Politische Berichte Nr.6/2021 (PDF)22
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Verlierer mit Stammwählern – Die AfD nach der Bundestagswahl

Die AfD gehört zu den Wahlverlierern der Bundestagswahl 2021, konnte sich gleichzeitig mit einem zweistelligen Ergebnis zum zweiten Mal in Folge im Bundestag verankern und ist in Ostdeutschland unangefochten Volkspartei, mit zwei ersten Plätzen in Sachsen und Thüringen. – Trotz deutlicher Verluste für die AfD gibt es keinen Grund zur Entwarnung, denn die Wahlen haben deutlich gemacht, dass die Partei inzwischen auf eine Stammwählerschaft zurückgreifen kann, die sie verlässlich auf bundesweite Ergebnisse von 10 Prozent und mehr bringt. Auf der anderen Seite scheint die Aufstiegsphase beendet und neue Wählergruppen nur noch schwer für die Partei zu erreichen zu sein. Die Schwäche der Union hat der AfD 16 Direktmandate beschert, 13 mehr als 2017. Zehn dieser Direktmandate wurden allein in Sachsen erzielt, neben Thüringen die absolute Hochburg der Partei.

Gerd Wiegel, Berlin

Ergebnisse der AfD

10,3 Prozent für die AfD bedeuten einen Verlust von 2,3 Prozent im Vergleich zur Wahl 2017. In absoluten Zahlen und bei fast gleicher Wahlbeteiligung ist das ein Minus von knapp 1,1 Mio. Stimmen. Mit 83 Abgeordneten, davon 11 Frauen, zieht die Partei in den 20. Bundestag ein. Die markante Differenz in den AfD-Ergebnissen zwischen Ost- und Westdeutschland hat sich fortgesetzt. Während die Partei im Osten im Schnitt auf 18,9 Prozent kam, waren es im Westen nur 8,2 Prozent. Hier setzt sich ein Abwärtstrend fort, der schon bei den letzten Landtagswahlen zu beobachten war. Überdurchschnittliche Verluste gab es in Baden-Württemberg (-2,6%), Bayern (-3,4%), Berlin (-3,6%), Bremen (-3,1%), Hamburg (-2,8%) und Hessen (-3,1%). Im Osten gelang es der Partei in Sachsen und Thüringen zwar zur stärksten Kraft zu werden (24,6 bzw. 24 %) aber auch in Sachsen hat die AfD Verluste zu verzeichnen (-2,4%). Zulegen konnte sie nur in Thüringen (+1,3%).

Die AfD hat an alle anderen Parteien im Saldo Stimmen verloren außer an die Linke, von der sie noch einmal 90 000 Stimmen hinzugewann. Die stärksten Verluste gingen an die SPD (260 000) und die FDP (210 000), sowie an die „Anderen“ (180 000) und die Nichtwähler (180 000). Welche Rolle hier die Querdenker-Partei „Die Basis“ spielte, ist unklar. Von der Union, bisher Hauptquelle für den Aufstieg der AfD, konnte die Partei keine Zugewinne mehr generieren.

Die Schwäche der Union hat der AfD 16 Direktmandate beschert, 13 mehr als 2017. Zehn dieser Direktmandate wurden allein in Sachsen erzielt, womit die Landesliste der Partei komplett nicht mehr zog, wodurch bekannten Flügel-Protagonist wie etwa Jens Maier nicht mehr in den Bundestag einzogen. Weitere vier Direktmandate holte die Partei in Thüringen, dazu zwei in Sachsen-Anhalt.

Strukturelle hat sich an den Stärken und Schwächen der AfD wenig geändert. Ländliche und kleinstädtische Gebiete sind für die Partei ein besseres Terrain als die großen Städte. In sechs Wahlkreisen erreicht sie Zweitstimmen-Ergebnisse von ca. 30 Prozent: Görlitz (32,5), Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (31,9), Bautzen I (31,9), Erzgebirgskreis I (30,6), Mittelsachsen (30) und Meißen (29,8). In Görlitz holte Parteichef Tino Chrupalla mit 35,8 Prozent das beste Erststimmen-Ergebnis für die AfD. In den westdeutschen Bundesländern kommt die AfD nur noch im Saarland auf ein zweistelliges Ergebnis (10%), wogegen sie in allen ostdeutschen Bundesländern zwischen 18 und 24 Prozent liegt (BB 18,1%; MV 18%; ST 19,6%; SN 24,6%; TH 24%).

