Politische Berichte Nr.5/2021 (PDF)26a
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

Eine geschichtspolitische Streitschrift

Leseempfehlung: Eckart Conze, Schatten des Kaiserreichs

Rüdiger Lötzer, Berlin

Der Marburger Geschichtsprofessor Eckart Conze ist einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, als er im Namen einer 2005 vom damaligen grünen Außenminister Joschka Fischer einberufenen Unabhängigen Historikerkommission die Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit und danach der Öffentlichkeit präsentierte. „Das Amt und die Vergangenheit“ gilt seither als ein Standardwerk nicht nur zur Geschichte dieses Amtes, sondern auch als Vorbild für Studien zu anderen Ministerien.

Nun hat Conze zum 150. Jahrestag der Gründung des „Deutschen Reiches“ eine geschichtspolitische Streitschrift herausgegeben. „Die Debatten über ‚Die Schlafwandler‘ und die Hohenzollern zeigen, dass der Schatten des Kaiserreiches bis in die Gegenwart reichen. Ein neuer Nationalismus taucht das vergangene Reich in ein rosiges Licht und versucht, ein kritisches Bild seiner Geschichte zu entsorgen“, heißt es im Klappentext. Dieser neue Nationalismus richte sich auch gegen die außenpolitischen Bindungen, „nicht zuletzt in Europa“, kritisiert Conze.

„Mit seinem Buch ‚Die Schlafwandler‘ löste der Historiker Christopher Clark eine Debatte aus, die an die berühmte ‚Fischer-Kontroverse‘ der 1960er Jahre erinnerte“ (S. 15). Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschloss der Hohenzollern anstelle des Palasts der Republik, der anhaltende Streit, ob der Völkermord an den Herero und Nama 1904 bis 1908 eine Entschädigung rechtfertige, zählen für ihn ebenso zu dieser Rechtsverschiebung des geschichtspolitischen Diskurses wie die seit Jahren nicht abgewiesenen Rückgabe-Ansprüche des Hohenzollern-Clans und die Stimmungsmache der AfD gegen den „Schuld-Kult“.

Conze beschreibt und analysiert das Kaiserreich, sein durch Bismarck und die Hohenzollern systematisch vertieftes „bellizistisches“, preußische Waffengewalt verherrlichendes Geschichtsbild, die Abgrenzung gegen äußere (Frankreich) und innere Feinde (Sozialdemokraten, Zentrum, Polen, Juden etc.) und welche schlimmen Folgen das für die Weimarer Republik bis hin zum NS-Regime hatte. Auch die Hinweise zu den bundesdeutschen Debatten, die Unflat, mit der Fritz-Fischer Anfang der 1960er Jahre von der Mehrheit der konservativen Historiker überschüttet wurde, das Aufkommen der „Bielefelder Schule“ (Hans-Ulrich Wehler) und wie sich heute wieder konservative Historiker und Merkel-Berater an Fischer und der Bielefelder Schule abarbeiten, um eine auch mit Waffengewalt agierende Außenpolitik zu legitimieren – all das ist lesenswert und anregend auch für aktuelle Debatten.

Eckart Conze, Schatten des Kaiserreichs. Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe. Erschienen im dtv-Verlag 2020, 288 Seiten, 22,70 Euro.

Abb. (PDF): Cover.