Quelle: Politische Berichte Nr. 5, Mai 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT H O M E

Frankreich nach der Präsidenten- und vor der Parlamentswahl

Infokasten: Le Pen contra Macron, die Schere Stadt-Land

Macron hat den zweiten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen gewonnen. Die nächste Hürde steht in einem Monat an.

Die im Juni stattfindende Wahl zur Assemblée Nationale, dem Parlament, könnte Macron in die Cohabitation (*) zwingen, und damit wären die Möglichkeiten des Staatspräsidenten deutlich eingeschränkt. „En Marche“, mit der er die Kampagne geführt hat, ist noch jung, Bewegung, keine Partei mit ausgereiften Strukturen, und es muss ihnen gelingen, mit einer starken Fraktion in die Nationalversammlung einzuziehen oder gar eine Mehrheit der Sitze der Assemblée Nationale zu gewinnen. (**) Es gibt optimistische Prognosen, die das für möglich halten, zumindest könnte eine nicht unbedeutende Anzahl Abgeordneter erreicht werden.

Sollte sich Macron nach den Wahlen zur Nationalversammlung für seine Projekte wechselnde Mehrheiten und unterschiedliche Unterstützer beschaffen müssen, könnte die französische Linke Nützliches liefern:

Reformen im Arbeitsrecht; der Unternehmensbesteuerung und der Sozialabgaben: der Umbau und die Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen; Anpassungen im Rentenrecht und der Rentensysteme; strukturelle Änderungen im Bildungssystem – bei der beruflichen Bildung und den sozialen Brennpunkten – die französische Gesellschaft ist auf vielen Feldern dringend reformbedürftig.

Und im politischen System weiter Elemente von Good Gouvernance unterzubringen, wie etwa das Verbot Familienangehörige zu „beschäftigen“ oder die Anforderung, dass Parlamentarier alle Einkünfte versteuern müssen, wer wird sich dem verschließen wollen! Es können sich etliche Punkte finden lassen, bei denen die Linke das ihre dazutun und nicht nur dagegen sprechen kann.

Zahlen zur Wahl

Macron hat im zweiten Wahlgang 66,1 % der Stimmen erhalten, Le Pen 33,9 %. Das sind 20,7 Millionen bzw. 10,6 Millionen Stimmen. (4) Die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang war mit 74,7 % niedrig wie seit 1969 nicht mehr: 12 Millionen Wahlberechtigte haben nicht am Wahlakt teilgenommen (10 Mio. im ersten Wahlgang). Drei Millionen Stimmen wurden „weiss“ (blanc) abgegeben, also für keinen der Kandidaten. (***) Eine Million Stimmzettel waren ungültig.

Nach derzeitigem Stand hat Macron alle Departements gewinnen können außer Aisne (52,9 %) im Norden und Pas-de-Calais (52,0 %) im Nordwesten. Le Pen hat aber in 32 von 102 Departements mehr als 40 % der Stimmen erhalten. Und Le Pen hat das Ergebnis des FN gegenüber der Wahl 2002, als der FN erstmals in die Stichwahl gelangt war, mehr als verdoppelt. In 26000 Kommunen hat Macron die Mehrheit erzielt, in 9200 Le Pen.

Ein Blick auf den ersten Wahlgang (siehe Karte) zeigt die Gewinner in den Regionen. Macron hatte die meisten Stimmen (8,6 Mio.) erhalten. Le Pen (7,6 Mio.), Fillon (7,2 Mio.) und Melenchon (7,0 Mio.) lagen nicht dramatisch weit auseinander. Aus der Landkarte lässt sich ablesen: Macron wird in den großen Städte und an der Atlantikküste bis hin zur Mitte gewählt. Le Pen erzielt ihre besten Ergebnisse im Norden und Osten sowie in den mediterranen Regionen.

Die Zeitschrift Le Monde hat sich Phänomene des Wählerverhaltens nach den Stichworten Zentrum und Peripherie, Stadt und Land sowie sozialer Status angeschaut. Die dokumentierten Auszüge sind aus der NZZ.

Die französische Linke tritt bei den Parlamentswahlen nicht als arithmetische Größe an. Die PS – noch Regierungspartei – könnte gegen ihre Bedeutungslosigkeit kämpfen müssen. Wofür Melenchons 20 % gut sein werden, weiß wahrscheinlich nicht mal er selber. Die PCF hat sich bereits im Präsidentschaftswahlkampf für Melenchon aufgerieben. Ob es allein für das Parlament reichen wird? Und wenn es inhaltlich dabei bleiben sollte, das unter „neoliberal“ alles abgespeichert wird, was „neoliberal“ sein muss, dann wird es spätestens in fünf Jahren vielleicht ein böses Erwachen geben.

Man kann den Sieg von Emmanuel Macron auch als Chance für die französische Linke begreifen.

Matthias Paykowski, Karlsruhe, 8.5.17

(*) Cohabitation beschreibt die Situation, in der Präsident und stärkste Fraktion im Parlament aus unterschiedlichen politischen Parteien oder Lagern kommen, der Präsident also über keine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung verfügt.

(**) 577 Abgeordneten der Nationalversammlung werden am 11. und 18. Juni in allgemeiner, direkter Wahl gewählt. In jedem Wahlkreis wird ein Abgeordneter gewählt, nach dem Mehrheitswahlrecht in zwei Wahlgängen. Gewählt ist im ersten Wahlgang, wer die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen sowie mindestens ein Viertel der Stimmen der eingeschriebenen Wähler erlangt. Im zweiten Wahlgang kann antreten, wer im ersten Wahlgang mindestens 12,5 % der Stimmen der eingeschriebenen Wähler erhielt. Es reicht dann die relative Mehrheit.

