Quelle: Politische Berichte Nr. 5, Mai 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT H O M E

DOK Mindestlohn

iab: Nach Einführung des Mindestlohns: Umwandlungen von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben sich verdoppelt

dgb Mindestlöhne: Was ändert sich ab 2017? Wer profitiert derzeit?

wsi Berichte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts WSI

Blick in die Presse

01 Abfallentsorgung: Gesetzlicher Mindestlohn schwächt Tarifautonomie.

02 Gesetzlicher Mindestlohn führt zu mehr Bürokratie und Rechtsunsicherheit.

03 Private Pflege sieht starke Belastung der Einrichtungen durch Mindestlohn.

Nach über zwei Jahren Mindestlohn in Deutschland haben sich die größten Befürchtungen nach einem massiven Arbeitsplatzabbau nicht bewahrheitet. Er zieht eine Untergrenze auch für tarifliche Löhne und stärkt die Kaufkraft. Wir dokumentieren aus Stellungnahmen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, eine Einrichtung der Bundesanstalt für Arbeit, des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und des DGB.

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iab: Nach Einführung des Mindestlohns: Umwandlungen von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben sich verdoppelt

www.iab.de: Mit der Einführung des Mindestlohns im Januar 2015 ist die Zahl der Minijobs saisonbereinigt um 125 000 zurückgegangen. Der Rückgang wurde jedoch teilweise durch eine verstärkte Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeglichen. Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich die Zahl der umgewandelten Minijobs verdoppelt. Ein Teil dieser Umwandlungen hat dabei andere Stellen ersetzt. Das geht aus einer neuen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor, die am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Im Januar 2015, unmittelbar nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, lag die Zahl der Umwandlungen bei fast 110 000, und damit mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr (53 000). Dabei wurden verstärkt Minijobs von Frauen, Älteren, Ostdeutschen sowie von Beschäftigten in mittelgroßen Betrieben in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt. Stark überdurchschnittlich waren die Umwandlungen außerdem in den Wirtschaftsabschnitten „Verkehr und Lagerei“ sowie „Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen“.

In Betrieben mit relativ vielen Minijobs wurden diese nicht nur häufiger umgewandelt, in ihnen endeten auch tendenziell mehr geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Zudem wurden in ihnen weniger neue Minijobs geschaffen. Die Zahl der Umwandlungen selbst hatte keinen zusätzlichen Effekt auf den Abbau der geringfügigen Beschäftigung im Betrieb. Allerdings gab es bei mehr umgewandelten Minijobs in einem Betrieb auch mehr Abgänge aus sozialversicherungspflichtigen Jobs. „Etwas weniger als die Hälfte der Umwandlungen bedeuten zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung“, so die IAB-Forscher Philipp vom Berge und Enzo Weber.

Die im Zuge der Mindestlohneinführung umgewandelten Beschäftigungsverhältnisse waren bislang nicht weniger stabil als solche in der Vergangenheit: „Es stellt sich heraus, dass sich die Stabilität der umgewandelten Beschäftigungsverhältnisse im Vergleich zu den beiden Vorjahren sogar etwas erhöht hat“, schreiben vom Berge und Weber.

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dgb Mindestlöhne: Was ändert sich ab 2017? Wer profitiert derzeit?

www.dgb.de. 1,9 Millionen Jobs wurden im April 2015 laut Statistischem Bundesamt mit Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro brutto bezahlt. Eine Million Beschäftigungsverhältnisse wurde mit weniger als Mindestlohn vergütet, darunter Beschäftigtengruppen, die gesetzlich vom Mindestlohn ausgenommen sind. Vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohn am 1. Januar 2015 gab es noch vier Millionen Jobs mit einem geringeren Stundenlohn als 8,50 Euro.

