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ARCHIV

Nr.1/2020, S.04

Österreich hat eine neue Bundesregierung:

Das Beste aus beiden Welten?

01 Stellungnahmen zum Regierungsprogramm:

02 dok: SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner erklärt,

August Kargl, Steiermark

Der neue Bundeskanzler scheint zufrieden mit der neuen Regierung. Es wurde eine Koalition mit den Grünen. Sebastian Kurz hat sich seit seiner Machtübernahme in der ÖVP als gewiefter Stratege erwiesen. Er hat politische Erfahrung gesammelt, im Wiener Gemeinderat, als Staatssekretär für Integration, als Abgeordneter im Nationalrat und schließlich von 2013 bis 2017 als Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres in den rot-schwarzen Bundesregierungen. Im März 2017 kritisierte Kurz die Rettungsaktionen von Hilfsorganisationen als „NGO-Wahnsinn“, da diese Aktionen dazu führen würden, dass mehr Flüchtlinge im Mittelmeer sterben, anstatt weniger. Wiederholt forderte Kurz, die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge nicht mehr auf das italienische Festland zu bringen, sondern nach australischem Vorbild zu stoppen und in Flüchtlingszentren außerhalb der EU zurückzustellen. Er verlangte die Schließung der Mittelmeerroute. Im Mai 2017 wurde Kurz zum Parteiobmann der ÖVP gewählt, bei diesen Wahlen zum Parteivorsitzenden ließ er sich mit Sondervollmachten ausstatten, zum Beispiel konnte er alleine Personalentscheidungen treffen. Der Umsturz in der ÖVP stellte sich als strategisch gut vorbereitet heraus. Unter der neuen Führung, mit neuem Team, riskierte die ÖVP Neuwahlen und gewann.

Bei der Nationalratswahl im Oktober 2017 trat die ÖVP unter dem Namen „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei (ÖVP)“ an und ging als stimmenstärkste Partei hervor, die FPÖ legte zu. Die Grünen erreichten nach einer Parteispaltung nicht mehr die fünf Prozent, die Sozialdemokraten verloren. Kurz und Strache von der FPÖ fanden bald Gemeinsames. Kampf gegen Sozialschmarotzer, gegen illegale Migration, Zerschlagen der Sozialversicherungsstrukturen, das Innenministerium wurde der FPÖ (Kickl) überlassen. Im Dezember 2017 wurde die Bundesregierung Kurz und Strache, eine Koalitionsregierung aus ÖVP und FPÖ, angelobt. Am 18. Mai 2019 beendete Kurz nach der sogenannten Ibiza-Affäre die Zusammenarbeit mit der FPÖ.

Am 27. Mai 2019 wurde Kurz durch ein Misstrauensvotum des Nationalrates mit den Stimmen von Sozialdemokraten, FPÖ und JETZT seines Amtes enthoben. Bundespräsident van der Bellen reagierte gelassen: „Alsdann, liebe Österreicherinnen und Österreicher: Das ist keine alltägliche Situation, aber im Grunde genommen etwas ganz Normales“, sagt van der Bellen – und berief sich auf die Eleganz der österreichischen Verfassung, die das Land durch diese außergewöhnliche, aber im demokratischen Prozess vorgesehene Situation leiten werde. Er bildete eine Beamtenregierung unter Bundeskanzlerin Dr. Brigitte Bierlein.

Die Nationalratswahl im September 2019 brachte zwei Gewinner, die Liste Kurz und die Grünen unter Werner Kogler, die SPÖ verlor, die FPÖ verlor ordentlich, die Liste JETZT scheiterte an der Prozent-Marke.

Der Bundespräsident beauftragte Sebastian Kurz als Chef der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung. Strache wurde wegen Ibiza und horrender Spesenabrechnungen aus der FPÖ ausgeschlossen, Norbert Hofer zum Vorsitzenden der FPÖ gewählt. Hofer wollte Kickl nicht fallen lassen, darum scheiterten die Sondierungsgespräche mit der FPÖ, dem Wunschpartner von Kurz.