(***) Stimmenthaltungen (votes blancs) und ungültige Stimmabgaben (bulletins nuls) werden seit dem Gesetzes vom 21. Februar 2014 bei allen Wahlen getrennt gezählt. Die Anzahl der Stimmenthaltungen wird bei den Wahlergebnissen erwähnt, zählt aber nicht zu den abgegebenen Stimmen. Mit dem Verfassungsergänzungsgesetz vom 25. April 2016 wurde dieses Verfahren auch auf die Präsidentschaftswahlen ausgeweitet.

Quellen:

1 https://www.nzz.ch/international/aktuelle-themen/macron-als-liebling-des-urbanen-publikums-und-der-fischer-le-pen-scheitert-in-paris-ld.1288525

2 Le Monde, 25.4.2017: http://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2017/04/25/presidentielle-macron-favori-des-centres-aises-le-pen-des-campagnes-melenchon-des-banlieues_5117257_4355770.html?utm_campaign=Echobox&utm_medium=Social&utm_source=Twitter#link_time=1493132796

3 Französisches Innenministerium:- Vorläufiges Wahlergebnis: http://elections.interieur.gouv.fr/presidentielle-2017/FE.html

4 Auf der Seite des Umfrage-Institut Ipsos finden sich interessante Analysen zur Wahl - Stand 7.5.2017: http://www.ipsos.fr/presidentielle2017/

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Le Pen contra Macron, die Schere Stadt-Land

dokumentiert aus Neue Züricher Zeitung vom 5. Mai 2017

Neun der zehn einwohnerreichsten Städte … alle wählten sie mehrheitlich Macron. Nur in Marseille … gaben ihm die Wähler nur 20,4 Prozent ihrer Stimmen.

Dass eine Rechtspopulistin in städtischen Gebieten nicht gut ankommt, schon gar nicht in der Hauptstadt, ist ein internationales Phänomen. Auch Donald Trump war in New York nicht erste Wahl, London lehnte den Brexit ab, und Erdogans Verfassungsreferendum wurde in Istanbul und Ankara abgelehnt.

Paris zerfällt traditionell bei Präsidentenwahlen in zwei Lager: Der westliche Teil bevorzugt rechte, der östliche linke Kandidaten. Das war in dieser ersten Wahlrunde nicht anders: Im Westen der Stadt gewann François Fillon, im Osten Jean-Luc Mélenchon. Diesmal aber war die Stadt nicht zwei-, sondern dreigeteilt …: Macron, weder links noch rechts, überzeugte das Zentrum – in den Arrondissements 1 bis 5, 9 bis 15, 17 und 18 erhielt er die meisten Stimmen. Im Paris holte Marine Le Pen ihre wenigen Stimmen vor allem am Stadtrand … In der Agglomeration war der Wähleranteil des Front national jeweils stärker als im Zentrum. Viele Stimmen errang Le Pen in ländlichen Regionen und kleinen Städten am südöstlichen Mittelmeer, zudem im industriellen Nordosten.

Aber nicht überall geht die Stadt-Land-Schere so weit auseinander. Betrachtet man die Wählerdaten der fast 36 000 französischen Gemeinden im Detail, so zeigt sich ein differenziertes Bild. Tatsächlich gibt es eine Tendenz zu hohen Wähleranteilen für Marine Le Pen in Ortschaften mit tiefen Einwohnerzahlen – und umgekehrt zu hohen Wähleranteilen für Emmanuel Macron in Ortschaften mit hohen Einwohnerzahlen. Aber diese Tendenz, oder Korrelation, ist nicht sehr stark.

Zahlreiche Ortschaften passen nämlich nicht in das Muster der Stadt-Land-Schere. Viele Klein- und Kleinstgemeinden im Jura, in den Alpen, den Pyrenäen oder am Meer in der Bretagne wollen ganz und gar keine Front-national-Präsidentin ... Im Gegenzug holt sie in zwei großen Städten am südöstlichen Mittelmeer mehr Stimmen als Emmanuel Macron: in Marseille (23,7 Prozent) und in Nizza (25,3 Prozent). Besonders im Südosten Frankreichs und in der Bretagne ist die Kluft zwischen Stadt und Land nicht sehr tief. Ländliche Gemeinden der Bretagne wählten – wie die Hauptstadt Rennes – häufiger Macron, Städte am südöstlichen Mittelmeer – wie die umliegenden Dörfer – eher Le Pen.

Städte wählten auch je nach ihrer demografischen Zusammensetzung unterschiedlich. Wo viele Arbeitslose wohnen, erzielte Le Pen bessere Resultate, in Städten mit vielen Studierenden übertraf Macron die rechte Kandidatin. Vergleicht man große Universitätsstädte mit Nachbarstädten ähnlicher Größe (und einer kleineren Universität oder Hochschule), so treten diese Unterschiede zutage: In der Universitätsstadt Nancy erzielte Marine Le Pen viel weniger Stimmen als in der Nachbarstadt Metz. Und dasselbe gilt für die Universitätsstadt Rouen und deren Nachbarstadt Le Havre.

Auch die Agglomerationen der großen Städte verdienen einen differenzierten Blick: In wohlhabenderen Banlieues entschieden sich die Wähler eher für Fillon und Macron, in einkommensschwächeren Banlieues eher für Le Pen und Mélenchon.

Abb.: Ergebnis des ersten Wahlgangs: Welcher Spitzenkandidat hat in welcher Region Frankreichs und in den Überseeregionen gewonnen? Legende zur regionalen Verteilung: Melanchon (hell – in drei Regionen), Macron (grau - vor allem im Westen und Paris), Fillon (dunkelgrau) und Le Pen (schwarz - vor allem im Norden, Osten und Süden).