Insbesondere Frauen, MinijobberInnen, Ungelernte, Beschäftigte in Dienstleistungsbranchen und in Ostdeutschland können sich über ein kräftiges Lohnplus freuen. Ein Viertel der Jobs mit Mindestlohn (0,5 Mio.) entfiel im April 2015 auf Ostdeutschland, das entspricht 11 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in den Neuen Bundesländern. In Westdeutschland wurden vier Prozent aller Jobs mit Mindestlohn vergütet (1,4 Millionen).

In zwei Branchen liegen die Mindestlöhne (teilweise) noch unter dem gesetzlichen Niveau von 8,50 Euro, für die anderen Branchen sind bereits Erhöhungen vereinbart:

– bei den Wäschereidienstleistungen im Objektkundenbereich Ost gilt der Branchenmindestlohn von derzeit 8,75 Euro noch bis Ende September 2017 und liegt damit noch 9 Cent unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns,

– in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau steigt das Mindestentgelt zum Januar 2017 auf 8,60 Euro einheitlich für Ost und West, ab November 2017 dann auf 9,10 Euro,

– in der Textil- und Bekleidungsindustrieb Ost steigt der Mindestlohn zum November 2016 auf 8,75 Euro und wird ab Januar 2017

– wie für den Westbereich – auf den aktuellen gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro angehoben.

– In der Leiharbeit gilt der Mindestlohn von derzeit 9 Euro (West) und 8,50 (Ost) bis zum 31. Dezember 2016. Ob es eine Folgevereinbarung gibt, hängt von dem Ausgang der Tarifverhandlungen ab. Bis dahin gilt ab 1. Januar 2017 der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,84 Euro

– sowohl in verleihfreien Zeiten als auch für den Zeitraum des Einsatzes in einem Entleihbetrieb. Aber: Die meisten Branchen-Mindestlöhne liegen bereits jetzt deutlich oberhalb von 8,50 und 8,84 Euro – sie werden weiter steigen und haben Vorrang vor dem gesetzlichen Mindestlohn.

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wsi Berichte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts WSI

www.boeckler.de WSI-Mindestlohnbericht 2017; Hohe Zuwächse in Europa. Im Jahr 2016 hat sich das Wachstum der Mindestlöhne noch einmal beschleunigt und damit den bereits seit einigen Jahren andauernden Trend hin zu einer dynamischeren Mindestlohnentwicklung fortgesetzt. In den meisten europäischen Ländern profitieren die Mindestlohnempfänger zudem von der niedrigen Preisentwicklung und können teilweise erhebliche Reallohnzuwächse verzeichnen. Allerdings liegt sowohl der absolute als auch der relative Wert des Mindestlohns in vielen Ländern nach wie vor auf einem eher geringen Niveau, das oft kein existenzsicherndes Einkommen ermöglicht. Deshalb werden auch in den kommenden Jahren kräftigere Mindestlohnsteigerungen auf der Tagesordnung stehen und die Debatten um eine europäische Mindestlohnpolitik beflügeln.

Bei der Höhe nationaler Mindestlöhne zeigen sich sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas erhebliche Unterschiede. Gemessen in Euro lassen sich im Hinblick auf die Mindestlohnniveaus innerhalb der EU drei Gruppen identifizieren: Die erste Gruppe mit relativ hohen Mindestlöhnen umfasst insgesamt sieben Staaten aus Westeuropa. Das höchste Mindestlohnniveau mit einem Wert von 11,27 € pro Stunde findet sich in Luxemburg, für dessen Arbeitsmarkt der Mindestlohn angesichts eines extrem hohen Anteils von Berufspendlern aus dem benachbarten Ausland besonders wichtig ist. Der zweithöchste Mindestlohn existiert mit 9,76 € pro Stunde in Frankreich, gefolgt von den Niederlanden mit 9,52 €, Belgien mit 9,28 € und Irland mit 9,25 €.

