Aus Politische Berichte Nr. 2/2018, S. 10 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

dok: Aktionen – Initiativen. Thorsten Jannoff, Gelsenkichen. Tarife in Bewegung.

01 Mehr Geld über Druck in den Betrieben durchgesetzt

02 Gutes Ergebnis im Speditions- und Logistikgewerbe Niedersachsen

03 IG BAU: Arbeitgeber belasten Verhandlung mit schwerer Hypothek

04 Verdi: Bundestarifkommission beschließt Forderung

05 Die Bilanz des Mindestlohns …

06 Verdi-Streikkundgebung vor der EnBW-Zentrale in Karlsruhe. Rudolf Bürgel, Karlsruhe.

07 Metalltarifrunde: Ein starker Abschluss. Rüdiger Lötzer, Berlin

01

Mehr Geld über Druck in den Betrieben durchgesetzt

Die IG Metall konnte weitere Tarifabschlüsse für die Holz- und Kunststoffbeschäftigten durchsetzen: Auch in Sachsen-Anhalt, Hessen und in Bayern gibt es 4 Prozent mehr Entgelt, Einmalzahlung und überproportional mehr für die Auszubildenden. Nach Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bremen sowie Westfalen-Lippe gibt es jetzt in weiteren Tarifgebieten Abschlüsse, die den Beschäftigten in der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie deutlich mehr Geld bescheren. In Sachsen-Anhalt konnte die IG Metall für die 8000 Beschäftigten in der zweiten Verhandlungsrunde am Montag ein Ergebnis erzielen: Ab 1. Juni 2018 steigen die Entgelte um 4 Prozent. Für die Monate Januar bis Mai erhalten die Beschäftigten pauschal 400 Euro. Die Auszubildenden erhalten in diesem Jahr ab Januar 50 Euro monatlich mehr und ab Januar 2019 zusätzlich durchschnittlich weitere 10 Euro mehr. Damit erreichen die Ausbildungsvergütungen in Sachsen-Anhalt Westniveau. Der Entgelt-Tarifvertrag läuft bis 30. September 2019. Auch in Bayern und in Hessen gibt es für die Holz- und Kunststoffbeschäftigten von Januar bis April zweimal je 150 Euro und ab Mai 4 Prozent mehr Geld. Die Azubis dürfen sich in beiden Tarifgebieten ab Januar auf 50 Euro mehr freuen. Jetzt gehen die Tarifverhandlungen in Rheinland-Pfalz und in Thüringen weiter.

https://www.igmetall.de/tarifrunde-holz-und-kunststoff-26799.htm

02

Gutes Ergebnis im Speditions- und Logistikgewerbe Niedersachsen

Verdi Niedersachsen-Bremen und der Gesamtverband des Verkehrsgewerbes Niedersachsen (GVN) haben sich auf neue Regelungen im Lohntarifvertrag und auf Entgelterhöhungen für die Beschäftigten in Niedersachsen verständigt. Die Löhne und Gehälter im Speditionskaufmann- und Logistikgewerbe Niedersachsen sollen ab Februar 2018 um 3,5 Prozent steigen und ab Januar 2019 um weitere 2,5 Prozent. Für Beschäftigte mit mehr als fünf Jahren Betriebszugehörigkeit wird die Jahressonderzahlung um 240 Euro erhöht. Die Auszubildendenvergütungen werden um 40 Euro bis 60 Euro angehoben, je nach Ausbildungsjahr. Für Paketzusteller im Kurier-, Express- und Paketbereich (KEP) wird eine eigene Entgeltgruppe eingeführt, und die Löhne steigen in zwei Stufen um insgesamt 10,8 Prozent. Außerdem wurde eine Öffnungsklausel für die industrienahe Kontraktlogistik vereinbart. Die Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 26 Monate bis zum 31. Dezember 2019.

