Quelle: Politische Berichte Nr. 5, Mai 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT H O M E

EU Kommission fördert Schwarzarbeit und Briefkastenfirmen

Der kürzlich vorgestellte Gesetzesvorschlag für eine europäische Dienstleistungs-e-Karte ist der vorerst letzte Versuch der Kommission, wirtschaftliche Freiheiten im Binnenmarkt zu fördern, ohne Rücksicht auf soziale Belange zu nehmen. Die neue e-Karte soll es erleichtern, grenzüberschreitend Dienstleistungen zu erbringen, und administrative Hindernisse verringern. Im Fokus sind die Bau- und Reinigungssektoren, da deren grenzüberschreitende Mobilität angeblich zu gering sei. Schaut man jedoch hinter die Kulissen, entdeckt man einige bekannte Elemente, mit denen die Kommission bereits in der Vergangenheit versuchte, auf Kosten der Allgemeinheit die europäischen Märkte zu deregulieren.

Unter anderem bedient sich der Vorschlag des Herkunftslandprinzips für die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen, was in der Vergangenheit schon bei der Debatte um die Entsendung von Arbeitnehmern kritisiert wurde, da es in der Praxis Scheinentsendung begünstigt. Des Weiteren untersagt es der Gesetzesvorschlag den Aufnahmeländern, in denen die Dienstleistungen ausgeführt werden und Kontrollen der Arbeitsbedingungen stattfinden, Dokumente und andere Belege für die Einhaltung geltenden Rechts direkt vom Unternehmen anzufordern. Stattdessen müssen diese auf bürokratische Weise vom Heimatland angefordert werden.

Da die e-Karte elektronisch beantragt werden kann, stellt sich auch dieselbe Frage, die sich in der inzwischen auf Eis gelegten Debatte zur Ein-Personengesellschaft (SUP-Richtlinie) gestellt hat: Entsprechen die Angaben der Realität oder handelt es sich schlicht und ergreifend um eine Briefkastenfirma, mit der Steuer- und Sozialabgaben vermieden und Tarifverträge umgangen werden sollen. Da die e-Karte auch Soloselbständigen offensteht, könnte sie auch als Vehikel zur Beförderung von Scheinselbständigkeit missbraucht werden.

Gesetzeslücken im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr erlauben es, Steuern, Sozialabgaben und sogar Lohnkosten zu vermeiden. Das betrifft vor allem die Baubranche. Beispiel: ein Unternehmen aus Mitgliedsstaat A gründet eine als Leiharbeitsfirma getarnte Briefkastenfirma in Mitgliedsstaat B, wo Unternehmenssteuern niedrig sind, um von dort Beschäftigte aus Mitgliedsstaat C für niedrige Löhne nach Mitgliedsstaat A zu entsenden, wobei die dortigen Lohnnebenkosten, Sozialabgaben und Steuern vermieden werden. Diese Art von Ausbeutung ist inzwischen gang und gäbe und hat bereits zu empfindlichen Wettbewerbsverzerrungen geführt. So werden u.a. Verpflichtung gegenüber den Beschäftigten bei Krankheit und ähnlichem umgangen.

Selbst die Arbeitgeberverbände der Bau- und Reinigungssektoren teilen die Einschätzung der Gewerkschaftsseite, dass die e-Karte die bestehenden Probleme verstärken könnte. Darum forderten sie die Kommission auf, von ihrem Gesetzesvorschlag abzusehen. Die Kommission hingegen blieb davon unbeirrt, nicht zuletzt da die branchenübergreifenden Sozialpartnerverbände, die mit der branchenspezifischen Problematik nicht ausreichend vertraut sind, den Vorschlag zunächst positiv aufnahmen. Inzwischen hat der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) seine Position geändert, nichts desto trotz liegt der Gesetzesvorschlag inzwischen dem Europaparlament und den Mitgliedstaaten vor, die stark von der Kommission bearbeitet werden. Insbesondere in den neuen Mitgliedsstaaten erhofft man sich von der e-Karte eine bessere Wettbewerbsposition.

Stephen Schindler, Brüssel