Am unteren Ende der ersten, westeuropäischen Gruppe finden sich Deutschland und Großbritannien mit Mindestlöhnen von 8,84 € bzw. 8,79 €. Im britischen Fall wird der in Euro ausgewiesene Wert jedoch durch die aktuelle Entwicklung des Wechselkurses stark unterzeichnet. Ohne die fast 13-prozentige Abwertung des britischen Pfundes gegenüber dem Euro im Jahre 2016 läge der britische Mindestlohn heute bei 9,92 € und würde damit einen europäischen Spitzenwert einnehmen.

In einer zweiten Gruppe mit Mindestlöhnen zwischen 3 € und 5 € pro Stunde befinden sich insgesamt fünf EU-Staaten, darunter Slowenien mit 4,65 € sowie die südeuropäischen Staaten Malta, Spanien, Griechenland und Portugal mit Mindestlöhnen zwischen 3,35 € und 4,29 €.

Die dritte Gruppe mit Mindestlöhnen unterhalb von 3 € umfasst ausschließlich Länder aus Mittel- und Osteuropa. Das Mindestlohnniveau bewegt sich hier in der Mehrzahl der Länder zwischen 2,25 € in Lettland und 2,78 € in Estland. Lediglich in Rumänien und Bulgarien liegen die Mindestlöhne mit 1,65 € bzw. 1,42 € pro Stunde noch einmal deutlich niedriger als in den übrigen osteuropäischen EU-Staaten.

… Wie bereits am Beispiel Großbritanniens erläutert wurde, ist der internationale Vergleich von Mindestlöhnen umgerechnet in Euro jedoch nur bedingt aussagefähig, da er stark durch Wechselkursschwankungen beeinflusst wird. So ist der Euro z. B. im Jahr 2016 gegenüber den Währungen einer Reihe anderer Länder deutlich aufgewertet worden, sodass deren Mindestlöhne gemessen in Euro mitunter gesunken sind, während sich ihr Wert gemessen in nationaler Währung in der Regel erhöht hat.

Neben den Wechselkursschwankungen ist weiterhin von zentraler Bedeutung, dass aufgrund des jeweiligen nationalen Preisniveaus und der damit verbundenen Lebenshaltungskosten den jeweiligen Mindestlohnbeträgen oft eine sehr unterschiedliche Kaufkraft gegenübersteht.

Fazit: Mindestlohndynamik gewinnt
weiter an Fahrt:

Vor dem Hintergrund der längerfristigen Entwicklungstrends hat sich innerhalb der EU die Rückkehr zu einer dynamischeren Entwicklung bei den Mindestlöhnen, die bereits in den Vorjahren begonnen hatte (Schulten 2016c), im Jahr 2016 noch einmal beschleunigt. Nachdem die Erhöhung der Mindestlöhne im Zuge der Krise 2008ff. deutlich zurückgegangen war und die Mindestlöhne real EU-weit stagnierten, kam es seit 2013 wieder zu kräftigen Reallohnzuwächsen. Im Jahr 2016 lag die mittlere Erhöhung der Mindestlöhne in der EU bei 5,0 %.7 Angesicht der sehr niedrigen Inflationsraten entsprach dies einem Reallohnzuwachs von 4,6 % und damit dem höchsten Zuwachs seit dem Jahr 2000.

Hinter den vergleichsweise hohen Steigerungsraten verbirgt sich zum einen ein gewisser Nachholbedarf, nachdem die Mindestlöhne seit der Krise 2008ff. in nur sehr bescheidenem Maße angestiegen sind. Darüber hinaus Hegt sowohl der absolute als auch der relative Wert des Mindestlohns in vielen Ländern nach wie vor auf einem eher geringen Niveau, was immer wieder zu Debatten über kräftigere Mindestlohnerhöhungen führt.

