Politische Berichte Nr.6/2021 (PDF)25
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

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Nüchtern und pragmatisch: Religionsgemeinschaften nehmen Stellung zur Pandemie

01 Eine Sonderbotschaft des Dalai Lama zur Corona-Pandemie vom 30. März 2020:
02 Am 31. Oktober 2021 äußerte sich der Dalai Lama erneut:
03 Rabbiner Julian-Chaim Soussan ruft am 24. November 2021 zu Corona-Impfungen und zum Boostern auf:
04 Der Zentralrat der Muslime fordert Gläubige am 31. Juli 2021 zum Impfen auf: „Aus Impf-Lethargie holen“.
05 Der Bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm schreibt am 27. November 2021 auf Facebook:
06 Prof. Dr. Jürgen Moltmann, Autor des bekannten Buches „Theologie der Hoffnung“, gibt 2020 auf der Internetseite der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einen hoffnungstheologischen Impuls gegen die Pandemie:
07 Der Ständige Rat der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz ruft am 22. November 2021 zum Impfen auf: „Verpflichtung aus Solidarität und Nächstenliebe“.

Dokumentation. von Karl-Helmut Lechner

Nein, die großen Religionsgemeinschaften sind nicht Ursprung und Treiber von verwirrenden Verschwörungsmythen in der gegenwärtigen Pandemie! Liest man ihre Stellungnahmen zu Corona, so ist man eher überrascht über ihren nüchternen, ja, pragmatischen Ton. Natürlich fehlt dabei nicht die Bitte um Gottes Beistand und Segen.

Das mag durchaus damit zusammenhängen, dass sich die oberen religiösen Funktionsträger in den letzten zwei, drei Jahrzehnten klar darüber geworden sind, wie sich die gesellschaftliche Stellung von Religionen und Religionsgemeinschaften und deren Bedeutung für die Gesellschaft darstellt. Ihre eigene Sozialisation zwingt sie bei aller Frömmigkeit dazu, sich weitgehend wissenskonform zu verhalten. Eine Religionsgemeinschaft, die offen behaupten würde, die Ergebnisse der Wissenschaft wegen einer übersinnlichen Offenbarung grundsätzlich abzulehnen, bliebe hierzulande auf ein Minimum an AnhängerInnen beschränkt. Es ist seit der Reformation bei den Evangelischen üblich geworden, nicht mehr eine von der biblischen Wahrheit unabhängige Vernunft als des „Teufels Braut Ratio“ zu beschimpfen, sondern – wie es Martin Luther (1483-1546) anlässlich einer Pestepidemie vertreten hat – zu sagen: „Wohlan, der Feind hat uns durch Gottes Verhängnis Gift und tödliche Krankheit herein geschickt, so will ich zu Gott bitten, dass er uns gnädig sei und wehre. Danach will ich auch räuchern, die Luft reinigen helfen, Arznei geben und nehmen. Orte und Personen meiden, da man meiner nicht bedarf, auf dass ich mich selbst nicht verwahrlose und dazu durch mich vielleicht viele andere vergiften und anstecken und ihnen so durch meine Nachlässigkeit Ursache des Todes sein möchte.“

Andererseits: Karl Marx (1818–1883) hatte gehofft, Religion erübrige sich mit der Errichtung des Kommunismus und einer gerechten Gesellschaft. Bislang aber ist es keiner Gesellschaft gelungen, das Elend der Welt zu annullieren und alle Not zu beseitigen. Auch menschliche Gebrechlichkeit und Sterblichkeit werden bleiben. So ist der Gottesgedanke nicht bloß lästiger Rückstand aus der Vergangenheit, sondern kann durchaus auch Anlass zur Reflexion einer anderen, besseren Welt werden. So schreibt auch der bekannte Religionskritiker Ludwig Feuerbach (1804–1872) über dieses schillernde religiöse Phänomen: „Der Gläubige in der Not sucht selbst in unseren Tagen nur Hilfe beim Menschen. Er begnügt sich mit dem ‚Segen Gottes‘, der überall dabei sein muss; … aber der ‚Segen Gottes‘ ist nur ein blauer Dunst, in den der gläubige Unglaube seinen praktischen Atheismus verhüllt.“

Wir dokumentieren hier einige offizielle Stellungsnahmen von VertreterInnen der Kirchen und Religionen zur Corona-Pandemie, um zu zeigen, wie diese sich positionieren.