www.verdi.de

03

IG BAU: Arbeitgeber belasten Verhandlung mit schwerer Hypothek

Wiesbaden – Mit großem Konfliktpotenzial ist heute (7. Februar 2018) die Tarifrunde für die rund 800 000 Baubeschäftigten in Wiesbaden gestartet. Bei der Auftaktverhandlung zwischen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und den Arbeitgeberverbänden Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) sowie Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) musste die Arbeitgeberseite einräumen, kein vollständiges Verhandlungsmandat zu haben. Damit kann die IG BAU ihre Forderung nach einem bundesweiten 13. Monatseinkommen weder für die Betriebe im Osten noch für die handwerklichen Betriebe in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hessen und Bremen verhandeln. „Schon zum Start der Verhandlungen belasten die Arbeitgeber die Gespräche mit einer schweren Hypothek. Das birgt erhebliches Eskalationspotenzial“, sagte der Stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende und Verhandlungsführer Dietmar Schäfers. „Wir wollen einheitliche Arbeitsbedingungen für alle Baubeschäftigte – egal ob in Ost oder West, Industrie oder Handwerk, Arbeiter oder Angestellte. Das sichert gleichzeitig einheitliche Wettbewerbsbedingungen in der Branche. Wir fordern die Arbeitgeber auf, schnellstmöglich ein umfassendes und vollständiges Verhandlungsmandat vorzulegen.“

Neben einem Schritt zum vollständigen 13. Monatseinkommen fordert die IG BAU sechs Prozent mehr Lohn und die Bezahlung der Wegezeiten zu den Baustellen. Darüber hinaus soll die Ausbildung in der Branche attraktiver werden. Dafür müssen sämtliche Kosten der Ausbildung übernommen werden. Schließlich fordert die IG BAU ein eindeutiges Bekenntnis zu der bereits vereinbarten Angleichung der Ost- an die Westlöhne bis zum Jahr 2022. Dieses Datum steht auf der Kippe, weil die Angleichungsschritte bisher zu gering waren. Die IG BAU lehnt eine Angleichung zu Lasten der Westlöhne entschieden ab. Zu diesen übrigen Forderungen haben die Arbeitgeber kein verhandlungsfähiges Angebot vorgelegt.

www.igbau.de

04

Verdi: Bundestarifkommission beschließt Forderung

Der Beschluss der Verdi-Tarifkommission öffentlicher Dienst war einstimmig. Um 6,0 Prozent, mindestens aber 200 Euro im Monat, sollen die Entgelte in der Tarifrunde öffentlicher Dienst für die Beschäftigten von Bund und Kommunen in diesem Jahr steigen. Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 100 Euro pro Monat angehoben werden. Außerdem soll die Regelung, dass Azubis nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung übernommen werden, wieder in Kraft gesetzt werden. Um die Ausbildungen im öffentlichen Dienst zu stärken, sollen auch bisher tariflich nicht geregelte Ausbildungsgänge und Praktikumsverhältnisse tarifiert werden. Dazu zählen schulisch-berufliche Ausbildungen wie die zu Medizinisch-Technischen Assistent/innen ebenso wie die praxisintegrierte Ausbildung zum Erzieher oder zur Erzieherin. Letztere gibt es bislang vornehmlich in Baden-Württemberg und einigen nordrhein-westfälischen Kommunen wie Köln, allerdings nimmt der Trend zu dieser Ausbildungsform zu. Zudem will Verdi, dass der Nachtarbeitszuschlag in Krankenhäusern auf 20 Prozent angehoben wird. Alle Forderungen stellt Verdi gemeinsam mit dbb Beamtenbund und Tarifunion, der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

https://wir-sind-es-wert.verdi.de/

05

Die Bilanz des Mindestlohns …

… fällt drei Jahre nach Einführung positiv aus. Erstmals seit Längerem fielen die Lohnsteigerungen im Niedriglohnsektor wieder deutlich aus. Auch die Erwerbsarmut ging bis 2016 um etwa 2,7 Prozentpunkte auf 17% zurück, legt man die Quote der Geringverdiener mit Anspruch auf Aufstockung durch Arbeitslosengeld 2 zugrunde. Trotz dieser unbestreitbaren Verbesserungen gibt es jedoch weiter ein Problem mit zahlreichen Umgehungen des Mindestlohns. Etwa 9,8% der Beschäftigten oder 2,7 Millionen Beschäftigte erhielten im Jahr 2016 nicht den Mindestlohn, obwohl er ihnen zugestanden hätte. Dies ist zum einen ein Problem von Personalmangel der Kontrollbehörden, das dringend angegangen werden sollte. Zum anderen zeigt sich, dass die weiter geringe Tarifabdeckung und fehlende Mitarbeitervertretungen die Mindestlohn-Umgehungen begünstigen. In Betrieben mit Tarifbindung oder einem Betriebsrat gibt es deutlich geringere Probleme mit Mindestlohn-Umgehungen.

https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_pb_19_2018.pdf

06

Vedi-Streikkundgebung vor der EnBW-Zentrale in Karlsruhe.

