Politische Berichte Nr.6/2021 (PDF)10
Aktionen-Initiativen

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Aktionen / Initiativen. Thema: Impfpflicht

dok: Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

01 Benjamin-Immanuel Hoff, Alexander Fischer, Susanne Hennig-Wellsow:* „Notwendige Ultima Ratio Impfpflicht.“
02 Definition: Was heißt Impfpflicht ?
03 Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina. Coronavirus-Pandemie: Klare und konsequente Maßnahmen – sofort!
04 Ethikrat: Prüfung einer Impfpflicht für Mitarbeitende in besonderer beruflicher Verantwortung:
05 Verdi-Vorsitzender Frank Werneke zur Diskussion über eine Impfpflicht für bestimmte Beschäftigtengruppen.
06 Grundrechtekomitee: Tretet lieber nach oben! Für einen solidarischen Umgang – auch mit ungeimpften Personen.
07 Ärzte ohne Grenzen: Aufhebung des Patentschutzes.
08 Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää) unterstützt AWO-Empfehlungen zum Gesundheitsschutz Geflüchteter in Sammelunterkünften.

01

Benjamin-Immanuel Hoff, Alexander Fischer, Susanne Hennig-Wellsow:* „Notwendige Ultima Ratio Impfpflicht.“Das aktuelle Pandemiegeschehen mit einer vierten Infektionswelle sowie deren Inzidenz- und Hospitalisierungswerten bei einer gegenüber dem ursprünglichen Wildtyp signifikant ansteckenderen Delta-Variante und bei gleichzeitig zu niedriger Impfquote haben eine Debatte um die Einführung einer Impfpflicht entfacht. Aufgrund der hohen Emotionalität, mit der in Deutschland generell über Impfungen diskutiert wird, einschließlich Missverständnissen, Fehlinterpretationen bzw. bewussten Fake News, ist es zwingend erforderlich, in der Debatte klar und transparent zu argumentieren.

Eine Impfpflicht ist keine Zwangsimpfung. Die Durchsetzung von Impfpflichten durch körperlichen Zwang ist weder rechtlich noch moralisch zu rechtfertigen. Eine Impfpflicht wird deshalb hier als sanktionsbewehrtes Instrument verstanden.

Wir plädieren für eine allgemeine Impfpflicht statt einer berufsbezogenen Impfpflicht. Unabhängig von einer allgemeinen Impfpflicht sind weiterhin effektive Maßnahmen in der Bevölkerungskommunikation und -aufklärung umzusetzen. Dabei sind Maßnahmen zu wählen, die soziale Lagen berücksichtigen und geeignet sind, gesundheitliche Ungleichheiten abzubauen. Eine Impfpflicht erfordert eine entsprechende gesetzliche Regelung. Das Infektionsschutzgesetz bietet dafür keinen ausreichenden Rahmen.

* Die Autor*innen: Benjamin-Immanuel Hoff ist Chef der Staatskanzlei des Freistaates Thüringen. Heike Werner ist Thüringer Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie. Alexander Fischer ist Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Susanne Hennig-Wellsow ist Mitglied des Deutschen Bundestags und Vorsitzende der Partei Die Linke. – Der vollständige Text findet sich hier:

https://www.rosalux.de/publikation/id/45440/notwendige-ultima-ratio-impfpflicht?cHash=4e47ded6faa1e713af19cbeb535cc83c

02

Definition: Was heißt Impfpflicht ?

(Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg)

Impfpflicht bedeutet die gesetzlich sanktionierte Pflicht, eine Schutzimpfung vornehmen zu lassen und einen Nachweis darüber zu führen. Häufig wird zwischen direkter und indirekter Impfpflicht unterschieden.

Direkte Impfpflicht: „Die staatlich angeordnete Rechtspflicht, eine Impfung nachzuweisen, die mit einer Bußgeldandrohung versehen wird.“

Indirekte Impfpflicht: „Gesetzliche Regelungen, die ungeimpften Personen den Zugang zu Einrichtungen verweigern, die für ihre Lebensführung bedeutsam sind […].