01

Eine Sonderbotschaft des Dalai Lama zur Corona-Pandemie vom 30. März 2020: Seine Heiligkeit stellte klar, dass die Frage des Mitgefühls und dessen Kultivierung keine religiöse Praxis sei, die darauf abziele, dass wir in den Himmel kommen oder ein gutes zukünftiges Leben haben. Es gehe darum, ein gutes tägliches Leben hier und jetzt zu führen und ein glücklicher Mensch zu sein. „Warmherzigkeit ist eine grundlegende gute menschliche Eigenschaft. Wir brauchen sie, ob wir an Gott oder den Buddha glauben oder nicht.“ Der Dalai Lama erinnerte sich daran, dass selbst chinesische Kommunisten, die Religion strikt ablehnten, dennoch aufrichtig bewegt waren, den Armen zu helfen.

„Wie schwierig die Situation auch sein mag, wir sollten mit Entschlossenheit und Mut Wissenschaft und menschlichen Einfallsreichtum einsetzen, um die Probleme zu bewältigen, mit denen wir konfrontiert sind. Angesichts der Bedrohung unserer Gesundheit und unseres Wohlergehens ist es natürlich, Sorge und Angst zu empfinden. Trotzdem finde ich großen Trost in folgendem weisen Rat, um die vor uns liegenden Probleme zu untersuchen: Wenn etwas getan werden muss – dann tue es, ohne dir darüber Sorgen zu machen; wenn es nichts zu tun gibt, hilft es nicht, dir weiter darüber Sorgen zu machen.“

Quelle: https://savetibet.de/meldungen/30-03-2020-sonderbotschaft-des-dalai-lama-zur-corona-pandemie/

02

Am 31. Oktober 2021 äußerte sich der Dalai Lama erneut: „Heutzutage sollten wir die Zukunft nicht mit Gebeten, die von Angst motiviert sind, gestalten wollen, sondern mit realistischen Maßnahmen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Die Bewohner unseres Planeten sind voneinander abhängig wie nie zuvor. Alles, was wir tun, wirkt sich auf unsere menschlichen Mitbewohner sowie auf unzählige Tier- und Pflanzenarten aus.“

Quelle: http://de.dalailama.com/news/2021/die-botschaft-seiner-heiligkeit-des-dalai-lama-an-die-cop26

03

Rabbiner Julian-Chaim Soussan ruft am 24. November 2021 zu Corona-Impfungen und zum Boostern auf: Der Frankfurter Rabbiner Julian-Chaim Soussan hat zu Corona-Impfungen und zum sogenannten Boostern aufgerufen. „Ich würde mir wünschen, dass es noch viel mehr Menschen tun,“ sagte das Mitglied des Vorstandsbeirats der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland in der neuen Folge des Podcasts „Himmelklar“. Er verwies auf die Nächstenliebe sowie eine von Gott gegebene Fähigkeit, auf wissenschaftlicher Basis Krankheiten zu begegnen. Es gebe keinen Grund, sich dem zu verweigern. Soussan zeigte sich enttäuscht von der großen Anzahl an Menschen, die sich bisher nicht impfen ließen, obwohl sie es könnten. „Ich habe kein Verständnis dafür.“

In der Vergangenheit seien schon gefährliche Krankheiten besiegt worden, beispielsweise die Pocken. Menschen steckten heute häufig in „Desinformationsblasen“, meinte Soussan. Man müsse daher durchhalten, noch mehr Werbung für Impfungen machen und Überzeugungsarbeit leisten – auch vonseiten der Politik. Menschen sollten insgesamt immer wieder versuchen, sich zu verbessern und sich fragen: „Was kann ich tun?“ So könnten in der Pandemie Kontakte weiterhin virtuell gehalten oder Pflegekräfte stärker gefördert werden, auch finanziell. Menschen sollten aufeinander zurückgreifen und auf ihre eigene Kraft – das könne auch am Bildschirm passieren, wenn man sich in die Augen schaue. „Besser man ist dabei gut gelaunt als schlecht gelaunt, denn das macht es auch nicht besser.“

Mit Blick auf das anstehende Chanukka-Fest (vom 28. November bis 6. Dezember) sagte der Rabbiner, dass es in der Pandemie anders gefeiert werde als sonst – zum Teil unter freiem Himmel und mit Abstand. Gerade Chanukka sei ein sehr schönes Fest, weil es in der dunklen Zeit das Prinzip Hoffnung hochhalte. Ihm selbst gebe Gottvertrauen Hoffnung. Und er hoffe, dass dies die Menschen auch in der Pandemie stärken werde. „Das eigentliche Wunder von Chanukka besteht darin, dass wir überhaupt heute noch überall auf der Welt Chanukka feiern.“ Es sei ein Symbol des jüdischen Überlebens. „Das Traurige, das Bittere, die Katastrophe ist nicht das Ende, sondern die Grundlage für den nächsten Neuanfang. Das ist für mich das Prinzip Hoffnung.“

