Politische Berichte Nr.6/2021 (PDF)14
Aus Kommunen und Ländern

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Chancen und Risiken von Rekommunalisierungen

01 dok: Thüringen: Die Rückkehr zum Öffentlichen Zum Autor: Frank Kuschel
02 dok: rls-Studie: Daseinsvorsorge und Rekommunalisierung Die Autorin Dr. Vera Weghmann

Thorsten Jannoff, Gelsenkirchen

Nach den großen Privatisierungswellen öffentlicher Unternehmen und Dienstleistungen insbesondere in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, hat eine Gegenbewegung in den verschiedensten Formen eingesetzt. So gab es seit dem Jahr 2000 rund tausend Rekommunalisierungen in zwanzig europäischen Ländern, davon rund die Hälfte in der Bundesrepublik. „Betroffene Schwerpunktbereiche waren der Energiesektor (BRD), die Wasserversorgung (Frankreich, Spanien) und die Abfallentsorgung (BRD).“ Dieses Zitat stammt aus der Broschüre des „Kommunalpolitischen Forum Thüringen e.V.“ bzw. der „Thüringengestalter“ mit dem Titel: „Rekommunalisierungen in Thüringen – Chancen und Risiken“. Darin geht es um die Folgen von Privatisierungen und die Bedeutung kommunaler Leistungserbringung. Außerdem werden die rechtlichen Rahmenbedingungen erläutert. Sehr hilfreich sind die 80 Begriffserklärungen aus der Kommunalpolitik auf insgesamt 35 Seiten, die die Broschüre auch zu einem Nachschlagewerk machen.

Eine weitere neue Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Daseinsvorsorge und Rekommunalisierung“ beschreibt Rekommunalisierungen der letzten zwanzig Jahre in Deutschland und gibt Hinweise über die rechtlichen Hintergründe und wie solche Projekte erfolgreich durchgeführt werden können. Leider fehlt gänzlich die gescheiterte Rekommunalisierung des Energiekonzerns Steag durch verschiedene Ruhrgebietskommunen. Dabei zeigt gerade dieses Paradebeispiel die systemischen Grenzen von Rekommunalisierungen auf, wenn demokratisch verfasste Kommunen, zumal noch mit unterschiedlichen Interessen, einen autoritär organisierten, weltweit agierenden Großkonzern übernehmen. Dieses Projekt war besonders von kommunaler Seite von Anfang an mit falschen, zum Teil ideologisch aufgeladenen Erwartungen verbunden und wäre ein gutes Beispiel dafür gewesen, wie es nicht geht. Trotzdem liefert diese Broschüre, wie auch die aus Thüringen, für kommunalpolitisch Tätige und Interessierte spannende Hinweise und Informationen.

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dok: Thüringen: Die Rückkehr zum Öffentlichen

Zum Autor: Frank Kuschel ist Fachberater für Kommunal- und Verwaltungsrecht. Er ist Leiter des Instituts für Kommunalberatung und -bildung (IKBB) und Verlagsleiter des THK-Verlags Arnstadt. Er ist Autor bzw. Mitautor zahlreicher Fachbücher, u. a. „Das Gläserne Rathaus“, „Haushalten mit Links“ und „ABC der Thüringer Kommunalpolitik“, „Kompaktlexikon Thüringer Landtag“ und „Das neue Vergaberecht in Thüringen“. (105 Seiten, erschienen im Dez. 2020)

https://thueringengestalter.de/wp-content/uploads/2021/01/Thueringengestalter-Rekommunalisierungen-HeftA5-D-web.pdf

(Auszüge) Die Thüringer Städte und Gemeinden haben 2012/13 Eon Thüringen vollständig in kommunales Eigentum übernommen.

Die Bürgerinnen und Bürger aus dem Ilm-Kreis entschieden vor mehr als fünf Jahren im Ergebnis eines Bürgerentscheid mit 73% (bei 43% Wahlbeteiligung), dass die Abfallwirtschaft künftig durch den Landkreis selbst wieder durchgeführt wird.

Gera kauft mit Unterstützung des Landes die vor einigen Jahren privatisierten Wohnungsbestände wieder zurück.

Bad Salzungen und Bad Tabarz übernehmen wieder Kindergärten von freien Trägern in kommunale Hoheit.

Der Ilm-Kreis kommunalisiert den öffentlichen Personennahverkehr. Jena kauft von Eon die Stadtwerkeanteile zurück.

Was geschieht da in Thüringen? Weshalb übernehmen die Kommunen Einrichtungen und Unternehmen von Privaten zurück und dies unter den Bedingungen der Marktwirtschaft?

Sind die Thüringer Kommunen auf den Weg zurück zur sozialistischen Planwirtschaft mit öffentlichen (volkseigenen) Betrieben?