Übrig blieben die Grünen unter ihrem pragmatischen Führer Werner Kogler. Trotz Kopftuchverbot, geplanter Sicherungshaft und weiter restriktiver Asylpolitik fanden sich die Verhandlungsteams der Parteien. Die Koalitionsverhandlungen wurden am 1. Jänner 2020 erfolgreich abgeschlossen.

Die Bundesregierung Kurz II, eine Koalitionsregierung aus ÖVP und Grünen, wurde am 7. Jänner 2020 angelobt. Das in der Hofburg angelobte Kabinett ist das erste mehrheitlich weibliche in der Geschichte Österreichs. Acht der 15 Regierungsmitglieder sind Frauen.

Die wichtigsten Schwerpunkte des Koalitionsübereinkommens:

Transparenz. Ein Kernpunkt der grünen Regierungsbeteiligung soll ein Transparenzpaket sein, das hat Parteichef Werner Kogler schon früh in den Verhandlungen klar gemacht. Für die versprochene Abschaffung des Amtsgeheimnisses braucht es aber eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit die Unterstützung von SPÖ oder FPÖ.

Klimaschutz. Das erwartete große Klimaschutz-Paket der türkis-grünen Koalition besteht aus vielen einzelnen Maßnahmen bzw. Überschriften, die zum Teil noch mit Inhalt gefüllt werden müssen. Das große Ziel ist es, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Bis 2030 soll der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen kommen.

Integration und Asyl. Das Regierungsprogramm bringt etwa die Einführung einer „Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit“. Eingebaut ist ein koalitionsfreier Raum, bei dem die Regierungsparteien an keine Abstimmungsvereinbarung gebunden seien, etwa für den Fall einer neue Flüchtlingskrise. Das Kopftuchverbot an Schulen wird bis zum 14. Lebensjahr ausgeweitet. Verstärkte Kontrollen soll es in Kinderbetreuungsstätten, insbesondere islamischen geben. Einen Präventionsunterricht soll es ab der Mittelstufe geben.

Außenpolitik. Die „EU als Klimaschutzvorreiterin“ ist ebenso Teil des Programms wie der „Einsatz für einen Neuen Vertrag für Europa“. In der Handelspolitik beharrt Türkis-Grün auf der „Ablehnung des Mercosur-Handelsabkommens in der derzeitigen Form“. Die Bemühungen zur Einführung einer Digitalsteuer für internationale Großkonzerne sollen auf internationaler oder europäischer Ebene fortgesetzt werden.

Steuern und Finanzen. Die von der türkis-blauen Regierung geplante Steuerreform will die ÖVP nun mit den Grünen umsetzen. Vorgesehen ist sowohl die Senkung der Lohn- und Einkommensteuertarife als auch die starke Senkung der Körperschaftsteuer auf Unternehmensgewinne. Geplant ist auch eine „CO2-Bepreisung“ und – in Etappen – eine ökologische Steuerreform, wofür es eine „Task-Force“ geben soll. Am Nulldefizit will die Regierung ebenso festhalten wie am Ziel, die Staatsschulden unter die auf EU-Ebene vorgegebene Grenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken mit Rücksicht auf konjunkturelle Entwicklung und Klimaschutz.

Wirtschaft. Das Leitmotiv der neuen Regierungskoalition heißt Entlastung und Entbürokratisierung. Die Steuer- und Abgabenquote soll gesenkt und Unternehmensgründungen erleichtert werden. Dem Fachkräftemangel will man durch eine Modernisierung der Lehrberufe und einer Rot-Weiß-Rot-Karte entgegenwirken. Der Ruf der Wirtschaft nach einer Senkung der Körperschaftsteuer (KöSt) wurde erhört, der Steuersatz soll von derzeit 25 auf 21 Prozent gesenkt werden. Der Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer (ÖVP) wollte „vorne einen Einser“ haben.