Die Adressatinnen oder Adressaten der Norm werden gedrängt, abzuwägen, was ihnen wichtiger ist: der Zugang zur Einrichtung um den Preis der Impfung oder der Verzicht auf die Impfung um den Preis, den Zugang zur Einrichtung zu verlieren.“

https://www.lpb-bw.de/corona-impfpflicht

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Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina. Coronavirus-Pandemie: Klare und konsequente Maßnahmen – sofort!In diesen Tagen steht Deutschland vor einer erneuten, verschärften Eskalation der Covid-19-Krise. Es ist zu befürchten, dass Teile der Politik und Öffentlichkeit die Dramatik der Situation nicht in ihrem vollen Ausmaß erfassen. Dazu tragen die Vielstimmigkeit der öffentlich vorgebrachten Einschätzungen von Fakten und Prognosen, ein gewisser Gewöhnungseffekt und wohl auch das für viele „bloß“ statistische „Angesicht“ der Todesopfer und der Langzeitgeschädigten von Covid-19 bei. Die Autorinnen und Autoren dieser Ad-hoc-Stellungnahme sind einzeln und gemeinsam nach bestem Wissen der Auffassung, dass hier ein sofortiges Gegensteuern dringend erforderlich ist …

Vulnerable Gruppen wie kranke oder betagte Personen müssen effektiver als bisher geschützt werden. Die professionelle Verantwortung und Vorbildfunktion einschlägiger Berufsgruppen für die Erreichung einer hohen Durchimpfungsrate muss betont werden. Zu empfehlen sind:

• die Einbeziehung anderer medizinischer Berufsgruppen in die Impftätigkeit (Apotheker, Amtsärzte, Zahnärzte, Pflegekräfte und Hebammen), ggf. mit fachlicher und logistischer Unterstützung der Bundeswehr, des THW und anderer anerkannter privater Hilfsorganisationen in der Katastrophenvorsorge;

• die flächendeckende Wiedereinrichtung von Impfzentren mit langen Öffnungszeiten; eine weitere Verstärkung „aufsuchender Impfangebote“ an Orten mit hohem Personenaufkommen (z.B. Bahnhöfe, Ämter, Einkaufszentren), an sozialen Brennpunkten, in Seniorenheimen sowie für Personen, die sich vornehmlich im häuslichen Bereich aufhalten;

• die rasche Einführung einer berufsbezogenen Impfpflicht für Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und medizinische Fachberufe sowie weiterer Multiplikatorengruppen;

• die Vorbereitung zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht unter Berücksichtigung der dafür erforderlichen rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen.

https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/Nationale_Empfehlungen/2021_Coronaviurs-Pandemie_Klare_und_konsequente_Maßnahmen.pdf

04

Ethikrat: Prüfung einer Impfpflicht für Mitarbeitende in besonderer beruflicher Verantwortung: Der Deutsche Ethikrat hat sich bereits in seiner Stellungnahme zur Masernimpfung im Jahr 2019 mit einer berufsbezogenen Impfpflicht beschäftigt und diese für eine Reihe von Berufsgruppen empfohlen. In seinem gemeinsam mit der Ständigen Impfkommission und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina veröffentlichten Positionspapier vom November 2020 hat er zudem ausgeführt: „Eine undifferenzierte, allgemeine Impfpflicht ist (…) auszuschließen. Wenn überhaupt, ließe sich eine Impfpflicht nur durch schwerwiegende Gründe und für eine präzise definierte Personengruppe rechtfertigen. Dies beträfe insbesondere Mitarbeiter*innen, die als potenzielle Multiplikatoren in ständigem Kontakt mit Angehörigen einer Hochrisikogruppe sind, wenn nur durch eine Impfung schwere Schäden von dieser Personengruppe abgewendet werden könnten.“

https://www.ethikrat.org/mitteilungen/mitteilungen/2021/ethikrat-empfiehlt-pruefung-einer-impfpflicht-gegen-covid-19-fuer-mitarbeitende-in-besonderer-beruflicher-verantwortung/?cookieLevel=not-set

