Politische Berichte Nr.6/2021 (PDF)24
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Ausstellungsprojekt „Offener Prozess“ – Ein Beitrag zum Verlernen von Diskriminierung

Anlass des Ausstellungs- und Theaterprojektes „Offener Prozess“ war die Forderung der Angehörigen der neun Opfer nach restloser Aufklärung am Ende des NSU-Prozesses und der 10. Jahrestag der Selbstenttarnung des NSU am 4.11.2021. Die Wanderausstellung, begleitet von zahlreichen Theateraufführungen, wird in insgesamt 18 Städten gezeigt – zurzeit ist sie bis 13. Dezember im Gorki-Theater in Berlin, kommt dann nach Novi Sad und Brüssel. Auch Hanau und Istanbul haben Interesse bekundet. Mit Theatern in Jena, Plauen-Zwickau, Chemnitz, Weimar, Köln, Kassel, Heilbronn und Rostock sind Städte beteiligt, in denen die Täter des NSU aufwuchsen, Unterstützung fanden und in denen die Opfer lebten.

Rosemarie Steffens, Langen

Die Kuratorin Ayşe Güleç erklärt, das Ziel der Ausstellung sei, eine Aneinanderreihung staatlicher Übergriffe gegen Eingewanderte sichtbar zu machen, die die gesellschaftliche Stimmung gegenüber Ausländern schon in den 1960er und 70er Jahren in der BRD wie auch in der DDR verschlechterten. „Rassistische Taten passier(t)en in einem diskursiven, institutionellen Klima, in dem sich die Gewalt nach der eigentlichen Gewalt weiter fortsetzt.“ Bei dem Versuch, Migration zu regulieren oder zu stoppen, habe es rassistische Übergriffe auf das migrantische Leben auf der Straße, am Arbeitsplatz, in Schulhöfen, Parlamenten, durch Medien gegeben. Den sogenannten NSU als Komplex zu verstehen, bedeute, das Kerntrio eingebettet in solche rassistischen und antisemitischen Strukturen in Gesellschaft und Staat zu sehen, die den jahrelangen Rechtsterrorismus ermöglichten. Die Ausstellung besteht zu großen Teilen aus Videobeiträgen, bei denen sich die Besuchenden aktiv mit Kopfhörern einstöpseln müssen. „Das aktive Zuhören verstehen wir dabei auch als einen politischen Akt“, so die Projektleiterin Hannah Zimmermann.

Die Lebensrealitäten von Vertrags- (DDR) und Gastarbeiter*innen (BRD) sowie Migrationsgeschichten sind wichtiger Teil der 20 Ausstellungsstationen. Film- und Hörbeiträge – wie z.B. die Arbeit von Turat Örenje: „Inventur 2.0“ – zeigen, wie sich die gesellschaftliche Stimmung in den 60er Jahren in Westdeutschland bis hin zum Anwerbestopp 1973 verschlechterte. Gastarbeiter*innen erzählen in einem Treppenhaus in München von ihrem Leben in Deutschland. Zuerst an Bahnhöfen begrüßt und beschenkt, mussten sie die schwersten (Dreck-)Arbeiten übernehmen, waren in Wohnheimen und schlechten Wohnungen untergebracht, konnten oft ihre Angehörigen nicht nachholen.

Harun Farocki und Antje Ehmann zeigen in einem Film Ausschnitte von offiziellen Grafiken und statistischen Darstellungen zum Thema Zuwanderung, die die visuelle Abwertung der Menschen deutlich macht. (siehe Ausstellungsfoto: R. Steffens)

In einem Hördokument klärt die Initiative 12. August über rassistische Gewalt in der DDR auf. Am 12. August 1979 wurden zwei kubanische Vertragsarbeiter in Merseburg gejagt, sie ertranken in der Saale. Diese Angriffe sind bis jetzt nicht aufgeklärt. Der Begriff Vertragsarbeiter*innen bezeichnete Menschen, die ab den 1960er Jahren vor allem aus Vietnam, Kuba, Angola und Mosambik zum Arbeiten in die DDR kamen. Ihr Aufenthalt sollte befristet sein, gesellschaftliche Integration sei nicht vorgesehen gewesen. Sie litten unter Ausgrenzung der DDR-Gesellschaft. Vor und nach dem Mauerfall gab es viele rechte Angriffe auf sie und ihre in Deutschland gebliebenen Nachkommen, beispielsweise in Merseburg (1979) und Hoyerswerda (1991). (Plakat: offener-prozess.de)

Großen Raum nehmen Filmausschnitte der Demonstrationen „Kein 10. Opfer“, einen Monat nach dem Mord an Halit Yosgat am 6.5. in Kassel und am 13.6.2006 in Dortmund mit über 4000 Beteiligten ein. Die Menschen, meist aus migrantischen Zusammenhängen, erkannten, dass die damals noch neun Morde eine Verbindung hatten, zu einer Zeit, als die Angehörigen noch von Ermittlungsbeamten verdächtigt wurden. Staatliche Repräsentanten wollten ihnen nicht zuhören. Es waren die Familien Simsek, Yozgat und Kubasik, die diese erfolgreichen Aktionen vorbereiteten.

„Mit Forschungsprojekten, mit Bildungsfahrten an Orte mit NSU-Bezug, mit der Erstellung von Lehrmaterialien und vor allem der Ausstellung versuchen wir, die Aufarbeitung des NSU-Komplex voranzutreiben“, sagt Projektleiterin Hannah Zimmermann von ASA-FF e.V. – Tolerantes Sachsen, (120 zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine). Ziel ist, bis 2025 ein Dokumentationszentrum als Ort des „lebendigen Erinnerns“ zu bauen, das steht sogar im Koalitionsvertrag der sächsischen Regierung.

Das Zentrum soll Raum für die Perspektiven der Betroffenen rechtsmotivierter Gewalt bieten und der Gesellschaft helfen, diskriminierende Praxen dauerhaft zu verlernen.

„Es geht um ihre Biografien und ihr Leben, nicht nur um ihr Sterben“.

Quellen: Ausstellung „Offener Prozess“ in der Reihe 5. Berliner Herbstsalon 2021/22 des Gorki- Theaters; Dokumentation der Ausstellung zur Aufarbeitung des NSU-Komplexes, offener-prozess.de; Die Web-Ausstellung ist unter offener-prozess.net anzuschauen.

Abb. (PDF): Links: Plakat zur Eröffnung der Ausstellung „Offener Prozess“ in Jena, zu finden unter www.offener-prozess.de. – Mitte: Plakat zum Gedenken an die Opfer von rassistischer Gewalt Delphin Guerra und Raúl Garcia Paret am 12. August 2021 in Merseburg: www.initiative12august.de. Rechts – Beispiel einer abwertenden Grafik bezüglich Asylbewerbern. Foto: R. Steffens.