Ein Blick auf die stärksten Zweitstimmenergebnisse der AfD zeigt eine deutliche Konzentration auf einen Gürtel im Südosten, der von Suhl-Schmalkalden in Thüringen bis Görlitz in Sachsen reicht. Insgesamt hat die AfD in Ostdeutschland eine Verankerung erreicht, bei der sich ohne Zweifel von einer Volkspartei sprechen lässt.

Bei den wahlentscheidenden Themen lässt sich gut die Differenz der Wählerinnen und Wähler der AfD zu allen anderen feststellen. Während für erstere nach wie vor das Thema Zuwanderung gefolgt vom Umgang mit Corona die höchste Priorität genoss, spielet diese Themen im Rest der Bevölkerung nur eine untergeordnete Rolle.

Neue Bundestagsfraktion

Sieht man sich die Zusammensetzung der neuen Bundestagsfraktion an, dann fällt die große Zahl (25) neuer Abgeordneter auf, was u.a. auf die vielen Direktmandaten zurückzuführen ist. Die generelle Verschiebung zugunsten der völkischen Rechten innerhalb der Partei spiegelt sich auch in der Fraktion. Mit Stephan Brandner, Karsten Hilse, Gottfried Curio oder Markus Frohnmaier sind bekannten Lautsprecher der völkischen Rechten erneut eingezogen. Ergänzt werden sie durch neue Flügel-Leute wie Christina Baum aus Baden-Württemberg oder den Brandenburger Berufssoldat Hannes Gnauck, der selbst vom MAD als „Rechtsextremist“ eingestuft wird. Der aus NRW kommende Matthias Helfereich, der sich selbst als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnet, wurde nicht in die neue Fraktion aufgenommen. Grund dafür ist sicherlich nicht seine politische Orientierung am Vorbild des NS, sondern sein flapsiges öffentliches Kokettieren damit. Was bei Höcke, Gauland und anderen problemlos durchgeht, gilt nicht für jeden Hinterbänkler.

Mit Alice Weidel und Tino Chrupalla haben sich die Kandidat*innen für den Fraktionsvorsitz durchgesetzt, die für die Integration der völkischen Rechten stehen und von dieser auch weitgehend abhängig sind.

Strategische Schwächen

Bemerkenswert ist, dass die AfD nicht vom massiven Einbruch der Union profitieren konnte, die von Partei und Fraktion als Hauptkonkurrent ins Visier genommen und in Form von Kanzlerin Merkel als zentrales Feindbild apostrophiert wurde. Diese Entwicklung ist Beleg für die These, dass die AfD aktuell ausmobilisiert ist, dass sie also ein Maximum an Wählerinnen und Wählern erreicht und mobilisiert hat, gegenwärtig aber nicht in der Lage ist, neue Milieus zu erschließen.

Zumindest bis zum Wahltag Ende September ist der Versuch, sich der Querdenken-Bewegung als parlamentarischer Arm anzudienen, gemessen am Wahlergebnis gescheitert. Trotz des Geredes in Partei und Fraktion von Coronadiktatur, DDR 2.0, Ermächtigungsgesetz und anderer wilder Verschwörungsmythen blieb diese Ausrichtung wahlarithmetisch erfolglos. Zwar dürfte die Partei vor allem in Ostdeutschland den größten Teil der Stimmen von Coronaleugner*innen oder -skeptiker*innen erhalten haben -, das waren zum großen Teil aber Leute, die die Partei ohnehin wählen. Im Südwesten (Baden-Württemberg), der anderen Hochburg der sog. „Querdenker“, ist ihr das nicht gelungen.

Sieht man sich die Zustimmungswerte der AfD im Verlauf der Wahlperiode an, dann ist ein deutlicher Abfall mit dem Beginn der Corona-Krise im März 2020 zu verzeichnen. Bis dahin lag die Partei in den Umfragen immer oberhalb ihres Wahlergebnisses von 2017 (12,6 %), mit zeitweiligen Höhepunkten von 18 Prozent. Mit dem tendenziellen Verschwinden der Migrationsdebatte und dem Beginn einer massiven gesellschaftlichen Krise, für die der AfD keinerlei Kompetenzen zugeschrieben wurde, sanken ihre Umfrageergebnisse deutlich, teilweise unter die 10-Prozent-Marke.

Schlussfolgerungen

Jörg Meuthen hat sehr schnell nach der Wahl erkannt, dass seine Zeit als Parteivorsitzender abgelaufen ist. Der taktisch motivierte Kampf gegen die völkische Rechte, die Meuthen als Hindernis für ein Anwachsen im Westen sieht, ging für ihn klar verloren. Meuthens Rückzug zeigt allen, dass man in der AfD nicht gegen die in Teilen neofaschistische Rechte Politik machen kann.

