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Quelle: Politische Berichte Nr. 6-7, Juni/Juli 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Österreich, „Liste Sebastian Kurz“: ohne ÖVP als FPÖ-Ersatz?

In Österreich hat die ÖVP die große SPÖ/ÖVP-Regierungskoalition aufgekündigt. Für Oktober dieses Jahres sind Neuwahlen angesetzt. Vier Monate vor diesen Neuwahlen ließ sich der österreichische Außenminister Sebastian Kurz (30) auf dem Bundesparteitag der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) am Samstag, 1. Juli, in Linz mit 98,7% zum Klubobmann, also Parteichef küren. Die Partei degradierte sich selbst zum Jubelverein der neuen Kurz-Bewegung.

Kurz tritt damit die Nachfolge von Reinhold Mitterlehner an, der wegen Differenzen in der Partei und in der SPÖ/ÖVP-Regierung zurückgetreten war. Kurz ließe sich auch gleich per Satzungsänderung weitgehende Vollmachten in der Kandidatenaufstellung der Bundespartei – die er allein bestimmen kann – und weitgehende Mitsprache in der Aufstellung der Landeslisten garantieren. Wie Kurz aus seinem Umfeld verlauten ließ, soll die Bundesliste der ÖVP als „Liste Sebastian Kurz“ außer ihm nur aus Nichtparteimitgliedern bestehen. Den Wahlkampf will Kurz nicht aus Mitteln der auch finanziell zerrütteten ÖVP, sondern aus Spenden von außerhalb der Partei bestreiten. Auf seinen Wahlplakaten wird das Kürzel ÖVP nicht zu lesen sein. Zu wählen gibt es die „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“.

Am gleichen Ort, an dem Jörg Haider vor 22 Jahren die FPÖ in die Bewegung „die Freiheitlichen“ umzuformen versuchte, versuchen Kurz und seine Anhänger in der ÖVP nichts weniger als eine rechts-konservativ/reaktionäre, aber im Auftritt modern/flotte Bewegung um die Person Kurz aufzubauen.

Den politischen Kurs einer weiteren Rechtsverschiebung der Restbestände der ÖVP und ihre Mutation zu einem Sebastian-Kurz-Jubelverein hatte Kurz bereits als österreichischer Integrations- und Außenminister ausgiebig betrieben. Alles gegen die Flüchtlinge: Schließung der Balkanroute, jetzt Schließung des Mittelmeeres, Internierungslager in Nordafrika, strikte „Obergrenzen“ für die Aufnahme von Geflüchteten. In der Innenpolitik versucht Kurz sich gegen SPÖ-Kanzler Kern mit Steuersenkungen einerseits und sozialpolitischem Einschwenken auf Forderungen der SPÖ, aber ohne Gegenfinanzierung zu profilieren. Bisher scheinen die Wahlumfragen den Kurz-Hype zu bestätigen. Unter seinem Vorgänger Mitterlehner lag die ÖVP abgeschlagen hinter der rechtspopulistischen FPÖ (über 30%) und der SPÖ. Nach dem ÖVP-Parteitag und der Kurz-Wahl liegt die ÖVP mit 33 Prozent vorne, die SPÖ blieb auf Platz zwei mit 27 Prozent, die FPÖ ist auf den dritten Platz mit immer noch 26 Prozent abgerutscht.

Nach den Wahlen dann also eine rechts/rechte Koalition mit Liste Kurz/FPÖ unter Kurz‘s-Führung? Die Erfahrungen mit dem tatsächlichen Ausgang um Hypes im rechten Spektrum lassen Vorsicht mit vorschnellen Projektionen angeraten sein.

Christoph Cornides, Mannheim

Quellen: der Standard, FAZ-online

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