Politische Berichte Nr.6/2021 (PDF)08
EU-Politik

Beziehungen Schweiz-EU auf keinem guten Weg

Alfred Küstler, Stuttgart

Wir hatten berichtet, dass die Schweiz die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen zur Regelung der gegenseitigen Beziehungen im Mai dieses Jahres abgebrochen hat (Politische Berichte 3/2021). Ich hatte damals die Hoffnung geäußert, dass sich vielleicht doch noch ein Weg finden lässt, schließlich sind die gegenseitigen Verflechtungen bei Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik eng, und das Schweizer Volk hat zwar den Beitritt zur EU abgelehnt, aber bisher immer allem zugestimmt, was die Beziehungen einvernehmlich regelte.

Inzwischen ist meine Hoffnung auf ein gutes Ende allerdings geringer geworden. Zwar hat das Schweizer Parlament, der Nationalrat, die blockierten Mittel für die EU-Kohäsionspolitik inzwischen freigegeben. Diese „Kohäsionsmilliarde“ sind Zahlungen der Schweiz für Entwicklungsprojekte in osteuropäischen Ländern, die dort den „Zusammenhalt“ (Kohäsion) stärken sollen, die Verwaltung und Vergabe bleibt bei der Schweiz. Auch Norwegen und die anderen Efta-Länder leisten regelmäßig solche Zahlungen, oft wird die Höhe an Gegengeschäfte gekoppelt (zum Beispiel Fischfangrechte). Die Reaktion aus der EU war allerdings sehr verhalten. Man habe zur Kenntnis genommen, dass die Schweiz jetzt endlich ihren Verpflichtungen nachkomme. Zugeständnisse bei den Projekten, die der Schweizer Regierung wichtig sind, wie etwa der Börsenzugang und die weitere Teilnahme an den EU-Forschungsprogrammen, kamen von Seiten der EU-Behörden nicht.

Mitte November trafen sich der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis und der für die Schweiz zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic. Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) berichtete: „Dennoch entsteht am Ende des Tages der Eindruck, dass es im gleichen Stil wie vorher weitergeht. Vorher, das ist vor dem Abbruch der Gespräche über ein institutionelles Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU im Mai. Die beiden Seiten reden offenbar noch immer aneinander vorbei.“

In getrennt abgehaltenen Pressekonferenzen kamen die Differenzen zum Vorschein. Der EU-Kommissar will einen raschen Fahrplan zur Lösung aller offenen strukturellen Fragen. Das sind die unveränderten Forderungen, die zum Abbruch der Verhandlungen geführt hatten, nämlich die Schweiz solle ihre Gesetze dynamisch an das EU-Recht anpassen, gleiche Wettbewerbsbedingungen (vor allem grenzüberschreitende Dienstleistungen) und ein Streitbeilegungsmechanismus mit dem der Europäische Gerichtshof als Schiedsrichter sowie einen regelmäßigen finanziellen Beitrag der Schweiz zur EU-Kohäsionspolitik.

Der Schweizer Außenminister dagegen sprach davon, dass erst einmal ein „strukturierter politischer Dialog“ etabliert werden solle. Bei dem soll eine Standortbestimmung vorgenommen und eine Agenda erarbeitet werde. Alles auf Null, als hätte es die Verhandlungen seit 2016 nicht gegeben. Und Cassis deutete an, dass vor den Wahlen im Herbst 2023 die Schweizer Regierung keine Entscheidung treffen werde.

Besonders bitter für die Schweiz: Der EU-Kommissar Sefcovic verknüpfte ausdrücklich den vollständigen Zugang zum Forschungsrahmenprogramm Horizon für Schweizer Forscher mit einem „ernstzunehmenden Engagement bei den für die EU wichtigen Fragen beim Marktzugang“. Die NZZ kommentiert: „Dennoch wirkt es stossend, dass die EU ausgerechnet die Türkei bereits vollständig zugelassen hat.“

Uneinheitliche Meinung bei den Parteien

Die Reaktionen zeigen die Spaltung bei den politischen Repräsentanten der Schweiz. Die rechtsnationale SVP (rund 25% bei der letzten Nationalratswahl) ist die einzige klar geschlossene Partei: Gegen eine Einigung mit der EU, sie hetzt gegen „fremde Richter“ und meint, dass Freihandelsabkommen mit Großbritannien, China und den USA einen Ersatz bieten würden und letztlich die EU auch ein solches Freihandelsabkommen abschließen müsse.