Bei dieser letzten Frage würden die kommunalen Akteure wohl zurecht protestieren. Stattdessen würden die Akteure auf die Folgen der seit 1990 in den Thüringer Kommunen vollzogenen Privatisierungen und Übertragungen auf private Träger verweisen

Nicht nur, dass sich durch diese Privatisierungen und Übertragung auf Private die Kosten erhöht haben, auch die Qualität der erbrachten Leistungen, die demokratische Kontrolle und Steuerung sowie Transparenz haben sich erheblich verschlechtert.

Ausschlaggebend für die Rekommunalisierungen war letztlich auch die Wirtschafts- und Finanzkrise 2007 bis 2009. Hier hat sich deutlich gezeigt, dass Private nur bedingt Leistungen kostengünstiger und qualitativ besser anbieten können als die Kommunen selbst.

Wenn in Krisenzeiten Gewinne zurückgehen, reagieren die Privaten wie so oft mit Personal- und damit Leistungsabbau und erhöhen die Preise.

Die Rekommunalisierung als eine Antwort war deshalb nur folgerichtig.

Aber auch eine andere Erkenntnis befördert Rekommunalisierungsprojekte.

In den Bereichen, in denen durch kommunale Unternehmen Leistungen angeboten werden und damit auch eine Vielzahl von Eigentumsformen bestehen, wirkt dies immer „beruhigend“ auf den Markt, die Angebote und Preise. Dies zeigt sich im Finanzbereich durch die Sparkassen, im Wohnungsbereich durch die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften oder bei der Energieversorgung durch die Stadtwerke.

Hätte es im Finanzbereich während der Krise 2007 bis 2009 nicht die Sparkassen gegeben, wäre das bundesdeutsche Finanz- und Kreditwesen wesentlich mehr mit Krisenfolgen belastet gewesen. Es waren gerade die Sparkassen, die für Stabilität gesorgt haben.

Auch wenn Rekommunalisierungsprojekte immer auch eine Herausforderung sind, gehören ihnen die Zukunft und stärken die Kommunen und damit die Gesellschaft als Ganzes.

(…) Die Studie beschäftigt sich mit den Chancen und Risiken der Kommunalisierung. Hierzu sollen zunächst noch einmal die Folgen der Privatisierung der kommunalen Einrichtungen und Leistungen ab 1992 dargestellt werden. Daran schließt sich eine Analyse der gesamtpolitischen und -wirtschaftlichen Bedeutung der kommunalen Leistungserbringung an. Die Studie stellt bewusst auch die Chancen und Risiken der kommunalen Leistungserbringung dar.

Weshalb es als Reaktion auf die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 verstärkt zu Rekommunalisierungsprojekten kam, wird auch Gegenstand der Untersuchungen sein. In dem Zusammenhang sollen die politischen, kommunalen und finanzpolitischen Motive für die Rekommunalisierung beleuchtet werden.

Die Studie beschäftigt sich zwangsläufig mit aktuellen und notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen für Rekommunalisierungen. Dies schließt die aktuellen und notwendigen haushaltsrechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die Rekommunalisierung ein. Ein Schwerpunkt bildet die Untersuchung der BürgerInnenbeteiligung bei Rekommunalisierungsprojekten.

Die Studie erläutert auch mögliche Verfahrensschritte bei Rekommunalisierungsprojekten und bildet damit eine Art Wegweiser für geplante Projekte. Durch die Dokumentation von Fallbeispielen für Rekommunalisierungsprojekte soll verdeutlicht werden, dass es sich hier nicht nur um einzelne Projekte, sondern einen Trend handelt. Die Studie endet mit Schlussfolgerungen für die Landes- und Kommunalpolitik in Thüringen, damit Rekommunalisierungsprojekte noch zielgerichteter auf den Weg gebracht und umgesetzt werden können.

Die Studie entstand selbstverständlich unter dem Eindruck der Coronapandemie. Sie stellte eine weitere große Herausforderung für die BürgerInnen, die Wirtschaft, den Handel, die Gastronomie, den Kultur- und Freizeitbereich und auch die Kommunen dar.

Zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Studie war noch keine gesicherte Prognose darüber möglich, wie lange die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie noch wirken werden müssen. Auch andere Auswirkungen, insbesondere auf die Wirtschaft, die öffentlichen Finanzen und das öffentliche Leben, konnten zum Zeitpunkt der Studienerstellung nicht gesichert eingeschätzt werden.

Was sich aber bereits deutlich herausgestellt hat, ist eine Debatte über die Trägerschaft des Gesundheitswesens. Zunehmend wird berechtigt die Frage gestellt, ob ein Gesundheitswesen, das liberalisiert ist (also wo Marktmechanismen wirken), in der Lage ist, in einer derartigen Krisensituation zu funktionieren und wie diese Funktionsweise zu finanzieren ist.

Berechtigt wird gefordert, dass das Gesundheitswesen wieder vollständig in staatliche (öffentliche) Verantwortung zu nehmen. Hier wird demnach auch die Rekommunalisierungsdebatte befördert.