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Verdi-Vorsitzender Frank Werneke zur Diskussion über eine Impfpflicht für bestimmte Beschäftigtengruppen. „Die Impfquote in Bereichen wie der Pflege, dem Gesundheitswesen und Kitas ist im Verhältnis zum Durchschnitt der Bevölkerung sehr hoch. Wenn jetzt über eine Impfpflicht nachgedacht wird, führt das nicht dazu, dass signifikant mehr Menschen geimpft werden, sondern dass noch mehr Betroffene ihren Beruf verlassen werden. Das verschärft den Personalmangel in allen betroffenen Bereichen, namentlich in der Pflege und im Gesundheitswesen. Und es verstärkt das Glaubwürdigkeitsproblem in der Politik, nachdem eine Impfpflicht zuvor monatelang ausgeschlossen wurde und nun plötzlich alles anders kommen soll: Für die Beschäftigten in den Krankenhäusern, in der Pflege und in Kitas, die zwar enorm viel leisten, bleibt die frustrierende Erfahrung, dass sie von der Politik und den Arbeitgebern meistens nur mit warmen Worten abgespeist werden sollen.“

https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++075e9130-4627-11ec-b9db-001a4a16012a

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Grundrechtekomitee: Tretet lieber nach oben! Für einen solidarischen Umgang – auch mit ungeimpften Personen. Waren Supermärkte und andere Orte der Grundversorgung zu Beginn von der 2G-Option ausgenommen, so dürfen diese „2G“ nun auch anwenden. Zudem wurde die Kostenübernahme von Schnelltests beendet und seit dem 1. November 2021 wird ungeimpften Personen bei Quarantäneanordnung die Lohnfortzahlung verwehrt. Die politisch nicht opportune Impfpflicht wird so umgangen, auch wenn deren Einführung mittlerweile wohl ehrlicher wäre. Zudem gibt es noch immer kaum Schutzkonzepte für Schulen, mittlerweile wird in einigen Bundesländern eine Durchseuchungsstrategie gefahren. Mit fortschreitender Pandemiedauer hat sich der Staat immer mehr aus der Verantwortung gezogen und den Pandemieschutz ganz im neoliberalen Sinne dem Einzelnen überantwortet und agiert nun insbesondere mit ökonomischen Druckmitteln. Es gibt kaum öffentlich vernehmbare Kritik von links an den neueren Regelungen. Die deutschsprachigen Proteste gegen die Coronamaßnahmen sind in besonderem Maße von der radikalen Rechten getragen, progressive Akteur*innen wollen sich damit verständlicherweise nicht gemein machen. Hinzu kommt: Nach bald zwei Jahren Pandemie haben viele Menschen harte Entbehrungen hinter sich, haben vielleicht monatelang Angst um die eigene Gesundheit gehabt, leiden unter bleibenden Schäden oder haben gar geliebte Menschen an die Krankheit verloren … Die Auswirkungen der Pandemie sind so unterschiedlich wie wir Menschen und unsere Lebensumstände, aber es ist wohl kaum jemand völlig unbeschadet durch die letzten Monate gekommen.

Es ist also nachvollziehbar, dass Unverständnis oder gar Wut herrscht, wenn die Option einer Impfung nicht genutzt wird, ist dies doch eine einfache Möglichkeit, sich selbst und andere besser zu schützen. Doch die Gründe, warum sich einige (bisher) nicht haben impfen lassen, sind vielfältig. Befragungen zeigen, dass nur ein Teil der Nichtgeimpften überzeugte Impfgegner*innen sind. Weitere Gründe sind u.a. organisatorische Schwierigkeiten und fehlende Zugänge, Uninformiertheit, Faulheit, Ängste, fehlendes Vertrauen und eigene Risikoabwägungen – teilweise aufgrund von sich widersprechenden oder falschen Informationen im öffentlichen Diskurs.

Deswegen braucht es auch weiterhin möglichst wohlwollende öffentlich und privat geführte Diskussionen um den solidarischen Umgang miteinander. Es braucht einen unbürokratischen und einfachen Zugang zu Informationen und Impfangeboten. Zudem ist es notwendig, den Impfzugang weltweit schnellstmöglich zu verbessern, eine Pandemie kann nur global umfassend bekämpft werden.

Gleichzeitig braucht es eine entschiedene und fundierte Kritik am staatlichen Handeln der letzten Monate. Denn es macht nicht alles Sinn oder ist aus grundrechtlicher Sicht verhältnismäßig: So benachteiligen kostenpflichtige Tests arme Menschen. Häufiges Testen ist zudem auch für Genesene und Geimpfte weiterhin sinnvoll, 2G-Regelungen könnten eine Sicherheit vermitteln, die schnell von der Realität überholt werden.

