Aus Politische Berichte Nr. 4/2018, S. 02 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Puigdemont: Auslieferungshaft bei gleichzeitiger Haftverschonung

Christoph Cornides, Mannheim

-01- dok - Mitteilung des OLG

Auf der Grundlage eines europäischen Haftbefehls wurde der ehemalige katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont am 1.4.2018 in der Nähe der dänischen Grenze auf der Rückfahrt von einer Skandinavienreise nach Brüssel von der deutschen Polizei festgenommen.

Der europäische Haftbefehl „vereinfacht“ die Auslieferung eines Verdächtigen zwischen zwei Mitgliedstaaten der EU. Die Justizbehörden arbeiten dabei direkt zusammen und entscheiden selbst. Angeklagt ist Puigdemont in Spanien wegen „Rebellion“ und Veruntreuung öffentlicher Gelder. Ein mit „Rebellion“ vergleichbarer Straftatbestand nach deutschem Recht wäre „Hochverrat“. Den aber sah der Erste Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts nicht gegeben. (s. Begründung). Es fehle das Element der Gewalt.

Das Oberlandesgericht ordnete Auslieferungshaft und gleichzeitig Haftverschonung unter Auflagen an. Gegen eine Kaution von 75.000 Euro und unter verschiedenen weiteren Auflagen wurde Carles Puigdemont am 6.4. aus dem sogenannten Festhaltegewahrsam entlassen. Der Auslieferungshaftbefehl bezieht sich nur auf den Vorwurf der Veruntreuung, nicht aber den der Rebellion. Puigdemont darf die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen, muss jeden Wechsel des Aufenthalts mitteilen und sich regelmäßig bei der Polizei melden. Inzwischen haben Puigdemonts Anwälte erreicht, dass er sich in Berlin – wo er sich vorläufig niederlassen will – melden muss, und nicht in Neumünster, in Schleswig-Holstein. Wenn er nach Spanien ausgeliefert wird, kann er nicht wegen „Rebellion“ strafverfolgt werden.

Die spanische Regierung hat versichert, die deutsche Gerichtsentscheidung zu respektieren. In Spanien werden zur gleichen Zeit der ehemalige katalanische Polizeichef sowie führende Polizeifunktionäre und Beamte des Innenministeriums wegen „Aufruhr“ angeklagt.

In der deutschen und der internationalen Presse gibt es sowohl Lob für „besonnene“ Gerichte in Deutschland, wie Kritik an angeblich richterlicher Begünstigung von „Separatismus“ oder die Forderung, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen.

Sicher wird sich Puigdemont über kurz oder lang auch vor spanischen Gerichten verantworten müssen.

Eine alle beteiligten Interessen berücksichtigende Lösung des katalanischen Konflikts kann letztlich aber nur in einer politischen, für Spanien einheitlichen, verfassungsmäßig abgesicherten Reform der regionalen Autonomierechte bestehen. Darauf bezogen dürfte die Entscheidung des OLG in Schleswig-Holstein sicherlich politische Lösungen in Spanien eher begünstigen als erschweren, abgesehen von der erforderlichen Einhaltung bestehender europäischer und deutscher Rechtsgrundsätze durch das Gericht.

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Dok: Mitteilung des OLG Schleswig-Holstein

Das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht hat am Donnerstag, 5.4.2018, einen Auslieferungshaftbefehl gegen Carles Puigdemont erlassen, den Vollzug aber unter Auflagen ausgesetzt.

„Der I. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts hat heute auf Antrag des Generalstaatsanwalts gegen Carles Puigdemont Auslieferungshaft und gleichzeitig Haftverschonung unter Auflagen angeordnet.

Der I. Strafsenat ist der Auffassung, dass sich hinsichtlich des Vorwurfs der „Rebellion“ die Auslieferung als von vornherein unzulässig erweist. Etwas anderes gelte für den Vorwurf der „Korruption“ in Form der Untreue. Insoweit erweise sich die Auslieferung nicht als von vornherein unzulässig. Anhaltspunkte dafür, dass Carles Puigdemont der Gefahr politischer Verfolgung im Sinne des § 6 Abs. 2 IRG ausgesetzt sein könnte, sind – so der Senat – nicht ersichtlich.“

Zu den Auflagen der Haftverschonung gehört unter anderem die Zahlung einer Sicherheit in Höhe von 75.000 Euro.

Zur Begründung heißt es u.a.: Eine Auslieferung des Verfolgten wegen des Straftatbestands der Rebellion gemäß Art. 472 Abs. 5 und 7 des spanischen Strafgesetzbuches komme aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Das dem Verfolgten zur Last gelegte Verhalten wäre in der Bundesrepublik Deutschland nach hier geltendem Recht nicht strafbar.

Der in Betracht kommende Straftatbestand des Hochverrats sei nicht erfüllt, weil es an dem Merkmal der „Gewalt“ fehle. Nach den vom Bundesgerichtshof in einem vergleichbaren Fall aufgestellten Grundsätzen reiche es für die Verwirklichung des Gewaltbegriffs nicht aus, dass ein Täter Gewalt androht oder anwendet, um ein Verfassungsorgan zu einem erstrebten Handeln zu veranlassen. Erforderlich sei vielmehr, dass von der gegenüber Dritten ausgeübten Gewalt ein derartiger Druck auf das Verfassungsorgan ausgehe, der geeignet ist, den entgegenstehenden Willen des Verfassungsorgans zu beugen. Das sei hier nicht der Fall. Zwar seien dem Verfolgten als Initiator und Verfechter der Umsetzung des Referendums die am Wahltag stattgefundenen Gewalttätigkeiten zuzurechnen. Diese seien nach Art, Umfang und Wirkung jedoch nicht geeignet gewesen, die Regierung derart unter Druck zu setzen, dass sie sich „zur Kapitulation vor der Forderung der Gewalttäter“ gezwungen gesehen hätte.

Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung der Gefahr politischer Verfolgung im Sinne des § 6 Abs. 2 IRG ausgesetzt sein könnte, seien nicht ersichtlich. Dem Verfolgten werde mit der Veruntreuung öffentlichen Gelder eine konkrete, auch nach deutschem Recht als Untreue strafbare Handlung zur Last gelegt, nicht seine politische Gesinnung.

Der Haftgrund der Fluchtgefahr liege vor. Da aber eine Auslieferung wegen des Vorwurfs der „Rebellion“ unzulässig sei, sei die Fluchtgefahr deutlich herabgemildert.

(dpa, zitiert nach RP Rheinische Post online vom 5.4.2018)

(Quellen: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.3.2018 ff, Süddeutsche Zeitung, 3.4.2018, Rheinische Post online, 5.4.2018, zum europäischen Haftbefehlt: http://blog.wawzyniak.de/?s=europ%C3%A4ischer+haftbefehl)