim zuerst evakuiert werden muss.

Beim Thema Versicherungen ist zumindest über eine staatliche Beteiligung an Elementarschadensversicherungen zu denken, wenn nicht sogar über eine Elementarschadensversicherungspflicht vor dem Hintergrund des Klimawandels. Aus sozialer Perspektive muss hier gelten, dass Elementarschadensversicherungen für alle bereits existierenden Gebäudeversicherungen angeboten werden und bezahlbar sein müssen. Eine Versicherungspflicht muss also immer sozial gerecht gestaltet werden.

Auch beim technischen Hochwasserschutz gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die sinnvoll sind. Dazu gehört, dass neue Gebäude nur nach einer Berücksichtigung des Risikos gebaut werden. Dies gilt auch, um Flächenversiegelung zu stoppen und Entsiegelungen gezielt einzusetzen und gefährdete Gebiete zu entlasten. Flüsse müssen renaturiert werden und mit einem deutlichen Ausbau von Retentionsflächen und Überschwemmungsgebieten verbunden werden. Das führt auch zu einem besseren Mikroklima vor Ort. Aus vielen anderen Ländern wie den Niederlanden, aber auch deutschen von Hochwasser häufig betroffenen Städten lassen sich aber noch andere Maßnahmen ableiten wie beispielsweise die gezielte Flutung von öffentlichen Plätzen.

Es liegt dabei auf der Hand, dass es hierfür einer deutlich besseren finanziellen Ausstattung der Kommunen bedarf. Ein erster Schritt hierzu könnte ein Altschuldenerlass für alle Kommunen sein. Es fehlt an vernünftigen Warnmitteln, so sind viele Sirenen sind überaltert und von der Stromversorgung abhängig. Hier braucht es eine Modernisierung, sodass jede:r Bürger:in in Deutschland von einer Sirene gewarnt werden kann. Selbstverständlich muss dazu auch die Bevölkerung in der Interpretation der Warnsignale geschult werden. Ein erster Schritt bei der Alarmierung wurde erledigt, indem ab 2022 das Cell-Broadcasting, also das automatische Absenden einer Warn-SMS an alle in einem Mobilfunknetz befindlichen Mobiltelefone, eingeführt wird. Bisher hat sich die Bundesregierung und allen voran der Innenminister gegen die Einführung dieses Instrumentes gewehrt und stattdessen auf Warn-Apps gesetzt, die allerdings zum Zeitpunkt der Katastrophe nur 10% der Bevölkerung runtergeladen hatten.

Das alles sind konkrete Maßnahmen, die mit den jetzt zu spürenden Folgen des Klimawandels einen Beitrag dazu leisten können, die Klimawandelfolgen abzumildern. Dennoch müssen diese in eine grundlegendere Strategie eingearbeitet werden, die auch andere Klimawandelfolgen, wie beispielsweise Hitzewellen, berücksichtigt. Gleichzeitig müssen diese Bemühungen mit stärkerem Klimaschutz zusammengedacht werden, um die Frequenz der Extremwetterereignisse zu reduzieren. An dieser Stelle sollte linke Politik ansetzen und klarmachen, dass guter Klima- und Katastrophenschutz und auch ein vernünftiger Schutz vor Starkregen und Hochwasser Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und eines modernen Sozialstaats sind, der niemanden im Stich lässt.

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Anfrage der Kreistagsfraktion Die Linke Rhein-Erft-Kreis vom 29.7.2021*

Wurde im Rhein-Erft-Kreis rechtzeitig vor dem Unwetter gewarnt?

Auszug. (…) Bereits am 14.7.21 bestätigten die Pegel an der Erft die Unwetterwarnungen des DWD. Die Pegel an Erft und ihren Zuflüssen meldeten die Überschreitung der Hochwasser- bzw. Warnpegel; so um kurz nach Mittag des 14.7.21 der Pegel Eicherscheid hinter Bad Münstereifel

Um 21 Uhr durchbrach der Wasserstand der Erft dort den Hochwasser-Extrempegel; kurz danach war eine Messung nicht mehr möglich. (…)

* Die detaillierte Anfrage der Kreistagsfraktion wurde inzwischen beantwortet, Anfrage und Antwort sind unter folgender Quelle zu finden: https://www.die-linke-im-kreistag-rhein-erft.de/nc/aktuell/nachrichten/detail/news/wie-ist-die-katastrophenvorsorge-und-der-katastrophenschutz-im-rhein-erft-kreis-bei-unwetterkatastro/

Abb. (PDF): Pegelentwicklung