Die wirtschaftsliberale FDP (15%) will mehrheitlich keinen Rahmenvertrag, sondern einzelne Abkommen. Wie das mit der Position der EU zusammengehen soll, ist allerdings völlig offen. Andere in dieser Partei sind für einen EU-Beitritt.

Die Mitte (vorher CVP, 11%) hat eine ähnliche Position wie die FDP, auch hier eine leichte Mehrheit gegen ein Rahmenabkommen, eine Minderheit, vor allem mit Verbindungen zur Basler Pharma-Industrie ist für ein enges Verhältnis zur EU. Damit ist das bürgerliche Lager, das bei Wahlen rund 50% erreicht, eher EU-skeptisch und am rechten Rand ablehnend.

Die sozialdemokratische SP (17%) ist ebenfalls gespalten. Ein Flügel will eigentlich den Beitritt zur EU. Der gewerkschaftliche Flügel der SP dagegen hatte zum Scheitern der Verhandlungen über den Rahmenvertrag beigetragen. Die Grünen (13%) und die Grünliberalen (8%) sind eher europafreundlich, sind allerdings nicht in der Regierung vertreten, was sich vielleicht bei den nächsten Wahlen ändert.

Es gibt Vorschläge, die aber alle darunter leiden, dass es dafür keine Mehrheiten zu geben scheint. Das Nichthandeln führt allerdings dazu, dass die rechtsnationalen SVP am Ende als Gewinner erscheinen wird.

Die Lage scheint also bei den politischen Kräften in der Schweiz verfahren.

EU: verhärtet?

Auf EU-Seite zeichnet sich leider auch keine erfreuliche Entwicklung ab. Die Haltung der EU-Verwaltung wurde in den Gesprächen des EU-Kommissars Sefcovic mit Außenminister Cassis. Beharren auf Anerkennung der Regeln der EU oder draußen bleiben.

Leider senden auch die direkten Nachbarn der Schweiz keine Signale zur Lockerung der Verhandlungssituation. Österreich und Deutschland sind in Regierungsneubildungen; die freundlichen Worte des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann dringen kaum bis Berlin.

Und die französische Regierung? Hier scheint man eher verärgert. Am Freitag fand der französische Botschafter in der Schweiz, Frédéric Journés, in einem Gespräch mit der NZZ eher harte Worte. Hintergrund: Die Schweiz hat sich für das US-amerikanische Kampfflugzeug F-35 und gegen die konkurrierenden Angebote Rafale aus Frankreich beziehungsweise Eurofighter (Airbus, Großbritannien, Deutschland, Italien, Spanien) entschieden. Der französische Botschafter kommentiert: „Mit einem derartigen Großprojekt hätten wir die Beziehungen zwischen unseren Ländern auf eine neue Stufe heben können“. Aber nicht nur die Verärgerung über ein entgangenes Geschäft macht das Verhältnis schwierig. Journés: „Als die Schweiz und die EU die bilateralen Verträge unterzeichneten, war das Selbstbewusstsein groß. Die osteuropäischen Länder wollten der EU beitreten. Die Schweiz wollte dies zwar nicht, stellte einen Beitritt aber in Aussicht. Es war eine prosperierende, ruhige Epoche. Das hat sich geändert. Der Brexit war für die EU ein Schock, der sich auf die Beziehungen zur Schweiz ausgewirkt hat.“

Und zum Schluss gibt es eine kühle Absage. Auf die Frage, ob Frankreich nach Übernahme der Präsidentschaft des EU-Rats im Januar, die Beziehungen zur Schweiz thematisieren wird, kommt als Antwort: „Wir planen im EU-Rat nicht, die Schweiz zu thematisieren.“

Schlechte Aussichten also.