Politische Berichte Nr. 2/2021 (PDF)09
EU-Poltik

EU-Sozialpolitik: Portugals Ratspräsidentschaft und die Säule sozialer Rechte

01 Dokumentiert: Auszug aus Portugals Programm für die Ratspräsidentschaft

Rolf Gehring, Brüssel / Rüdiger Lötzer, Berlin

Die portugiesische Ratspräsidentschaft setzt einen Schwerpunkt im Bereich der Sozialpolitik, genauer dem Arbeitsrecht. In diesem Rahmen wurde nun seitens der Europäischen Kommission ein Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte veröffentlicht. Eine Durchsicht der Dokumente und ein Blick auf die parallel stattfindenden Diskussionen und Kämpfe um die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Politiken bzw. Rechtsinstrumente zeigt zum einen ein weit ausgebautes Feld von bereits bestehenden Rechtsstandards und zum anderen ein Gestaltungsfeld, in dem (soziale) Anspruchs- und Forderungsbildung und die konkrete Arbeit an Rechtsinstrumenten möglich sind.

Die Pandemie und ihre soziale und wirtschaftliche Überwindung sind Ausgangspunkt des portugiesischen Programmes für die Ratspräsidentschaft. Es will nicht weniger erreichen als eine soziale (faire), grüne und digitale Wiederbelebung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens in Europa und setzt Schwerpunkte bei der Wirtschaftspolitik, mit den Stichworten grün, Covid-Krisenüberwindung, Digitalisierung und Kohäsion, dann dem Bereich Außenpolitik mit u.a. den Stichpunkten globaler Akteur, Außengrenzen und Multilateralismus und dem Bereich Sozialpolitik, bei der die europäische Säule sozialer Rechte ein Schlüsselelement für die wirtschaftliche Erholung sein soll. Auch der Beitritt der EU zur europäischen Menschenrechtskonvention soll vorangebracht werden. Nicht überraschend kam eine scharfe Abgrenzung seitens der rechten Fraktionen im EP.

Das Kapitel Sozialpolitik zeigt, dass große Teile der Arbeitsbeziehungen, aber auch andere Bereiche in der Sozialpolitik im EU-Recht ausgebaut sind. Zwar war mit der Osterweiterung (Binnenmarkt und Freizügigkeit) ein weites Feld von Möglichkeiten für das Geschäftsmodell Ausbeutung geschaffen: Wanderarbeit, Saisonarbeit, Briefkastenfirmen für Arbeitnehmerüberlassung, Scheinselbständigkeit und weitere Formen des Unterlaufens von sozialen Standards, Tarifen und anderen Aspekten der Arbeitsbedingungen hatten und haben Konjunktur. Auch die Bedingungen in der Logistikbranche oder die weitgehende Rechtlosigkeit von Saisonarbeitern aus Drittländern stehen hierfür. Aber auf der anderen Seite fand und findet auch eine politisch-rechtliche Einhegung von EU-Seite statt (Entsenderichtlinie, Umsetzungsrichtlinie zur Entsenderichtlinie, Europäische Arbeitsagentur, Menschen- und Arbeitnehmerrechte in den Lieferketten …).

Der nun veröffentliche Aktionsplan zur Europäischen Säule sozialer Rechte eröffnet nun weitere Möglichkeiten zur Bildung von Koalitionen für soziale Interessen. Drei materielle Ziele werden ausgegeben:

Im Aktionsplan sind weiterhin u. a. aufgeführt:

So hat die Europäische Kommission etwa am 4. März einen Entwurf für eine Richtlinie zur Stärkung des Grundsatzes der Lohngleichheit durch Lohntransparenz und die Verankerung von Durchsetzungsmechanismen vorgelegt. Materielle Inhalte sind unter anderem das Auskunftsrecht, Vorgaben für die Berichterstattung der Unternehmen, Darlegungspflichten in Sachen Entgeltbewertung, gerichtliche Verfahren, Entschädigung, Verhandlungsmandate oder die „Verlagerung der Beweislast“. Nicht nur bei dieser Vorlage wird deutlich, dass die Regulierungslevels oder materiellen Standards in aktuellen EU-Rechtsetzungsvorhaben oft denen in vielen Mitgliedsstaaten voraus sind.

Auch die Frage der Rechtsfortbildung, also Revisionsprozesse (etwa bei der Richtlinie zu karzinogenen und mutagenen Arbeitsstoffen), Rechtsprechung und Auslegung der Verträge, eröffnet Spielräume für sozialen Fortschritt, zuletzt im Zusammenhang mit dem Vorschlag für einen europäischen Rechtsrahmen für Mindestlöhne (siehe hierzu auch PB 6/2020, S. 18/19), der auf einer weiten Auslegung der Verträge (Zuständigkeit der EU) beruht. Die Kommission hat in diesem Zusammenhang auch aufgenommen, Rahmenbedingungen für Tarifstrukturen aktiv zu fördern, statt wie im Rahmen der Troika-Prozesse Tarifstandards zu unterminieren.

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Dokumentiert: Auszug aus Portugals Programm für die Ratspräsidentschaft

Wir wollen die allgemeine Einbeziehung der sozialen Dimension in die Formulierung der Wirtschafts-, Industrie- und Digitalpolitik der EU sowie in die Umsetzung der nationalen Sanierungspläne … fördern.

Wir werden einen breiten und übergreifenden Fokus auf die Zukunft von Arbeit und menschenwürdige Arbeit fördern, mit zahlreichen Verbindungen zu Wettbewerbsfähigkeit, wirtschaftlicher Umstellung, Bildung, Ausbildung, lebenslangem Lernen und sozialem Zusammenhalt. Neue Arbeitsformen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, sichere Arbeitsplätze und faire Löhne sowie Arbeitszeiten, die zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie geeignet sind, sowie sozialer Schutz müssen unabhängig vom Arbeitsverhältnis stets auf der Grundlage des sozialen Dialogs und von Tarifverhandlungen geregelt werden. Wir werden die Aushandlung der Richtlinie über angemessene Mindestlöhne und die Diskussion über die Bedeutung der Stärkung des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen weiterverfolgen.

Wir werden der neuen europäischen Strategie für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, die im Zusammenhang mit der Reaktion auf die Pandemie von größter Bedeutung ist, Priorität einräumen. (…)

Wir werden uns auf die Förderung des sozialen Zusammenhalts konzentrieren, einschließlich der Bekämpfung der Armut, insbesondere der Kinderarmut, der sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung. (…)

Besondere Aufmerksamkeit sollte der Einrichtung einer europäischen Plattform für Zusammenarbeit gewidmet werden, um die Rolle der EU bei der Bekämpfung der Obdachlosigkeit zu stärken. (…)

Durch die Verabschiedung der Empfehlung des Rates bezüglich der neuen Roma-Strategie für Gleichstellung, Inklusion und Partizipation 2020–2025, wird die Präsidentschaft auch die Situation der Roma herausstellen.

Eigene Übersetzung auf Basis google – rog