Arbeitsmarkt. Zunächst fällt auf, was fehlt, nämlich die unter Türkis-Blau geplante Abschaffung der Notstandshilfe. Eher undeutlich ist bloß von einer „Weiterentwicklung des Arbeitslosengeldes mit Anreizen, damit arbeitslose Menschen wieder schneller ins Erwerbsleben zurückkehren können“, die Rede. Nicht fix ist eine weitere Lohnnebenkosten-Senkung. Hier sollen Potenziale zur Senkung der Lohnnebenkosten ohne Leistungsreduktion geprüft werden.

Wohnbauförderung. ÖVP und Grüne haben die Wiedereinsetzung der Zweckwidmung der Wohnbauförderung zum Ziel. Wohnbaufördermitteln soll es nur noch geben, wenn umweltschonend gebaut wird. Von den Ländern wird gefordert, in den Bauordnungen klimarelevante Maßnahmen zu implementieren.

Forschung&Innovation. Viele schon bekannte Vorhaben finden sich im Kapitel Forschung, Innovation und Digitalisierung. Dazu zählen etwa ein Forschungsfinanzierungsgesetz oder eine Exzellenzinitiative für die Grundlagenforschung. Im Bereich Digitalisierung sind eine „Digitale Identität“ und eine „Ö-Cloud“ geplant.

Innere Sicherheit. Neben den in anderen Teilen vorhandenen Schwerpunkten im Bereich der Inneren Sicherheit sind auffällig die avisierte Neuaufstellung des BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung), Maßnahmen zur Bekämpfung von Vereinen wie den Identitären, die staatsfeindliches Gedankengut verbreiten, sowie ein nationaler Aktionsplan für Menschenrechte in Österreich gegen Rechtsextremismus und politischen Islam. Die Beobachtung und Einschätzung rechtsextremer Burschenschaften wird wieder in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen.

Schulen. ÖVP und Grüne wollen Qualitätsmindeststandards für Kindergärten und eine Bildungs- statt einer Schulpflicht für Jugendliche. Viele Konstanten zum ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm sind vorhanden. Die umstrittenen Deutschförderklassen bleiben erhalten, sollen aber laufend wissenschaftlich begleitet und falls nötig verbessert werden und die Schulen mehr Autonomie bei der konkreten Ausgestaltung (z.B. Gruppengröße) bekommen.

Universitäten. Sie sollen längerfristige Planungssicherheit erhalten. Ihr kommendes Budget soll nicht wie eigentlich vorgesehen bis 2024, sondern bis 2027 sichergestellt werden. Sowohl die bei den Grünen ungeliebten Zugangsbeschränkungen als auch Studiengebühren stehen im Regierungsprogramm, wobei bei Ersteren eine „qualitätsvolle und faire Weiterentwicklung“ und bei Letzteren eine regelmäßige Valorisierung und damit Anhebung vorgesehen ist. Gleichzeitig soll die Studienförderung ausgebaut werden.

Gesundheit. Die türkis-blaue Kassenreform, die eine Zusammenlegung aller Gebietskrankenkassen, vor allem aber auch die Entmachtung der Arbeitnehmer in den Kassengremien gebracht hat, wird nicht angegriffen, lediglich ein Bekenntnis der Regierung zum Prinzip der Selbstverwaltung wird hier abgegeben.

Pflege. Beim Thema Pflege bleibt vieles auf den ersten Blick vage. Zwar gibt es ein Bekenntnis zu einer gesamtheitlichen Reform und einer Personaloffensive für Pflegeberufe, auch soll ein Pflege-Daheim-Bonus eingeführt werden. Auch soll die von der ÖVP schon länger geplante Pflegeversicherung eingeführt werden.