Im Umfeld der AfD werden die Ergebnisse sehr unterschiedlich bewertet und orientieren sich an scheinbar unvereinbaren Alternativen: Völkische Bewegungspartei mit systemoppositioneller Ausrichtung oder Teil eines konservativen Blocks, der perspektivisch parlamentarische Mehrheiten rechts der Mitte organisiert. Während das Höcke-Lager auf die Erfolge im Osten verweist und den thüringischen und sächsischen Weg als Strategie für ganz Deutschland empfiehlt, verweist die Gegenseite auf die Unterschiedlichkeit von Ost- und Westdeutschland, die eine Kopie der Osterfolge unmöglich mache. So schreibt Dieter Stein in der „Jungen Freiheit“: „Die Rezepte aus dem Osten lassen sich eben nicht auf den Westen übertragen. Dies ist eigentlich schon länger bekannt, bleibt aber bislang ohne Konsequenzen – was sich zunehmend rächt und die Partei in eine gefährliche Schieflage bringt. Warum konnte die AfD beispielsweise nicht wenigstens teilweise die massiven Verluste der Union auf ihre Mühlen lenken?“ Ganz anders dagegen Benedict Kaiser auf den Seiten der Sezession, der gerade die behäbige bürgerliche Ausrichtung der Westverbände für die Verluste verantwortlich macht: „Ein liberaler, möglichst versöhnlicher oder auch ‚bürgerlicher‘ Wahlkampf (…) läßt die eigene Wählerschaft offenkundig kalt, demobilisiert Wechselwähler aus dem Protestsegment, treibt einen Teil von ihnen ins Nichtwählerlager – und andere Teile direkt zu den legitimierten Altparteien wie CDU und FDP.“

Daniel Fiß, langjähriger IB-Kader mit AfD-Verbindungen, schreibt im Blog der Sezession über den „Weg zur politischen Gestaltungsmacht“ und wie sich die AfD für eine perspektivisches Bündnis mit der Union aufstellen muss. Die Etablierung „rechter Lebenswelten“ in Ostdeutschland und eine Konzentration auf den Graswurzelaufbau dort, so seine Empfehlung. Ein völkisches Gegenmodell Ost, verbunden mit relativer lokaler Hegemonie der AfD – aus einer solchen Position ließe sich auch ein Bündnis mit einem stärkeren konservativen Partner wagen.

Ob und wie solche Fantasien beflügelt werden, wird auch von der Entwicklung der CDU abhängen und der Frage, ob die Stimmen, die für pragmatische Bündnisse mit der AfD werben, hier Auftrieb bekommen.

Neue Optionen

Am 27. September, dem Tag nach der Bundestagswahl, schrieb die Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) einen Brief an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Bundestages, den AfD-Abgeordneten Peter Boehringer. Darin drückt sie ihre Erwartung aus, dass nach dem wiederholten Einzug der AfD in den Bundestag die DES schnellstens in die Bundesförderung der parteinahen Stiftungen aufgenommen werde.

In der Tat eröffnet sich mit dem Wiedereinzug der AfD die Möglichkeit für die DES, höhere Millionenbeträge vom Staat zu erhalten und damit die Stiftung zum zentralen Think Tank einer modernisierten radikalen Rechten auszubauen. Jedoch gibt es hier keinen Automatismus und die Stiftungsfinanzierung steht generell auf wackeligen gesetzlichen Füßen. Ohne Zweifel wird die DES auch die Gerichte bemühen, sollte ihr der Zugriff auf die Mittel länger verweigert werden. Von bis zu 900 Stellen, also einem umfassenden Arbeitsbeschaffungsprogramm für den intellektuellen Teil der extremen Rechte, ist hier die Rede.

Seit einigen Monaten formiert sich ein breiter Widerstand gegen diesen staatlich finanzierten Aufbau einer rechten Stiftung. Wie erfolgreich dieser ist und welche gesetzlichen Möglichkeiten des Ausschlusses der DES es gibt, werden die nächsten Monate zeigen.

Für die AfD im Bundestag wird es in den nächsten Monaten darauf ankommen, sich in der neuen Rolle als kleinere rechte Oppositionspartei neben der Union einzurichten. Verbal wird das sicherlich eher zu weiteren Zuspitzungen bei der AfD führen, die sich jetzt gegen eine von den Zwängen des Regierens befreite Union unter einer möglichen Führung von Friedrich Merz behaupten muss. Ob damit Annäherungen der Partei rechts der Mitte verhindert oder doch erst möglich werden, gilt es im Blick zu behalten.

Abb. (PDF): Statistisches Material, wie im Text beschrieben.