Politische Berichte Nr.6/2021 (PDF)27a
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

Die Ziele der Linken in Mecklenburg-Vorpommern 2021 – unrealistisch und verfehlt?

Dr. Harald Pätzolt, 1.11.2021 – In der Wahlstrategie sind die Ziele für Die Linke (DL) in Mecklenburg-Vorpommern (MV) bei den Wahlen zum Land- und Bundestag 2021 klar benannt:

(1) Ein Regierungswechsel, dann ein Politikwechsel. Das Ziel eines Regierungswechsels ist in greifbare Nähe gerückt, der Politikwechsel stünde dann als nächste Aufgabe. Wie es aktuell aussieht, wird DL mit ihren Wahlkampf-Schwerpunktthemen da zum Zuge kommen.

(2) Ein verbessertes Landes- und Bundesergebnis. Mehr als 2 MdB aus MV.

2017 hatte DL bei der LTW 13,2%, bei der BTW 17,9% der Stimmen in MV geholt. 2021 waren es nur 9,9% und 11,1%.

War das Ziel also unrealistisch? Sicher nicht. Bis Mitte August 2021 lag DL in MV bei der Sonntagsfrage im Soll (INSA am 15.8.2021: 14%). Welche Ziele hätte sich DL in MV denn sonst stellen sollen? Innerhalb einer Woche machte die SPD in MV dann den Sprung von 28% auf 36%.

Mitte Oktober zeigten die Umfragen im Bund, dass die SPD auf Augenhöhe zur Union gekommen war.

Was hier in MV passierte, hatten zwei Politikwissenschaftler bereits im März 2021 als Option beschrieben:

„Dass die Corona-Pandemie das bestimmende Thema der Wahlen in der Bundesrepublik und darüber hinaus ist, steht außer Frage. Als Krise kann sie unterschiedliche Reaktionsweisen seitens der Bürger:innen evozieren: Erstens einen „Rally ’round the flag“-Effekt, nach dem sich Wähler:innen verstärkt hinter die Amtsinhaber:innen stellen, zweitens eine Zunahme retrospektiven, leistungsbewertenden Wählens, nach welchem die Wähler:innen vor allem das Verhalten der politischen Akteure während der Krise beurteilen und auf dieser Basis ihre Wahlentscheidungen fällen oder drittens stärkeres prospektives und auf parteipolitische Homogenität hin orientiertes Wählen, also die Überlegungen, dass bei Amtsführung der gleichen Partei(en) auf unterschiedlichen Ebenen sich Vorteile ergeben.“

Dagegen gibt es bei einer Wählerschaft, die solch eine Nähe zur SPD hat, wie die der Linken, nahezu keine Antwort. Getriggert wurde das natürlich durch die schlechte Performance der Bundespartei und die gute der SPD, besser: von Olaf Scholz. Und, natürlich, die elendige Vorstellung der Union.

Der Abstrom besonders älterer WählerInnen zur SPD in MV und bundesweit hängt mit deren verstärkter Suche nach Sicherheitsankern und Antwort auf die Machbarkeitsvermutung (nicht nur was, sondern vor allem: mit wem) zusammen. Da war DL im Bund raus.

(3) DL wollte verstärkt mobilisieren. Gut, mit Blick auf die dann zur SPD Gegangenen wäre eine Gegen-Mobilisierung notwendig gewesen. Mit dieser Notwendigkeit war nicht zu rechnen, und als es so weit war, fehlten dafür jegliche Mittel. Bei NichtwählerInnen sowie Menschen, die zuletzt CDU oder AfD gewählt hatten, ist eine gewisse Mobilisierung durchaus erfolgreich gewesen. Auch bei denen der Grünen wäre die Aufgabe bis Mitte 2021 eine Gegen-Mobilisierung gewesen, danach sortierten sich die wenigen volatilen Grünen-WählerInnen ohne per Saldo viel zu bewegen. Die Gewinne kamen von Zugezogenen, Nicht- und ErstwählerInnen.

Die Partei in und nach den Wahlen in MV 2021

Festzuhalten ist, dass die Partei geschlossen in die Wahlkämpfe gegangen ist, das Gerangel um Listenplätze mag für die Binnenmobilisierung belastend gewesen sein, nach außen dürfte das nicht die Rolle gespielt haben.

DL ist mit einer unumstrittenen Spitzenkandidatin ins Rennen gegangen. Beides ist nicht Nichts, wie Dietmar Bartsch zu sagen pflegt.

Nach der Wahl gibt es Enttäuschungen, Hader, Fehlersuche und Schuldzuweisungen. Ein nüchterner Blick wäre hilfreich. Über Jahre entwickelt sich die Parteiorganisation eigentlich stabil. Austritte Älterer und Sterbefälle verdecken das. Es läuft auf eine Partei mit einer Mitgliedschaft von 1000 bis 1500 Mitgliedern hinaus. Das ist ja bekannt und man stellt sich schon länger darauf ein. Nur vielleicht nicht mit der letzten Konsequenz. Dier Umgang mit einer solchen Mitgliedschaft wäre ein anderer, was deren Beteiligung betrifft (etwa beim Regieren), die Kommunikations-Infrastruktur (ich hatte vor Jahren für eine Hybrid-Partei plädiert). Attraktivere Angebote und Belohnungen für AktivistInnen (die sogen. Basis) wäre zu bedenken.

Die Betreuung jedes einzelnen Mitglieds über 80. Ziel sollte sein, dass es keinen Austritt gibt, sondern stille Mitgliedschaften. Pflege kann auch politisch von einer Partei praktiziert werden.

Die Linke ist eine Partei für übermorgen, das habe ich so vor den Wahlen in einem Artikel für Transform, das Netzwerk der europäischen Linken, geschrieben. So schlecht ist also die Lage in MV nach den Wahlen nicht.

Lassen wir bitte doch alles, was das Potential hat, diesen Befund zeitnah zu widerlegen.