Medien. Eine Budgetfinanzierung des ORF ist vom Tisch. Die Regierung steht für einen unabhängig finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Landwirtschaft. Die Bauern erwartet zahlreiche Entlastungen. Die heimische Biolandwirtschaft will Türkis-Grün weiter forcieren. „Die Vorreiterrolle Österreichs in der biologischen Wirtschaftsweise in Europa“ soll ausgebaut werden und der Bio-Aktionsplan weiterentwickelt werden.

Kunst und Kultur. Durchaus selbstbewusst zeigt sich die türkis-grüne Bundesregierung, wenn es in der Präambel allgemein um die Positionierung Österreichs im Kunst- und Kulturbereich geht: „Ob es Kunst- und Kulturerbe oder zeitgenössische Kunst ist, ob es Volkskultur, Baukultur oder darstellende Kunst ist – Österreich zählt in allen künstlerischen und kulturellen Bereichen zu den Besten.“

Sport. Mit Werner Kogler, dem ersten Sportminister der Grünen, soll auch der Sport in Österreich grüner werden. „Green Sport stärken“ heißt es im Regierungsprogramm, auch Integration, Inklusion, Gleichstellung, Klimaschutz und Kampf gegen Rassismus und Homophobie wurden berücksichtigt.

Landesverteidigung. Es fällt auf den ersten Blick auf, dass sie mit dem Krisen- und Katastrophenschutz verknüpft ist und dass wiederholt von einer „zeitgemäßen“ Neugestaltung der Aufgaben gesprochen wird.

Quelle Kurier: https://kurier.at/politik/inland/die-wichtigsten-punkte-aus-324-seiten-regierungsprogramm/400716558. Das Regierungsprogramm zum Download: https://www.wienerzeitung.at/_em_daten/_wzo/2020/01/02/200102-1510_regierungsprogramm_2020_gesamt.pdf

Abb. (PDF): Foto: Der Bundespräsident und Mitglieder der neuen Regierung

https://www.bundespraesident.at/aktuelles/detail/ernennung-und-angelobung-der-bundesregierung

Abb. (PDF): Mandatsverteilung

01

Stellungnahmen zum Regierungsprogramm:

dok: KPÖ: Erklärung zum Regierungsprogramm von Türkis-Grün (31.1.2020). Mit der Unterzeichnung des Regierungsprogramms ermöglichen die Grünen die Fortsetzung des bisherigen unsozialen, rassistischen Kurses von Türkis-Blau. Sozialökonomisch bilden der Fetisch des Nulldefizites und die weitere Senkung der Staatsquote den Kern des Regierungsprogramms, was auf der neoliberalen Linie aller heute im Parlament vertretenen Parteien liegt.

http://www.kpoe.at/innenpolitik/bundespolitik/2020/erklaerung-der-kpoe-zum-regierungsprogramm-von-tuerkis-gruen

02

dok: SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner erklärt, dass der Maßstab, an dem das vorliegende türkis-grüne Regierungsprogramm gemessen wird, die Frage ist: „Verbessern diese Maßnahmen das Leben der Menschen in Österreich?“ Das angeblich Beste aus zwei Welten sei das Regierungsprogramm nicht. „Vielmehr ein ÖVP-Programm mit grüner Tarnfarbe“. „Es gibt eine Schieflage“, sagt die Parteivorsitzende. Hier sei die mangelnde soziale Gerechtigkeit zu nennen. GeringverdienerInnen, also all jene, die unter der Steuergrenze liegen, kommen zu kurz, etwa beim Familienbonus. Das betrifft viele Frauen und Alleinerzieherinnen. Auf der anderen Seite gebe es kein Wort zu einem gerechten Beitrag der Spitzenverdiener im Programm. „Die soziale Schere wird nicht verkleinert, im Gegenteil, sie läuft Gefahr, sich zu vergrößern“, sagt Rendi-Wagner.

https://www.spoe.at/2020/01/03/vp-programm-mit-gruener-tarnfarbe/