Zunehmend wird auch bewusst, dass ohne Änderungen im Steuersystem die finanziellen Folgen der Pandemie nicht gemeistert werden können. Seit 1992 kam es zu erheblichen finanziellen Verwerfungen im Steuerrecht. Zunehmend wird das Gemeinwesen durch VerbraucherInnen und lohnabhängig Beschäftigte finanziert. Der Finanzierungsanteil aus Vermögen und wirtschaftlicher Betätigung sinkt seit 1992 permanent. In Krisenzeiten werden diese Verwerfungen noch deutlicher erkenn- und spürbar. Ohne stärkere Besteuerung von Vermögen und wirtschaftlicher Betätigung werden die finanziellen Folgen der Pandemie ohne soziale Verwerfungen nicht gerecht lösbar sein.

Unser jetziges Wirtschafts- und Finanzsystem stößt in dieser Krisensituation deutlich an seine Grenzen. Notwendig ist deshalb eine Grundsatzdebatte über unsere gesellschaftliche Zukunft. Gerade jener letzte Punkt kann durch diese Studie nicht genauer untersucht und bewertet werden.

Abb. (PDF): Cover der Broschüre. Tabelle zum Umsatz kommunaler Unternehmen nach Branchen.

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dok: rls-Studie: Daseinsvorsorge und Rekommunalisierung

Die Autorin Dr. Vera Weghmann arbeitet für Public Services International Research Unit (PSIRU) an der University of Greenwich in London. Die Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen Arbeit sind öffentliche Dienstleistungen, Privatisierung und Rekommunalisierung sowie Arbeitspolitik und Gewerkschaften. Vera ist Co-Gründerin der unabhängigen Gewerkschaft United Voices of the World. (126 Seiten. August 2021)

https://www.rosalux.de/publikation/id/45138/daseinsvorsorge-und-rekommunalisierung?cHash=cbd66f847c402da31668a9a33cfa921f

Nicht erst vor dem Hintergrund der derzeitigen COVID19-Pandemie wird in der Gesellschaft und in der Politik erneut die Frage diskutiert, welche Aufgaben „der Staat leisten muss“ und soll, welche Güter in die staatliche bzw. öffentliche Daseinsvorsorge gehören. In vielen Fällen kommt den Kommunen eine tragende Rolle zu: sie sind es, die häufig Träger der staatlichen Leistungen und Institutionen wie Stadtwerke oder Krankenhäuser waren oder noch sind, aber immer mehr durch externe Einflüsse (Liberalisierungsentscheidungen der EU, unterschiedliche Steueraufkommen, Schuldenbremse etc.) finanziell unter Druck kamen und kommen. Und so müssen sich Kommunen immer mehr dem „Privatisierungsdruck“ und den „Sachzwang“-Argumentationen erwehren oder sogar beugen.

Dass die oben beschriebene Idee aber kein politisches Dogma ist, zeigen zahlreiche Rekommunalisierungen, vor allem in den letzten 20 Jahren. So waren es in der Mehrheit nicht nur progressive und linke Entscheidungsträger*innen, die sich für ein „Rückholen“ von Leistungen in die öffentliche Hand eingesetzt haben, um wieder mehr Einfluss auf die Qualität und Versorgung Einfluss zu haben und gleichzeitig neue Infrastrukturen aufzusetzen, u.U. auch um eine zeitgemäße Versorgung für die Einwohner*innen zu gewährleisten. Aber auch diese Prozesse waren im Detail nicht immer erfolgreich, scheiterten oder liefen nicht ohne Schwierigkeiten ab.

Die Broschüre gibt einen Überblick über die Entwicklung von Rekommunalisierungen (internationale wie bundesweit) sowie über die rechtlichen Rahmenbedingungen. Ein Fokus liegt auf der Darstellung von mehreren Beispielen der Rekommunalisierung in Deutschland in verschiedenen Branchen (Wasser, Energie, Abfall, Krankenhäuser, Wohnen, Verkehr etc.). Dabei werden neben der vorherigen Entwicklung hin zur Privatisierung die politischen, rechtlichen und ganz faktischen Herausforderungen der unterschiedlichen Rekommunalisierungsbestrebungen ausgeführt. Insbesondere wurden auch durch Interviews mit Kommunalpolitiker*innen vor Ort die Erfahrungen und die lokalpolitischen Entwicklungsprozesse skizziert (inklusive der Zusammenarbeit mit Partner*innen wie Gewerkschaften oder Bündnissen).

Die Broschüre soll vor allem Ideen geben und eine Argumentationshilfe für progressive und linke kommunale Amts- und Mandatsträger*innen, lokalpolitisch engagierte Menschen in Vereinen und Initiativen und interessierte Menschen sein, um sich vor Ort konkret mit der Frage von Rekommunalisierungen und mit öffentlicher Daseinsvorsoge auseinanderzusetzen.

Abb. (PDF): Cover der Broschüre. Grafik.