Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)27b
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

Ausbildungsgarantie als Brücke zu qualifizierter Beschäftigung?

Johann Witte, Bremen

Die Krise der dualen Berufsausbildung in Betrieb und Berufsschule hat sich in der Pandemie weiter verstärkt. 2021 wurden nur noch 473100 Ausbildungsverträge abgeschlossen und 67800 lehrstellensuchenden Jugendlichen gelang es nicht, einen Ausbildungsplatz zu finden. Unbesetzt blieben 63200 Ausbildungsstellen.

Anlass genug, um in der Koalition von SPD, Grünen und FDP die Ausbildung zum Thema zu machen. Leider umfasst der Abschnitt im Koalitionsvertrag nur knapp eine halbe Seite und enthält großenteils bekannte Stichworte wie Berufsorientierung, Jugendberufsagenturen, Einstiegsqualifizierung, assistierte Ausbildung, ausbildungsbegleitende Hilfen und Verbundausbildungen (siehe hierzu auch PB 4/21). Neu aufgenommen wurde das Ziel einer Ausbildungsgarantie. Hierzu findet sich nur der Satz: „Wir wollen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, vorrangig im Betrieb“.1

Die Diskussion darüber orientiert sich an dem österreichischen Modell, das im Folgenden vorgestellt wird.

Beispiel und Vorbild? Ausbildungsgarantie in Österreich2

Jeder Jugendliche unter 25, der sich beim Arbeitsmarktservice (entspricht der Arbeitsagentur) als ausbildungsplatzsuchend meldet und nicht mehr als einen Pflichtschulabschluss frühestens nach dem 8. Schuljahr (in Deutschland etwa Hauptschulabschluss/einfache Berufsbildungsreife) hat, soll eine Lehrstelle bekommen – entweder im Betrieb oder auf überbetrieblicher Ebene. Diese ÜBA (Überbetriebliche Lehrausbildung) gibt es in Österreich seit 2017. Unterschieden werden zwei Typen. Die ÜBA vom Typ 1 beinhaltet einen Ausbildungsvertrag mit einem Bildungsträger, den Besuch der Berufsschule und betriebliche Praktika, während es beim Typ 2 für die betriebliche Ausbildung zusätzlich einen festen Kooperationsbetrieb gibt. Zwischen Träger und Auszubildendem werden einjährige Ausbildungsverträge abgeschlossen. Sie ermöglichen einen Übergang in eine ÜBA Typ 2 oder in eine duale Ausbildung in dem entsprechenden Betrieb. Lehrabschlussprüfungen finden wie in der dualen Ausbildung vor der Wirtschaftskammer statt. 8 % aller Auszubildenden nehmen an ÜBAs teil. 90% der Kosten werden aus der Arbeitslosenversicherung finanziert, die übrigen 10% durch die Bundesländer. 42 % der Teilnehmer wechseln im ersten Ausbildungsjahr in einen Betrieb; über 60 % können insgesamt erfolgreich in Betriebe vermittelt werden. Ca. 80% der Teilnehmer, die sich am Schluss noch in den ÜBAs befinden, bestehen ihre Abschlussprüfung (bei den betrieblichen Auszubildenden sind es ca. 90%). Etwa die Hälfte der Teilnehmer bricht die Ausbildung ab (vor allem in den ersten drei Monaten). Vorgesehen sind für das Modell im Ausbildungsjahr 2021/22 ca. 240 Mio. € an finanziellen Mitteln.

Die Konkurrenz der ÜBAs zu einer betrieblichen Lehre ist dabei auch weniger entscheidend, da die Bewerber erfolglose Bewerbungen nachweisen müssen, kontinuierlich Vermittlungsbemühungen von den ÜBAs in Richtung Betriebe stattfinden und auch eine Differenz zwischen der Ausbildungsvergütung im Betrieb und der Vergütung in der Maßnahme besteht.

Auseinandersetzungen um eine Ausbildungsgarantie

Ende Januar führte das OECD Berlin Centre (wirtschaftliche Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung) eine Onlinekonferenz zu obigem Thema mit ca. 300 Teilnehmern durch.3 Dabei waren der österreichische Arbeitsminister, die Staatssekretärin aus dem Bundesministerium für Arbeits- und Sozialordnung, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Arbeitsagentur), der DIHT und Vertreter von Kammern, Gewerkschaften und anderen.