Zweitens können uns aus radikaldemokratischer und menschenrechtlicher Sicht einige Entscheidungen noch teuer zu stehen kommen. Der Abbau etwa von Arbeitnehmer*innenrechten in Abhängigkeit von Gesundheitsdaten wird nicht beim Umgang mit der Covid-Impfung stehen bleiben. Dass dies von der gesellschaftlichen Linken und den Gewerkschaften kampflos zugelassen wurde, ist erbärmlich.

Es braucht ein Eintreten auch für die Rechte, insbesondere Arbeitsrechte, der (noch) nicht Geimpften bei gleichzeitiger klarer Positionierung für einen umfassenden Gesundheitsschutz aller, für eine Patient*innen- und personalzentrierte Pflegereform, für die Unterstützung besonders betroffener Gruppen und Branchen. Es braucht insbesondere transnationale Solidarität und Zusammenarbeit und insbesondere die Aufhebung der Impfstoff-Patente.

https://www.grundrechtekomitee.de/details/tretet-lieber-nach-oben-fuer-einen-solidarischen-umgang-auch-mit-ungeimpften-personen

07

Ärzte ohne Grenzen: Aufhebung des Patentschutzes. Anlässlich der in Südafrika entdeckten neuen Virusvariante fordert Ärzte ohne Grenzen die sofortige Aufhebung des Patentschutzes für Covid-19-Materialien … Ungeachtet der Absage der WTO-Ministerkonferenz berät ab morgen der WTO Trips Rat über einen seit 14 Monaten vorliegenden Antrag von Indien und Südafrika, geistige Eigentumsrechte, unter anderem Patente, für die Dauer der Pandemie auszusetzen. Das würde nicht nur für Impfstoffe gelten, sondern für alle Materialien, die gegen Covid-19 gebraucht werden. Bisher verhindern Deutschland, Großbritannien, die Schweiz und die EU den Trips Waiver … Bis heute liefern die Hersteller Impfstoffe und viele medizinische Produkte gegen Covid-19 gar nicht oder nur in geringer Menge an ärmere Länder. Patente und andere geistige Eigentumsrechte verhindern, dass diese Länder selbst in die Produktion einsteigen können – obwohl Kapazitäten und Qualifikationen vorhanden wären. Wenn überhaupt Lizenzen in einzelnen Ländern vergeben werden, dann sind diese oft sehr restriktiv und lösen das Problem auf globaler Ebene nicht, wie etwa aktuell bei dem Covid-19-Medikament Molnupiravir von Merck. Der Trips Waiver hingegen würde sofort eine globale Produktionsausweitung ermöglichen.

https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/omikron-patente

08

Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää) unterstützt AWO-Empfehlungen zum Gesundheitsschutz Geflüchteter in Sammelunterkünften.Der Verein erklärt seine nachdrückliche Unterstützung von Forderungen der Arbeiterwohlfahrt (AWO), angesichts der Covid-19-Pandemie die Unterbringungs- und Versorgungssituation von Geflüchteten in Deutschland erheblich zu verbessern. Die AWO hat Mitte Oktober das Standpunktpapier „Unterbringung von geflüchteten Menschen und die Corona-Pandemie – Forderungen an die Politik und Empfehlungen an die Praxis“ veröffentlicht. Es beleuchtet die Einschränkungen sozialer und gesundheitlicher Teilhabe geflüchteter Menschen, die sich aus ihrer Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften ergeben. Das erhöhte Risiko einer Ansteckung mit dem Corona-Virus durch unzureichende Schutzmaßnahmen in den Unterkünften ist ein besonders offensichtliches Beispiel. Die AWO fordert dementsprechend eine schnelle Umverteilung aus den Sammelunterkünften in Wohnungen und die Aufhebung der Wohnverpflichtung, wenn der Infektionsschutz nicht gewährleistet werden kann. „Neben dem Anliegen der dezentralen Unterbringung unterstützen wir die Forderung der AWO, dass alle Geflüchteten in die Gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen werden und dass das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft wird, alle Leistungsberechtigten also in das SGB II und SGB XII überführt werden“, erklärt Ahls weiter … Einig sind sich AWO und vdää auch darin, dass zu den Fürsorge- und Schutzpflichten des Staates Bemühungen gehören, die Impfquote in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften zu erhöhen.

https://www.vdaeae.de/images/211027_PM_vdaeae_AWO-Empfehlungen.pdf