Politische Berichte Nr.2/2022 (PDF)28
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

Wählerschaft sucht geeignete Partei – aus Anlass der Landtagswahl im Saarland

Martin Fochler, München

Die Daten über Wählerwanderungen werden aus Nachwahlbefragungen gewonnen. Schon die Erhebung ist schwierig: Nicht alle erinnern sich zuverlässig, was sie bei der vorhergehenden Wahl wählten, ob eine Aussage stimmt, kann niemand überprüfen, ob die Auswahl der Befragten repräsentativ war, ist nicht gewiss, die Briefwähler fehlen und für Aussagen über kleine Parteien ist die Stichprobe meist klein. – Dennoch werden diese Daten bei den politisch Engagierten aufmerksam registriert, sie spielen bei der Verarbeitung des Wahlergebnisses durch die Parteien eine erhebliche Rolle, weil sie die Interpretation der eigenen Erfahrungen in der Wahlkampfzeit ermöglichen. Diese Daten passen irgendwie zu den Eindrücken, sie sich aus Diskussionen, hingeworfenen Bemerkungen, unterbliebenen Äußerungen ergeben, die im Kreis von Kollegen, Familie, Nachbarschaft, Verein usw. angefallen sind. Diese Daten erleichtern den Einzelnen den Abgleich ihrer eigenen Erfahrungen mit der gesellschaftlichen Stimmungslage. Dies ist nicht unerheblich, erstens, weil die Leute insbesondere hoch engagierten Wahlkämpfenden gerne ein freundliches Wort gönnen und Streitereien lieber ausweichen, und zweitens, weil die Engagierten Hinweise finden, womit sie in der Nachdiskussion des Wahlergebnisses zu rechnen haben. Was macht die Beschreibung der Wählerwanderung über diese Punkte hinaus interessant?

Im Fall der Saarlandwahl sehen wir, dass Die Linke ihre Wähler nicht nur an andere Parteien, allen voran die SPD, verliert. Nach diesen (ungenauen, siehe oben) Daten bleiben 8 000 Leute Linke-Wähler, aber 13 000 wählen gar nicht. Die Linke hat also nicht nur Leute an Mitbewerber verloren, es hat auch eine große Zahl von Menschen gegeben, die, da sie die Linke nicht wählen mochten, gar nicht wählten. Diese Haltung kennen wir alle aus politischen Diskussionen, aber in diesem Fall waren es so viele, dass die Linke im Saarland weit unter die Fünf-Prozent-Marke gefallen ist. Dies geschah nicht nur dadurch, dass sich bei im weiten Sinne links orientierten Wählern Hoffnungen auf SPD oder die Grünen richteten. Viel dramatischer ist, dass offensichtlich Leute, die solche Erwartungen nicht hegten, trotzdem Die Linke nicht wählten, sondern lieber gar keine Partei. Am Ende bleibt, dass eine Linksverschiebung der öffentlichen Meinung mit einem extremen Verlust an Zustimmung zur Partei Die Linke parallel geht.

Es ist in den letzten Jahren immer wieder thematisiert worden, dass sich die politischen Strebungen in der Bevölkerung im Parteiensystem nicht so recht wiederfinden, Stichwort: sinkende Wahlbeteiligung. Im Saarland ist es nun aber so weit gekommen, dass mehr als 20 Prozent der abgegebenen Stimmen im Landtag nicht repräsentiert sein werden. Die unter-Fünf-Prozent-Ergebnisse von Grünen und FDP lassen sich als Ausrutscher werten. Es bleibt dann trotzdem ein Feld von ca. zwölf Prozent der Stimmen, ohne realistische Aussicht auf Repräsentation.

Nimmt man diese Wahl als Momentaufnahme eines Strukturproblems, sieht man, welche enorme Schwierigkeiten die politische Öffentlichkeit hat, wenn sie Ziele als Auftrag an Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung formulieren soll. Noch am besten funktioniert das in den Kommunen. Begünstigt durch das Wahlrecht finden sich Möglichkeiten, von emanzipativen Zielen bestimmte Kandidaturen zum Erfolg zu führen, auch ergeben sich Möglichkeiten für Politik im Bündnis.

Es hat sich in den letzten Jahrzehnten herausgestellt, dass linke, an Emanzipation und sozialen Belangen orientierte Politik auf dieser Ebene auch in den westlichen Bundesländern Anerkennung findet. Aber es zeigt sich eben auch, aus diesen Erfahrungen ergeben sich nicht automatisch belastbare Zielsetzungen für die Politik in den Landtagen, im Bund, in Europa oder international. In den Stadtstaaten der alten Bundesrepublik wird diese Problemlage nicht so deutlich, in den Flächenstaaten, auch in den kleinen, aber schon.

Die Partei Die Linke kann – immer noch – eine Plattform für die Erarbeitung tragfähiger Alternativen werden, der Bedarf – auch das zeigt das Wahlergebnis – ist da.

Datenquelle: https://www.tagesschau.de, bearbeitet

Abb. (PDF): WÄhlerwanderung von und zur LINKEN

Abb. (PDF): Tabelle der Wahlergebnisse incl. kleine Parteien