Rudolf Bürgel, Karlsruhe.

Am Montag, 5.2., beteiligten sich 5 000 Beschäftigte der privaten Energiewirtschaft Baden-Württemberg am 24-Stunden-Warnstreik und reisten zur zentralen Kundgebung vor der EnBW-Zentrale in Karlsruhe an. Betroffen waren außer der EnBW rund 20 weitere Unternehmen. Der Verdi-Bezirksleiter Martin Gross sagte auf der Kundgebung: „Die Beschäftigten haben alle registriert, dass es für die Aktionäre wieder eine Dividende gibt. Im letzten Jahr hat die Kasse wieder geklingelt. Nun gilt es auch die Kolleginnen und Kollegen, die die Energiewende für uns alle so vorantreiben, dass wir gut versorgt sind, am Gewinn zu beteiligen.“ In der laufenden Tarifrunde fordert Verdi für die 17 000 Beschäftigten 5,9 Prozent Lohnerhöhung bei einer Laufzeit von 12 Monaten sowie 80 Euro mehr bei den Ausbildungsvergütungen. Das Angebot der Arbeitgeber. Die dritte Verhandlungsrunde blieb dann am Abend ergebnislos – die Arbeitgeber haben auf das Jahr gerechnet 2,6 Prozent angeboten.

Die Linke Karlsruhe und ihr MdB Michel Brandt hatten zur Unterstützung aufgerufen. Michel Brandt kommentierte auf der Kundgebung die Haltung der Arbeitgeber: „Bei der EnBW brummt das Geschäft – mit knapp zwei Milliarden Gewinn im letzten Jahr. Die Verdi-Forderung von 5,9 Prozent mehr Lohn ist mehr als gerecht. Das Angebot der Arbeitgeber an die Beschäftigten ist eine Unverschämtheit.“

Abb. (nur im PDF): Foto Kundgebung

07

Metalltarifrunde: Ein starker Abschluss

Rüdiger Lötzer, Berlin

Die IG Metall hat ein Tarifergebnis erzielt, das in diesem Ausmaß und in dieser Qualität kaum jemand erwartet hatte. Bei der Entgelterhöhung wie bei der Korrektur des Arbeitszeitregimes in den Betrieben werden neue Marken gesetzt.

Das materielle Ergebnis umfasst: 100 Euro Einmalzahlung für März, 4,3% Entgelterhöhung ab 1.4.18 und ab 1.1.2019 ein „Tarifliches Zusatzgeld“ in Höhe von 27,5% eines Monatsentgelts, zusätzlich ein Festbetrag von 400 Euro bzw. 12,3% eines Monatsentgelts. Zusammen sind das 4,3% + 100 Euro Einmalzahlung in 2018 und eine weitere Entgelterhöhung in 2019 von fast 40% eines Monatsentgelts. Auch wenn man die letztere Zahlung auf 15 Monate Laufzeit umrechnet – der neue Entgeltvertrag läuft bis 31.3.2020, die nächste Tarifbewegung findet also im Frühling 2020 statt – sind das Entgelterhöhungen von deutlich über 7%, einer der höchsten Abschlüsse der letzten Jahre.

Verglichen mit den Tarifabschlüssen in Nachbarländern wie Österreich, Belgien, Frankreich usw. hilft die IG Metall damit der EZB, dem IWF, der OECD und allen Ökonomen, die für eine deutliche Anhebung der Arbeitsentgelte plädieren, als Beitrag für eine Verstetigung der guten Konjunktur wie zum Abbau der exorbitanten deutschen Exportüberschüsse.

