Politische Berichte Nr.6/2021 (PDF)03
Blick auf die Medien

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Die Impfquote ist zur niedrig. Und jetzt?

Martin Fochler, München. Der Wirkungszusammenhang von niedriger Impfquote, wechselnder Übertragbarkeit je nach Virus-Variante und der Wahrscheinlichkeit von Impfdurchbrüchen ist kompliziert. Die Wissenschaft hilft sich mit Modellrechnungen, und so gab es im Sommer Szenarien (sogar einige), die zu der jetzt eingetretenen Lage passen. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt, wie hoch die Impfquote zu Beginn der Jahreszeit für Atemwegserkrankungen sein würde. An Werbung fürs Impfen hat es nicht gefehlt. Andererseits fand die Aversion gegen das Impfen auch ausreichend prominente Vorbilder, so im bayerischen Profifußball und im selben Bundesland im Kabinett der Landesregierung.

Durch öffentliche Meinungsbildung erzielte hohe Impf- und Nachimpfbereitschaft hätte – aller Wahrscheinlichkeit nach – das Infektionsgeschehen ganz erheblich gedämpft. Die jetzt einsetzende, dringend nötige nachholende Verbesserung der Impfquote kann sich aber erst nach einigen Wochen auswirken. Also bleibt aktuell das archaische Mittel der Unterbrechung von Sozialkontakten. Was wird unterbrochen und was nicht?

Es hat sich herausgestellt, dass die Übertragung von Wissen ohne persönliche Kontakte – zwischen den Heranwachsenden und mit erfahrenem Fachpersonal – nicht gelingt. Die Reichweite von IT-Verfahren ist begrenzt, besonders wenn es um längere Zeitperioden geht. Ebenso ist die Rückführung der Aufgabe in den häuslich-privaten Bereich unzulänglich. Technische Maßnahmen, die das enge Gegenüber und Miteinander, die Notwendigkeit der persönlichen Ansprache trotzdem möglich machen, wären hilfreich, aber kein Zaubermittel.

Allerdings ist in weiten Bereichen der modernen Arbeitsabläufe die Durchsetzung von Lüftung und Abstand möglich, sind Vorschriften zur Arbeitssicherheit gewohnter Alltag und bestehen Mitwirkungs- und Kontrollrechte von Betriebs- und Personalrat.

So bleibt für die Kontaktbeschränkung das weite Feld von Familienleben, Geselligkeit und zwangloser Öffentlichkeit. Das gibt einen Verlust an Lebensfreude und führt bei langer Dauer auch zum Untergang von Sozialkontakten, so z.B. sichtbar an den Schwierigkeiten der Vereine im Freizeitbereich. Behindert wird auch der Prozess der Orientierung im gesellschaftlichen Raum, die Versammlung vieler zur selben Zeit am selben Ort ist für die Prozesse der Meinungsbildung und des Entscheidens der Einzelnen unersetzlich.

Es entsteht ein Dilemma. Um Freiheiten bei der Lebensgestaltung zurückzugewinnen, entsteht auf breitester gesellschaftlicher Basis ein Interesse an erhöhtem Kontrolldruck, wobei alle Ebenen gesellschaftlicher Organisation einbezogen sind, wer auch immer was auch immer veranstaltet, gerät in eine Kontrollfunktion: Fehlender Impfnachweis => Ausschluss. Eine gesetzliche Regelung der Impfverpflichtung ist unter diesen Umständen unentbehrlich. Die neue Regierung muss rasch einen Entwurf liefern, mit dem sich Öffentlichkeit, aber auch die Gewerkschaften, Berufs- und Wirtschaftsverbände auseinandersetzen können. Für Regierung und Parlament enthält der Pro-Impfpflicht-Umschwung in der öffentlichen Meinung den Reiz zum Durchregieren, ein bekannter Weg zu schlechten Gesetzen, und wer meinen möchte, dass alle Worte gewechselt und Durchgreifen angezeigt wäre, irrt.

Da nun einmal ziemlich sicher ist, dass eine hohe Impfquote geholfen hätte, werden es wohl Schwächen in den Prozessen Politikbetrieb und der öffentlichen Willensbildung gewesen sein, die den Erfolg verhindert haben. Allzu vielen haben die Argumente und das organisatorische Angebot nicht genügt. Wo liegen die Schwächen? Was kann verbessert werden? Der Gesetzgeber ist gefragt, die Öffentlichkeit gefordert.

Abb. (PDF): Impfpflicht in ausgewählten Ländern, Übersicht aus Wikipedia.