Quelle: https://www.juedische-allgemeine.de/religion/ich-habe-kein-verstaendnis-fuers-nichtimpfen/

04

Der Zentralrat der Muslime fordert Gläubige am 31. Juli 2021 zum Impfen auf: „Aus Impf-Lethargie holen“. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland appelliert an alle Angehörigen der islamischen Religionsgemeinschaft, sich gegen das Corona-Virus impfen zu lassen. „Es gibt für Muslime keine religiösen Gründe, das Impfen gegen Corona abzulehnen. Im Gegenteil: Der Schutz anderer vor Krankheiten und die eigene gesundheitliche Unversehrtheit sind im Islam ein hohes Gut“, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman A. Mazyek, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland … „Nicht alle, die noch ungeimpft sind, sind Impfgegner“, meinte Mazyek. Viele seien einfach nur zu bequem. „Jetzt geht es darum, das letzte Drittel aus seiner Impf-Lethargie zu holen“, so Mazyek weiter. Zwei Drittel der Moscheegemeinden in Deutschland böten vor allem an Wochenenden Impfaktionen an, betonte er. „Die Resonanz, auch in der nichtmuslimischen Nachbarschaft der Gotteshäuser, ist hoch.“

Quelle: https://www.domradio.de/themen/islam-und-kirche/2021-07-31/aus-impf-lethargie-holen-zentralrat-der-muslime-fordert-glaeubige-zum-impfen-auf

Und: https://www.facebook.com/ZentralratDerMuslime/posts/4651151751608890

05

Der Bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm schreibt am 27. November 2021 auf Facebook: „Diese Geschichte in meinem Umfeld hat mich berührt: eine junge Frau hat sich überzeugen lassen, sich endlich impfen zu lassen. Sie will in der Pflege arbeiten und braucht dazu den Impfnachweis. Und die Arbeit braucht sie dringend. Sie steht an einem mobilen Impfbus 5 ½ Stunden Schlange, um kurz vor dem Ziel zu hören: Wir müssen jetzt leider schließen. Sie ist völlig verzweifelt, weint heftig. Der Mann, der genauso lange gewartet hat wie sie und als letzter direkt vor ihr die Impfung bekommen könnte, sagt: Gehen sie vor! In einer Geschichte beides: Die Frage, warum es dem Staat nicht gelingt, den Menschen zeitnah Impftermine zu geben, nachdem wir in den letzten Wochen dringlich an sie appelliert haben, sich endlich impfen zu lassen. Und zugleich: Staunen und Hochachtung vor dem Menschen, der sich hat anrühren lassen und dieses wunderbare Zeichen der Mitmenschlichkeit gegeben hat.“

Quelle: https://www.facebook.com/ (Bedford-Srohm

06

Prof. Dr. Jürgen Moltmann, Autor des bekannten Buches „Theologie der Hoffnung“, gibt 2020 auf der Internetseite der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einen hoffnungstheologischen Impuls gegen die Pandemie: „Die Corona-Katastrophe ist wie das ‚finstere Tal‘ von Psalm 23: Niemand übersieht sie, niemand weiß, wie lange sie dauert, niemand weiß, wann sie jemanden trifft. Gott erspart uns nicht das ‚Tal des Todes‘, aber Gott ist bei uns in unseren Ängsten. Gott geht mit uns in die Dunkelheit. Er erspart sich selbst nicht das ‚finstere Tal‘. Gott durchleidet unsere Ängste mit uns und weiß doch den Weg für uns. Darum fürchte ich kein Unglück, denn das treue Du ist da in meinem Unglück. Christliche Hoffnung ist Reich-Gottes-Hoffnung für die Zukunft der Welt wie im Himmel so auf Erden… Lange Zeit hat die Ewigkeitshoffnung in den Kirchen die Vorwärtshoffnung auf das Reich Gottes verdrängt.“ Jürgen Moltmann beantwortet einige grundlegende theologische Fragen, die in der Pandemie auftauchen:

