Politische Berichte Nr.6/2021 (PDF)19a
Gewerkschaften/Soziale Bewegung

EP verabschiedet Asbestbericht

Nach 2013 hat das Europäische Parlament nun am 20. Oktober erneut einen Bericht zu Asbest verabschiedet. Wir berichteten in den PB 3/2021 (S. 18/19), dass der Berichterstatter Nikolaj Villösen (The Left Group) einen anspruchsvollen Bericht mit weitreichenden Forderungen als Entwurf vorgelegt. 205 Änderungsanträge waren daraufhin eingegangen.

Rolf Gehring, Brüssel

Bericht und Vorgang sind in mehrerer Hinsicht interessant. Zuerst einmal hat der Bericht eine überraschend große Zustimmung erhalten, obwohl nicht nur die gewerkschaftliche Seite intensiveres Lobbying betrieben hat. Am Ende hatte sogar die Europäische Kommission sich direkt an Abgeordnete gewandt, um eine vorgeschlagene Absenkung des aktuellen Grenzwertes von 100 000 Faser pro m³ auf 1 000 zu vermeiden. Eine Aktion, die am Ende wohl kontraproduktiv für die Europäische Kommission wirkte, da sich das Parlament nicht reinreden lassen wollte. 675 Abgeordnete sprachen sich für den Bericht aus, zwei enthielten sich und 23 votierten dagegen.

Interessant ist vor allem, dass das Parlament einen breiten Ansatz gewählt hat und nicht nur eine Revision der bestehenden Arbeitsschutzrichtlinie gewählt hat, in der sich auch der Grenzwert findet. Es wurden also andere Themen und Rechtsakte mitbearbeitet. In mehreren Anhängen zu dem Bericht sind Vorschläge für neue Rechtsinstrumente oder zur Revision bestehender Gesetze gemacht worden. Im Einzelnen werden insbesondere:

• eine Aktualisierung der Richtlinie 2009/148/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz,

• eine Europäische Strategie zur Beseitigung von Asbest und dabei eine europäische Rahmenrichtlinie für nationale Strategien zur Asbestsanierung,

• eine weitgehende Anerkennung und Entschädigung bei asbestbedingten Krankheiten, einschließlich Anforderungen zu Entschädigungsverfahren und Beweislastumkehr,

• die Ermittlung von Asbest vor energetischen Renovierungsarbeiten und Verkauf oder Anmietung eines Gebäudes, sowie eine Überarbeitung der Richtlinie zur energetischen Gebäudesanierung gefordert.

Da der Bericht eine Legislativinitiative ist, gewissermaßen das weitreichendste Instrument des Parlaments, und Frau von der Leyen in ihrer Antrittsrede angekündigt hatte, dass das Parlament in ihrer Amtszeit mehr Einfluss erhalten sollte, solche Initiativen ernst genommen würden, wird interessant sein, wie die Kommission reagiert. Friktionen dürften sicher sein

Die Kommission hatte in etwa parallel zur Parlamentsinitiative eine Konsultation zur Revision des Asbestgrenzwertes gestartet. Diese ist im tripartiten Beratenden Ausschuss verhandelt worden. Dort traf die Arbeitnehmerseite mit ihrem Vorschlag, sich am Parlamentsbericht zu orientieren, auf einhellige Ablehnung der staatlichen und der Arbeitgeberseite. Diese schlugen 10 000 Fasern vor (ein Grenzwert, der in den meisten europäischen Ländern aktuell gilt), einschließlich des Vorschlages, die Kommission solle bis spätestens 2030 eine weitere nicht bezifferte Absenkung vorschlagen. Viel zu spät aus Sicht der Arbeitnehmerseite, da, wenn die geplanten energetischen Gebäudesanierungen tatsächlich durchgeführt werden, eine hundertausendfache Exposition zu erwarten ist. Bei diesen Sanierungen werden potentiell fast alle klassisch asbestbelasteten Ecken des Hauses bearbeitet.

Für die weitere Diskussion eines abgesenkten Grenzwertes wird interessant sein, ob etwa Daten aus den Niederlanden zur dortigen Umsetzung des neuen Grenzwertes von 2 000 verfügbar sind, die die Machbarkeit eines niedrigen Grenzwertes belegen können.

Asbestbericht: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0427_DE.html