Aus Politische Berichte Nr. 1/2018, S. 2, • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Regierungsbildung …

Christoph Cornides, Eva Detscher, Martin Fochler, Matthias Paykowski, Alfred Küstler

Zusammenarbeit innerhalb der EU und zwar in enger Verbindung mit Frankreich. Davon erhofft man sich Prosperität, Wirtschaftswachstum als Basis zur Bereinigung skandalöser sozialer Missstände. Ein Scheitern dieses Ansatzes würde das weite, von der AfD polemisch zum Ausdruck gebrachte Feld der europaskeptischen, identitären, ausländerfeindlichen Stimmungen politisch aufleben lassen und wahrscheinlich in einen „Deutschland-zuerst“-Wahlkampf münden, der das Zeug hätte, die Zusammenarbeit in der EU zu unterminieren. Das Zerwürfnis, das innerhalb der SPD über die Frage einer Regierungsbeteiligung besteht, entzündet sich an vielen Stellen, eine davon ist, dass die Notwendigkeit EU-weiter Regelungen zu Arbeitsschutz, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsansprüchen weder in der Propaganda der Partei noch in der breiten Wählerschaft diskutiert ist. Viele Politikerinnen und Politiker nicht nur der SPD, sondern auch der Linken, der Grünen sowie Repräsentanten diesen nahestehender Bewegungen entziehen sich diesem schwer zu vermittelnden Problem und bleiben auf der in Deutschland von Bismarck gelegten Spur der innigen Verknüpfung Sozialinteresse = Nationalinteresse. Dagegen steht die Erfahrung des Alltagslebens, in der die internationale und europaweite Verflechtung der Wirtschaft und Lebensplanung handgreiflich wird. In dieser Situation wird es zu einer moralischen Frage, ob die Versprechen von sozialer Standards und solidarischer Risikoabsicherung in den Grenzen der BRD gesehen werden oder darüber hinaus. Moralische Fragen kennen keine Abstufungen. Menschenrechte gelten oder eben nicht. Für die Herausbildung und Festigung solcher Grundsätze ist jedoch die abgestufte Praxis der Handhabung politischer Macht grundlegend. Vor der Abschaffung der Todesstrafe steht die Ächtung grausamer und ungewöhnlicher Strafen, vor dem Recht des Angeklagten auf Verteidigung das Verbot der Folter. Wenn die Pläne der Sondierer in Sachen Migration und Flucht den Forderungen der Menschenrechte nicht genügen, bleibt es trotzdem noch Pflicht der politischen Kritik, zu bedenken, welche praktischen Alternativen im Raum steht. Falls die SPD – Parteitag und Mitglieder – sich für eine Koalitionsregierung entscheiden, steht in Sachen Europa ein komplizierter Meinungsbildungsprozess an, der sachhaltig geführt werden muss. In Sachen Migration und Flucht eine lindernde Gestaltung und mehr noch, die Schaffung eines sozialen und kulturellen Rahmens, in dem bewiesen werden kann, dass diese Prozesse solidarisch bewältigt werden können. Im Ganzen steht wohl fest, dass das Wahlergebnis die Verschiebung der in der Bevölkerung geltenden Werte in Richtung „Deutschland zuerst“ und „Deutschland den Deutschen“ gebracht hat. Unter diesen Bedingungen ist der Koalitionsversuch mit der SPD auch als Absage des christlich grundierten Zentrums der Union an ihre nationalistischen reaktionären Randbereiche zu werten. Sollte es zu dieser Koalition kommen, kommt auf die sozial und menschenrechtlich motivierten Parlamentarier die doppelte Aufgabe zu, bei der Ausarbeitung der Gesetze sachlich-fachlich die Möglichkeiten auszuschöpfen, und dabei der linken Kritik und den vielen Unzufriedenen den Stoff zum Entwurf solidarische Konzepte der Politik im Bund, in den Ländern und Gemeinden und in Europa zu liefern.

Meinungen aus Europa

Französische Sicht: Die großen französischen Zeitungen würdigen insbesondere, dass die 28-seitige Vorvereinbarung sich für eine engere Zusammenarbeit, eine Stärkung der Partnerschaft mit Frankreich ausspricht und sich einer Diskussion über Reformvorschläge zu Europa und zur EU öffnet. „Auch wenn der Teufel im Detail steckt, scheint die Einigung zwischen den beiden Ufern des Rheins breit gefächert zu sein, was eine wirkliche Wiederbelebung des europäischen Projekts ermöglichen dürfte.“ (Libération, 13.1.2018) Der Sprecher der französischen Regierung Benjamin Griveaux sagte: „Diese Vereinbarung ist gut für Deutschland, gut für Frankreich und besonders gut für Europa“.

Von Seiten der britischen Regierung ist noch keine Stellungnahme zu finden. The Guardian stellt die Sondierungsergebnisse in Zusammenhang mit dem „Aufschwung der rechtsextremen AfD bei den Bundestagswahlen“. Obwohl noch nicht sicher sei, dass es zur Regierungsbildung zwischen CDU/CSU und SPD käme, begrüßt der Guardian, „dass Deutschlands etablierte Parteien einen Weg finden, ihr Modell einer sozialen Marktwirtschaft für kommende Zeiten zu erneuern“. Die britische Times hebt mehr darauf ab, dass Merkel „nun erst einmal nervös abwarten (muss), wie ihr politisches Schicksal von Mitgliedern Deutschlands großer Mitte-Links-Partei entschieden wird“.

Die spanische Tageszeitung El País (12.1.) betont: „Das Dokument skizziert auch, wie die neue Finanzarchitektur der Eurozone im Einklang mit den Reformen, die der französische Präsident Emmanuel Macron versprochen hat, um Finanzkrisen zu verhindern und zu mildern, konfiguriert werden sollte.“

Die italienische Tageszeitung La Repubblica (13.1.) titelt: „Merkel lässt die große Koalition vom Stapel. Alles dreht sich um Europa“ und kommentiert: „Der erste Punkt des Dokuments verrät jedoch die Handschrift von Schulz: Versprochen wird die berühmte europäische Wiederbelebung, Hand in Hand mit Frankreich durch die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds, einer Reform der Eurozone, einem Investmentfonds für Investitionen und mehr Geld für die Union.

Eric Gujer, Chefredaktor Neue Zürcher Zeitung: „Die Bundesrepublik kann sich nicht wegducken; sie ist keine große Schweiz, so gerne sie dies manchmal auch wäre … Während in Frankreich die Wähler Präsident Macron ein Mandat für den Wechsel erteilten, signalisierte die Bundestagswahl im September vor allem eines: Die Deutschen lieben den Status quo. Heute ist Frankreich das Reformlabor, nicht mehr Deutschland.“

Der Kurier aus Wien: „Am Ende müssen Sozialdemokraten mit Themen nach Hause gehen, die sich ihren Genossen mit dem Etikett „Gerechtigkeit“ verkaufen lassen, wenn sie nächste Woche über Koalitionsverhandlungen abstimmen. Und die Union sollte das Gefühl haben, sich nichts von ihren Werten abräumen zu lassen. “