Nach der Darstellung der österreichischen Ausbildungsgarantie wurde deutlich, dass vom deutschen Arbeitsministerium keinerlei konkrete Vorstellungen über eine Ausbildungsgarantie vorliegen. Von den Kammern und Unternehmerverbänden gab es nicht nur in der Konferenz erhebliche Kritik: Eine Ausbildungsgarantie sei überflüssig, da sie das „Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage“ zerstören würde4. Die Bewerberzahlen seien inzwischen so gering, dass das Lehrstellenangebot völlig ausreichend sei. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks lehnt ebenfalls eine Ausbildungsgarantie ab und fordert dagegen „mehr Entlastung und Wertschätzung für die berufliche Ausbildung und die Ausbildungsbetriebe“. Eine Ausbildungsgarantie würde die „bewährte duale Ausbildung aushöhlen“5. Nach den Strukturproblemen der dualen Ausbildung wurde dabei gar nicht mehr gefragt.

DGB- und IGM-Jugend wie auch die GEW sehen mit den wenigen Sätzen im Koalitionsvertrag „den Reformbedarf der beruflichen Bildung endlich anerkannt“6 und wollen sich für eine Ausbildungsgarantie nach österreichischem Vorbild einsetzen – allerdings mit einer staatlich durchgesetzten Umlagefinanzierung durch die Unternehmen. Dieses Finanzierungsmodell ist schon Anfang der 1980er Jahre und erneut 2003 gescheitert. Heute ist es genauso unwahrscheinlich, dass eine Umlagefinanzierung gegen den Widerstand von Unternehmerverbänden und Kammern durchgesetzt werden könnte. Durch eine Vereinbarung von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden zur Finanzierung wie in der Bauindustrie wäre eher eine Lösung denkbar.

Unterstützung findet eine Ausbildungsgarantie nach österreichischem Vorbild in einer Studie zu den volkswirtschaftlichen Effekten einer Ausbildungsgarantie von der Bertelsmannstiftung.6 Umsetzungsversuche gibt es z. B. in einigen Bundesländern. Die Wirtschaftssenatorin fördert in Bremen seit 2021 im Landesprogramm „Ausbildungsgarantie“ mit Mitteln des Landes und des Europäischen Sozialfonds Ausbildungsverbünde aus zwei oder mehr Unternehmen, die gemeinsam einen Ausbildungsplatz anbieten sowie die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in Betrieben und unterstützt den Übergang von Schule in Ausbildung.

Dabei wird auch klar, dass bei einer Umsetzung auch zu klären wäre, ob Bund oder Länder oder wie beide zuständig sind und wie eine Finanzierung erfolgen kann. Gegen eine Ausbildungsgarantie, die das duale System stärkt (wie beim österreichischen Modell), ist auf jeden Fall nichts einzuwenden. Eine wirkliche Garantie auf einen Ausbildungsplatz wird aber in keiner Version umgesetzt.

1. Koalitionsvertrag 2021-2025 von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S.66f. 2. Dargestellt nach den Vorträgen auf: https://blog.oecd-berlin.de/ausbildungsgarantie-als-bruecke-zu-qualifizierter-beschaeftigung 3. Die OECD unterhält Informationsbüros in Washington, Mexiko-Stadt, Tokio und Berlin. Aufgabe dieser Büros ist die Verbreitung von OECD-Publikationen im jeweiligen Sprachraum. Das OECD Berlin Centre ist für Deutschland, Österreich und die Schweiz zuständig. 4. https://arbeitgeber.de/wp-content/uploads/2021/10/BDA-Arbeitgeber-Den_Ausbildungsmarkt_wirkungsvoll_unterstuetzen_2021_10_22.pdf 5. https://www.kfz-betrieb.vogel.de/kritik-an-ausbildungsgarantie-und-mindestlohn-a-1084306/ 6. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/volkswirtschaftliche-effekte-einer-ausbildungsgarantie-all

Abb.(PDF): Logo ÜBA Österreich