Vor allem aber sind die Beschäftigten stolz auf das Ergebnis. Mehr als 900 000 hatten sich an den Warnstreiks beteiligt und – als das nicht reichte – mehr als 500 000 an den 24-Stunden-Streiks, die die IG Metall erstmals als neue Kampfform einsetzte. Anders als die kurzen Warnstreiks werden die 24-Stunden-Streiks durch Abstimmungen der IG Metall-Mitglieder und ihrer Vertrauensleute in den Betrieben vorbereitet, und anders als bei Warnstreiks gibt es bei 24-Stunden-Streiks Streikgeld.

Entsprechend sauer reagierten die Arbeitgeber. Ihre Versuche, die Streiks durch einstweilige Verfügungen vor Arbeitsgerichten zu verbieten, scheiterten aber komplett.

Politisch genauso wichtig, weil die Arbeitgeber hier mit allen Mitteln mauerten, ist das Ergebnis bei der Arbeitszeit. Erstmals können die Beschäftigten nun auf eigenen Wunsch ihre Arbeitszeit bis zu zwei Jahre lang auf 28 Stunden pro Woche verringern. Die neue Regelung gilt für Schichtarbeiter ab 5 Jahre Betriebszugehörigkeit, davon 3 Jahre in Wechselschicht, für Beschäftigte mit Kindern bis 8 Jahren und für Beschäftigte mit Pflegefall. Für 8 Tage im Jahr bekommen sie den Verdienstausfall ersetzt, 6 Tage, indem sie das „Tarifliche Zusatzgeld“ zur Entgeltfortzahlung umwandeln, weitere 2 Tage zahlt der Arbeitgeber. Faktisch bedeutet das eine Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter, für Beschäftigte mit kleinen Kindern und mit Pflege, finanziell ausgeglichen durch einen Teil-Lohnausgleich. Hier hatten sich die Arbeitgeber am härtesten gewehrt, hatten sich sogar ein Gutachten erstellen lassen mit dem Vorwurf, die IG Metall wolle Teilzeitbeschäftigte diskriminieren, und drohten mit Schadensersatzklagen im dreistelligen Millionenbereich. Dieses Kartenhaus ist zusammengebrochen. Herausgekommen ist stattdessen ein Stück mehr Selbstbestimmung der Beschäftigten bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit – ein in den Betrieben lange schon gefordertes Gegenstück gegen die Flexibilitätswünsche der Arbeitgeber und ein auch gesellschaftlich stark beachteter tarifpolitischer Fortschritt. Als Gegenleistung erhalten die Arbeitgeber etwas mehr Möglichkeiten, bei Facharbeitermangel 40-Stunden-Verträge anzubieten. Das wird aber nur wenig reale Folgen haben.

Auch der Versuch von Union und FDP, über ihre Koalition in NRW eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes in Richtung noch mehr Sonntagsarbeit und noch weniger Nachtruhe für die Beschäftigten zu erreichen, dürfte damit beerdigt sein.

Alles in allem ist der Stolz in der IG Metall und ihrer Mitglieder über das Ergebnis groß. Schon die Beteiligung an den 24-Stunden-Streiks war ausgezeichnet. Aus keinem Bundesland wurden Versuche, geschweige denn Erfolge von Streikbruch gemeldet. Die Belegschaften waren geschlossen wie lange nicht.

Offen war bei Redaktionsschluss nur, ob die „Tarifmauer Ost“ – die 38-Stunden-Regelarbeitszeit im Osten – eingerissen werden konnte. Gesamtmetall hatte im Pilotabschluss eingewilligt und seinen ostdeutschen Landesverbänden empfohlen, in ernsthafte Verhandlungen über diese Reduzierung der Wochenarbeitszeit einzutreten. Nach Protesten aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Berlin ruderte Gesamtmetall-Chef Dulgers aber zurück. Hier gibt es weiter Differenzen im Arbeitgeberlager. Während die Autoindustrie und ihrer Zulieferer bereit sind zur Angleichung der Wochenarbeitszeit, sperren sich andere Arbeitgeber weiter. Dieses dicke Brett ist anscheinend noch nicht durchbohrt.