Quelle: Politische Berichte Nr. 6-7, Juni/Juli 2017 • Gesamtausgabe: PDF Inhaltsverzeichnis: TXT ⯈ H O M E

Erste Vorhaben der neuen französischen Regierung

Unmittelbar nach seiner Wahl noch im Mai hat Staatspräsident Macron die Vertreter der Gewerkschaften und des Unternehmerverbands zu ersten Konsultationen über Änderungen des Arbeitsgesetzes empfangen, und bis 21. Juli wird Arbeitsministerin Muriel Pénicaud in dann insgesamt 48 Gesprächsrunden weitere Anregungen und Bedenken zu Protokoll nehmen.

Änderungen des Arbeitsgesetzes sind als erste große Strukturreform Macrons angekündigt. Die Umsetzung der Reform soll auf dem Weg der sogenannten „gesetzesvertretenden Verordnung“ erfolgen – vom Kabinett beschlossen und vom Präsidenten unterschrieben. Es kommt § 38 der Verfassung zur Anwendung: „Die Regierung [kann] zur Durchführung ihres Programms das Parlament um die Ermächtigung ersuchen, während eines begrenzten Zeitraums durch gesetzesvertretende Verordnungen Maßnahmen zu treffen, die normalerweise dem Bereich der Gesetzgebung unterliegen.“ Diese Vollmacht gilt nur für eine bestimmte Zeit, höchstens bis zu drei Jahren und muss durch das Parlament erfolgen – Macrons Mehrheit dafür ist komfortabel. Der Zeitplan für diese Umsetzung ist ehrgeizig – bis Ende September sollen die Gesetzesänderungen durch erneute Abstimmung in der Nationalversammlung. abgeschlossen sein. Die Abgeordneten stimmen dann nur noch über die Reform als Ganzes ab. (1)

Macron kalkuliert, dass ihm eines der wichtigsten französischen Kulturgüter bei der Umsetzung hilft: ab 1. Juli ist die ganze französische Gesellschaft auf Ferien bis in den September eingestellt.

Macron hatte bereits 2015 als Wirtschaftsminister bei Hollande ein Gesetz zur Neuregelung der Sonntags- und Nachtarbeit verantwortet, mit Ausnahmen vom Arbeitsverbot am Sonntag etwa in Touristikgebieten. Voraussetzung: Für die Sonntagsarbeit muss eine Betriebsvereinbarung vorhanden sein und es gilt das Freiwilligkeitsprinzip für die Beschäftigten. Mit dem Gesetz „El Khomri“ wurden 2015 auch Abweichungen von allgemeinen Tarifverträgen und teilweise auch von Arbeitsgesetzen durch Betriebsvereinbarungen ermöglicht; Belegschaften konnten längere Arbeitszeiten beschließen. Die geplante Erleichterung betriebsbedingter Kündigungen wurde von der Regierung Hollande nach heftigen Auseinandersetzungen mit Gewerkschaften und Linken weitgehend zurückgenommen.

Regelungen im Arbeitsrecht, die für alle Gültigkeit haben, sollen zukünftig auf Branchenebene verhandelt werden. Betriebsvereinbarungen sollen im Vergleich zu Branchenvereinbarungen mehr Gewicht bekommen, Detailregelungen häufiger auf Ebene der Betriebe zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt werden. Bei Entschädigungen für ungerechtfertigte Kündigungen soll es künftig Ober- und Untergrenzen geben.

Der Kündigungsschutz soll zukünftig nur geringe Wirksamkeit haben, bei Entlassung sollen in den ersten Folgemonaten staatliche Hilfen fließen, die nicht weit unter dem bisherigen Verdienst liegen, und mit Fortbildungsangeboten soll eine schnelle Rückkehr in den Arbeitsmarkt befördert werden. Solche Regelungen – Flexicurity-Modelle – wenden in der EU unter anderem Dänemark und die Niederlande an.

Macron hat in seinem Wahlprogramm eine Senkung der seit Jahren um die zehn Prozent schwankenden Arbeitslosenquote (derzeit etwa 3,5 Millionen Arbeitslose) innerhalb seiner Amtszeit auf sieben Prozent als Ziel formuliert. 85 % der Beschäftigten in Frankreich sind in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Aber 87 % der neu eingestellten Arbeitnehmer bekommen nur noch einen befristeten Arbeitsvertrag, vor allem junge Menschen und Geringqualifizierte. Und nur 21 % der befristet eingestellten Arbeitnehmer gelingt es, innerhalb von drei Jahren in eine unbefristete Anstellung zu wechseln (EU-Durchschnitt: 37 %).

Die CGT, die an den derzeitigen Konsultationen der Regierung teilnimmt, hat für den 12. September bereits zu landesweiten Streiks und Aktionen aufgerufen. Matthias Paykowski, Karlsruhe

(1) Zwischen 1960 und 1990 wurden 25 „Ermächtigungen“ und 158 ordonnances eingesetzt, von 2004 bis 2013 wurden 357 Verordnungen nach Artikel 38 veröffentlicht. Quelle: https://frankreich.dgap.org/2017/06/01/rezept-fuer-reformen-gesucht/

Weitere Quellen: CGT – http://www.combattrelaloitravail.cgt.fr/; Französische Regierung: http://www.gouvernement.fr/; http://www.gouvernement.fr/sites/default/files/contenu/piece-jointe/2017/06/programme_de_travail_pour_renover_notre_modele_social.pdf

Ergebnis-Tabelle, nur im PDF:

Der seit den Vorwahlen im Sommer letzten Jahres dauernde Wahlkampf ist mit dem 2. Wahlgang zur Nationalversammlung am 18. Juni zu Ende gegangen. Seitdem die Wahlen zum Parlament direkt im Anschluss an die Wahl des Staatspräsidenten stattfinden müssen, sinkt die Wahlbeteiligung. Diesmal erreichte sie ihren historisch tiefsten Stand (42,6 Prozent). Die Wähler haben sich – und so war es auch erwartet worden – gegen die Kohabitation entschieden und Macron mit einer deutlichen Mehrheit ausgestattet. LREM und ihrem Koalitionspartner MODEM gelang es im 2. Wahlgang mehr Wähler als im ersten zu mobilisieren. Die Mehrheit in der Nationalversammlung ist komfortabel, Macron kann auch ohne MODEM über eine eigene Mehrheit verfügen (308 von 577 Deputierte). Die Republikaner haben sich ebenfalls gehalten, auch sie konnten gegenüber dem 1. Wahlgang hinzugewinnen. Alle anderen haben deutlich verloren, die bisherige Regierungspartei PS wurde von 280 Deputierten auf 30 reduziert. Mélenchons La France insoumise verlor gegenüber dem 1. Wahlgang 1,5 Mio. Wählerstimmen. Der FN halbierte seine Wählerschaft und kann die erwartete Fraktion in der Assemblée Nationale nicht bilden. map

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