Vor diesem Hintergrund bleibt nicht zuletzt auch die Frage einer europäischen Mindestlohnpolitik auf der Tagesordnung (Schulten 2015b; Schulten et al. 2016). Zum wiederholten Male hat z. B. das Europäische Parlament im Herbst 2016 „die Einführung von Mindeslöhnen in Form nationaler Lolmuntergrenzen1 empfohlen und dabei das Ziel formuliert, „nach Möglichkeit stufenweise ein Niveau von mindestens 60 % des jeweiligen nationalen Durchschnittlohns zu erreichen, damit keine übermäßigen Lohngefälle entstehen und damit die Gesamtnachfrage, die wirtschaftliche Erholung und die soziale Konvergenz auf hohem Niveau gestützt werden“ (Europäisches Parlament 2016). In einem eigens hierzu erstellten Bericht der französischen Nationalversammlung wird darüber hinaus vorgeschlagen, eine europäische Mindestlohnpolitik in den Rahmen des Europäischen Semesters zu integrieren, wobei anstelle der bislang eher auf Mäßigung oder gar Kürzung zielenden lohnpolitischen Empfehlungen der Europäischen Kommission zukünftig die Orientierung an einem hohen Kaitz-Index stehen und damit eine expansivere Mindestlohnpolitik unterstützt werden soll.

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Blick in die Presse

01 Abfallentsorgung: Gesetzlicher Mindestlohn schwächt Tarifautonomie. PM, BDE, 02/17. – … „Die Arbeitgeber (Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft) sehen im gesetzlichen Mindestlohn eine Schwächung der Tarifautonomie, da dieser bestehende Tarifverträge verdrängt. Das ist vor dem Hintergrund der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie, die diese immer wieder und gerade in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit in den Jahren 2008 und 2009 unter Beweis gestellt hat, nicht zu rechtfertigen. Daneben gibt es in manchen Bundesländern gesetzliche Bestimmungen zur öffentlichen Auftragsvergabe, in denen unterschiedliche, sog. „vergabespezifische Mindestlöhne“ gefordert werden. Schon für ein nur bundesweit (also nicht EU-weit) tätiges Unternehmen ist damit ein erheblicher bürokratischer Aufwand verbunden. Der BDE sieht sie daher sehr kritisch.“ www.bde.de

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02 Gesetzlicher Mindestlohn führt zu mehr Bürokratie und Rechtsunsicherheit. PM, BDA, Sa., 24.03.17. – Angesichts günstiger Konjunktur ist es zu früh, aus der Arbeitsmarktlage nach Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns zu schließen, dass seine Wirkung unschädlich ist. Vor allem Branchen, die vom gesetzlichen. Mindestlohn besonders betroffen wären, haben durch Übergangsregelungen die Möglichkeit erhalten, vom ges. Mindestlohn noch bis Ende 2017 abzuweichen. Für Menschen, die noch nie gearbeitet haben und Langzeitarbeitslose sollte der Mindestlohn nicht gelten. Für diese Personengruppen sollten wenigstens für die ersten zwölf Monate einer Beschäftigung Abweichungsmöglichkeiten eröffnet werden. Dies würde auch Zugewanderten den Eintritt in den Arbeitsmarkt erleichtern. www.arbeitgeber.de

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03 Private Pflege sieht starke Belastung der Einrichtungen durch Mindestlohn. PM, Arbeitgeberverband Pflege, Die., 25.4.17. – ,,Ein höherer Pflege-Mindestlohn ist eine deutliche Anerkennung für anspruchsvolle und körperlich stark fordernde Arbeit in der Altenpflege. Eigentlich sind die Zahlen zu hoch. Sie werden die ambulanten und stationären Einrichtungen stark belasten und zu höheren Zuzahlungen der Pflegebedürftigen führen. Die Einigung auf einen neuen Pflege-Mindestlohn bedeutet aber eine klare Absage an alle Bestrebungen, in den nächsten Jahren flächendeckende, allgemeinverbindliche Tarifverträge durchdrücken wollen. Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. www.arbeitgeberverband-pflege.de

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Zusammenstellung: Rosemarie Steffens, Langen (Hessen)