Politische Berichte Nr. 4/2020 (PDF)06
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Polen: Die Wahl ist vorbei – das Elend nicht

Von Stanisław Kus, Warschau

Die unerträglich lange Dauer des Präsidentschaftswahlkampfs in Polen ist endlich zu Ende gegangen. Sie endete, eher wenig überraschend, mit einem Sieg des rechten Amtsinhabers Andrzej Duda von der PiS-Partei (PiS steht für „Recht und Gerechtigkeit“). Duda, dessen Wahlkampf zwischen Herausposaunen der doch eher mageren Sozialprogramme der Regierung und Prügeln auf die polnische LGBTQ-Gemeinde als Sündenbock pendelte, schlug am Ende seinen Hauptgegner, den Liberalen Rafał Trzaskowski, um gerade mal etwas mehr als einen Prozentpunkt der Stimmen. Alles in allem ist dies ein starkes Ergebnis für eine Oppositionskoalition ohne klare eigene Prinzipien.

Vor der Verschiebung des Wahltermins war Małgorzata Kidawa-Błońska Dudas Hauptgegnerin, eine altgediente Abgeordnete von illustrer Abstammung – ihr Wahlkampfstab wies ununterbrochen darauf hin, dass sie die Urenkelin eines Vorkriegs-Premierministers und eines Präsidenten ist. Ihr Image als Teil des Establishments und ihre quasi-aristokratische Distanziertheit kamen jedoch in Meinungsumfragen nicht so gut an, und sie wurde durch Trzaskowski ersetzt.

Trzaskowski seinerseits stellte etwas ganz anderes dar: jung, relativ neu in der nationalen Politik und international gebildet. Er schien der ideale polnische Liberale zu sein und war vor allem dafür bekannt, 2018 das Rennen um das Warschauer Bürgermeisteramt gewonnen zu haben (seine Amtsführung seitdem ist durch das Versagen einer Wasseraufbereitungsanlage, ein Aufklärungsprogramm über Totgeburten und etwas Geschwafel über den Schutz der LGBTQ gekennzeichnet, aber dennoch – ein Sieg ist ein Sieg). Nur seine relative Stärke und die Stimmigkeit insgesamt verhinderten ein Scheitern der Wahlbemühungen seiner Koalition noch vor der Ziellinie.

Dennoch reichte der Kandidatenwechsel der Koalition nicht aus, um einen Sieg zu erringen – eine gespaltene und apathische liberal-links orientierte Wählerschaft schaffte es nicht, sich hinter Trzaskowski zu vereinen, während die Basis der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit/Vereinigte Rechte ziemlich stabil blieb (auch wenn die Bewegung generell etwas Unterstützung an die faschistische Partei Konfederacja verlor, die allerdings unschlüssig war, einen Kandidaten für die Stichwahl aufzustellen). Am Ende verlief die Wahl ähnlich wie andere in den letzten fünf Jahren – Warschau und der stärker urbanisierte Westen des Landes stimmten für die (neo)liberale Partei, während sich der ländlichere/ärmere Osten für die smarten Faschisten entschied.