„Warum lässt Gott das zu? Das ist eine nachträgliche Frage oder eine Zuschauerfrage, nicht die Frage der unmittelbar Betroffenen. Sie fragen nach Heilung und Trost. Sie wollen, dass ihre Leiden aufhören, nicht dass sie erklärt werden. Jene alte Warum-Frage ist damit nicht abgetan. Sie sucht nach einer Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens ohne Ende. Entweder ist Gott allmächtig oder gut: Gott kann nicht beides zugleich sein.“

„Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes für die Menschheit? Manche amerikanische Evangelikale behaupten das. Die alten heidnischen Opferkulte wollten den Zorn der Götter besänftigen: Die Götter segnen das Wohlverhalten der Menschen und bestrafen das Fehlverhalten. Die alte Werkgerechtigkeit sollte die Strafe Gottes abwenden und den Himmel verdienen. Die ‚Strafe‘ Gottes mit dem Corona-Virus ist die Kehrseite des evangelikalen ‚Gospel of Prosperity‘… Die frühe Christenheit hat den ‚leidenden Gottesknecht‘ von Jesaja auf das stellvertretende Leiden Christi am Kreuz bezogen. Wer nach dem Kreuzestod Christi noch von ‚Strafen Gottes‘ in der Menschheitsgeschichte spricht, kennt Christus nicht und macht aus der Frohbotschaft der Vergebung der Sünden eine Drohbotschaft vom ‚strafenden Gott‘.

Wer verliert in der Corona-Katastrophe? Das Selbstbewusstsein der modernen Menschen: Wir haben die Krise nicht ‚im Griff‘. Die Covid-Viren stellen unsere ‚Machbarkeit aller Dinge‘ durch Wissenschaft und Technik in Frage. Wir kommen an unsere Grenze. Der Virus wird zum ‚Feind‘ erklärt und seine Bekämpfung wird als ‚Krieg‘ gewertet. Ist die Natur wieder der Feind des Menschen? Die Sterbenden werden nur in Zahlen erwähnt. Sie sterben aber auf den Intensivstationen in äußerster Isolation und ohne menschliche Nähe. Um die Gesunden zu retten, lassen wir sie allein. Keiner kann sagen, ihn oder sie betrifft solches Sterben nicht. Der modern verdrängte Tod ist wieder ins Zentrum getreten. Das ist für das moderne Selbstbewusstsein schlecht. Statt Arroganz ist Demut gefragt.“

Quelle: https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/01_2020_04_Moltmann.pdf

07

Der Ständige Rat der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz ruft am 22. November 2021 zum Impfen auf: „Verpflichtung aus Solidarität und Nächstenliebe“. Der Ständige Rat der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der in Würzburg zusammengekommen ist, erklärt angesichts der vierten Welle der Corona-Pandemie:

„In diesen Tagen erleben wir in nahezu unaufhaltsamer Dramatik das Fortschreiten der vierten Welle der Corona-Pandemie. Die Inzidenzzahlen, Neuinfektionen und Todesfälle erreichen erschreckende Ausmaße. Mit Nachdruck rufen wir die Katholikinnen und Katholiken und alle Menschen unseres Landes dazu auf, sich impfen zu lassen, soweit dies möglich ist. Impfen ist in dieser Pandemie eine Verpflichtung aus Gerechtigkeit, Solidarität und Nächstenliebe. Aus ethischer Sicht ist es eine moralische Pflicht. Wir müssen uns und andere schützen. Die Impfung ist dazu das wirksamste Mittel. Gleichzeitig appellieren wir an alle, die nötigen Hygienemaßnahmen einzuhalten. Wir alle wünschen uns die Freiheiten im alltäglichen Leben wie in den Zeiten vor Corona zurück. Dazu müssen wir uns aber gemeinsam – und zwar jede und jeder in diesem Land – einsetzen. Denn wir sehen: Durch die Impfung werden Leben gerettet und weniger schwere Krankheitsverläufe erreicht.

Wir machen uns den Appell von Papst Franziskus zu eigen, der am Weltgesundheitstag betont hat: ‚Wir alle sind aufgerufen, die Pandemie zu bekämpfen. In diesem Kampf stellen die Impfstoffe ein wesentliches Instrument dar. Dank Gott und der Arbeit vieler haben wir jetzt Impfstoffe, um uns vor Covid-19 zu schützen.‘ Wir fügen hinzu: Nutzen wir diese Chance! Bitte lassen Sie sich impfen!“

Quelle: https://www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/staendiger-rat-der-deutschen-bischofskonferenz-ruft-zum-impfen-auf.

Abb. (PDF): München , U-Bahn-Plakat