Quelle: Politische Berichte Nr. 3, April 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT

Mind the gap – „Bitte beachten Sie die Lücke zwischen Ausstieg und Bahnsteigkante“

Nein, hier ist keine Beschreibung der Tücken beim U-Bahnfahren angesprochen, wo diese Durchsage die Passagiere vor Verletzungen beim Aussteigen aus der U-Bahn schützen will. Es ist vielmehr eine Zusammenfassung einer Studie in Bezug auf die Europäische Union: „Nothing to fear but fear itself“, die zwischen 23. August und 7. September 2016 in den Ländern Deutschland, Frankreich, Polen, Spanien, Schweden und Großbritannien durchgeführt und in englischer Sprache veröffentlicht worden ist. „The gap“, die Lücke ist das Bild, das sich aus den Ergebnissen der Studie in Deutschland ergibt, nämlich durch Gegenüberstellung der Erkenntnisse zu den Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger im Land zu den Ansichten der politischen Entscheidungsträger. „Die Studie kann daher auf einzigartige Weise aufzeigen, in welchen Bereichen politische Entscheidungsträger die Menschen im Land verstehen und wo spezifische Defizite bestehen, die zu Fehleinschätzungen führen können.“

In der Auswertung von repräsentativen Umfragedaten und Interviews mit Entscheidungsträgern identifiziert die Studie unter anderem folgende Kernerkenntnisse:

Eine Mehrheit der befragten Deutschen hat Ängste zu den Auswirkungen der EU auf das Leben in Deutschland, darunter vor allem zur sozialen Sicherheit (53%) und zu steigenden Zahlungen an die EU (52%). Knapp unter 50% der Befragten gab zudem an, in Bezug auf die EU den möglichen Verlust des Arbeitsplatzes sowie den Verlust nationaler Identität und Kultur in Deutschland zu befürchten.

Interviews mit Abgeordneten des Bundestags und des Europaparlaments zeigten dagegen, dass deutsche Politiker diese konkreten Sorgen der Bürger oft nicht zu hören bekommen. Stattdessen spekulierten die Politiker, dass die Sorgen der Bürger allgemeiner Natur sind und von der aktuellen politischen Unsicherheit in Europa herrühren. Sie stünden nicht direkt mit der EU in Zusammenhang.

Die Auswertung der Umfrageergebnisse zeigt aber, dass weniger als 15% der Bürger allgemein und unabhängig von der Rolle der EU besorgt über die Zukunft Deutschlands sind. Die meisten Bürger äußern konkrete Sorgen in unterschiedlichen Politikbereichen. Anhänger der CDU/CSU sorgen sich beispielsweise mehr über steigende EU-Haushaltszahlungen und den Verlust der nationalen Identität als diejenigen, die sich mit der SPD identifizieren.

Im Bericht präsentieren die Experten von d|part Ansätze, wie die Kluft zwischen Politikern und Bürgern überbrückt werden kann. Die Wissenschaftler lehnen einfache Maßnahmen wie ein Interrail-Ticket für junge EU-Bürger ab. Diese allein können keine tiefgreifenden Veränderungen in der Wahrnehmung der EU erreichen. Politiker müssen stattdessen dabei unterstützt werden, die konkreten Sorgen der Bürger anzugehen.

Die Studie wurde von d|part* im Auftrag des Londoner Think Tanks Demos durchgeführt. Sie bildet einen Teil eines europaweiten Projekts zum Thema „Angst und Populismus in Europa.“ Die Studie kann über folgende Internetadresse abgerufen werden: https://www.demos.co.uk/wp-content/uploads/2017/02/Nothing-to-Fear-but-Fear-Itelf-final.pdf

Ausdrücklich ist die Weiterverbreitung gewünscht.

Eva Detscher, Karlsruhe

* d|part – Thinktank for political participation wurde bereits in de n Politischen Berichten August 2016 vorgestellt. (nachzulesen über www.linkekritik.de)

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