Einige Ursachen für dieses Ergebnis sind rein struktureller Natur und liegen zumeist außerhalb des Einflussbereichs der Koalition (tatsächliches oder vermeintliches Klasseninteresse, Verankerung der katholischen Kirche vor Ort, allmählicher Zusammenbruch des ehemaligen Regierungspartners der Koalition, der Bauernpartei PSL), andere Ursachen sind weniger struktureller Natur als falscher Politik geschuldet: Die Bürgerkoalition hat es versäumt, aus ihren Fehlern zu lernen und nach einem Jahrzehnt der Deregulierung und herzloser Sparpolitik sinnvolle Reformen durchzuführen. Sie mag zwar ihren Namen (von „Plattform“ zu „Koalition“) geändert und einige nach links tendierende Opportunisten in ihre Reihen aufgenommen haben (vor allem die Grünen und Inicjatywa Polska), aber auf politischer Ebene ist sie nach wie vor dieselbe Partei eines neoliberalen Konsenses, die Donald Tusk ins europäische Rampenlicht gerückt hat. Zwar hat sie den Widerstand gegen das PiS-Familien-Zuschussprogramm („500+“-) zum größten Teil aufgegeben, doch scheint sie nicht gewillt zu sein, die Sozialprogramme weiter auszubauen, die Vermietung von Häusern zu subventionieren und mehr Geld in die maroden ländlichen Regionen zu pumpen – alles Dinge, die die PiS entweder getan oder versprochen hat. Die Bürgerplattform drängt weiterhin auf eine „wirtschaftsfreundliche“ Agenda, auch wenn die Pandemie die Unterstützung der Bevölkerung für den mythischen Kleinunternehmer, den Allerwelts-Kapitalisten und verschiedene arbeitgebergesteuerte „Gewerkschaften“ zunichtemacht. Sie beherbergt weiterhin Mitglieder der vom Unglück verfolgten, laissez-faire-orientierten Modernen Partei (Nowoczesna), und ihre Unterstützung wird stetig schwächer. Nach den Wahlergebnissen haben Sprachrohre der Koalition wie die „Gazeta Wyborcza“ und die „Polityka“ über die „ungebildeten“ und „undankbaren“ Massen Gift und Galle ausgeschüttet. Die liberale Diagnose, woran Polen leidet, bleibt oberflächlich, geht nicht auf Strukturelles ein – letzten Endes sind diese Höhlenbewohner einfach zu dumm, um wie wir *vernünftigen* Menschen zu wählen. Diese Herangehensweise – dieser Glaube an ein Regieren aus im Wesentlichen undemokratischen, klassen- und habitusbasierten Recht heraus – das ist es, was Komorowskis Wahlkampf in 15 Minuten schrumpfen ließ, was Kidawa-Błońska zwang, in diesem Jahr zurückzutreten und was die Koalition höchstwahrscheinlich auf absehbare Zukunft von der Macht fernhalten wird. Trzaskowski war leichtgläubig, aber nicht leichtgläubig genug, um diese fatale Fehleinschätzung zu überwinden. Am Ende verlor der polyglotte Schönling gegen einen ähnlich privilegierten Anwalt, der einfach besser in der Rolle eines einfachen Volkspolitikers war.

Die jüngste Kampagne, die sich ungewöhnlich stark auf nichtwirtschaftliche Fragen konzentrierte, zeigte die grenzenlose Feigheit der Koalition (und Trzaskowskis). Dort, wo sie ihre liberale Gesinnung leicht unter Beweis hätten stellen können, überließen sie die Erzählung der Regierung. Während Dudas Kampagne, LGBTQ-Leute zum Sündenbock zu machen und zu verunglimpfen (sie sind „Ideologie, nicht Menschen“, so der Präsident), bot Trzaskowski nur leere Plattitüden über „Höflichkeit“ an. Aufrufe zur Beschränkung des „jüdischen Einflusses“ im nationalen Fernsehen stießen praktisch auf keinerlei Widerstand. Feministische und Umweltbewegungen an der Basis wurden ignoriert, und die Koalition konzentrierte sich weitgehend auf die kleinbürgerlichen Gründe für die Unabhängigkeit der Justiz und der Medien (zwar alles wichtige Angelegenheiten, aber nicht allzu interessant für Menschen, die von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck leben). Folgerichtig blieben viele städtische Wähler, des virtuellen Zwei-Parteien-Systems Polens überdrüssig, am Wahltag einfach zu Hause – und sahen keinen Grund, noch einmal für ein kleineres Übel zu stimmen.

Dudas richtungslose Kampagne der Pogromrhetorik hätte ihn angesichts eines kompetenten – und selbstbewussten – Gegners die Präsidentschaft gekostet, aber der liberale Drang, „Kompromisse“, statt Gerechtigkeit zu finden, hat ihm eine weitere Amtszeit beschert. Es wird sicher kein leichtes Unterfangen werden: angesichts einer drohenden Finanzkrise (deren Ausmaß gegenüber die Regierung sich als völlig ignorant erweist) und des zunehmenden Drucks fundamentalistischer Gruppen wie Ordo Iuris könnte sich die Regierung außerstande sehen, ihre bismarckschen Wohlfahrtsprojekte fortzusetzen und die stärker werdenden Aufrufe zu spalterischen Akten der Diskriminierung entgegenzutreten. Wenn sich das Hauptoppositionslager nicht radikal transformiert, könnte sich die PiS weiterhin als nicht abwählbar erweisen – oder es könnte noch schlimmer kommen, wenn der Stern der Konfederacja weiter steigt.