Aus Politische Berichte Nr. 8-9/2018, S.18 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Rechte Provokationen --- Demokratische Antworten

01 Antisemitismus – Ein aktuelles Problem

02 Landesweites Zentrum entwickelt die Bildungsstätte Anne Frank i

dok: Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

03 Rock gegen Rechts in Frankfurt a.M. F

04 Identitäre verdoppeln ihre Mitglieder in Hessen.

05 AfD ging zum Angriff auf DGB über.

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Antisemitismus – Ein aktuelles Problem

Katharina Rhein, Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am Main

Rechtspopulistische Meinungsmache zeigt sich nicht nur, wenn es um die Flüchtlingspolitiks geht. Immer deutlicher werden auch antisemitische und geschichtsrevisionistische Töne, etwa wenn der AfD-Vorsitzende Gauland behauptet, die NS-Zeit sei „nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“, oder fordert: „wir [haben] das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ oder wenn sein Parteikollege Björn Höcke vom Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ schwadroniert.

Rechte Stimmungsmache befördert menschenfeindliche Haltungen bzw. ermutigt Leute dazu, diese lautstark zu äußern oder auch in die Tat umzusetzen. Dass zeigt u.a. der Anstieg antisemitischer Straftaten und Übergriffe – und das nicht nur in Deutschland, sondern z.B. auch in Österreich und den USA. Dabei zeigt sich Judenfeindschaft tendenziell wieder offensiver, insgesamt gilt aber, dass sich Judenfeindschaft gerade in Deutschland seit 1945 seltener offen äußert. Nichts desto trotz bestand Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem mit unterschiedlichen Artikulationsformen fort. Ein wesentliches Merkmal aktuellerer Erscheinungsformen ist eine Verschiebung von offen geäußerter Judenfeindschaft hin zu sekundärem oder sogenanntem Schuldabwehrantisemitismus, und eine andere Form ist der israelbezogene Antisemitismus.

Antisemitismus reicht dabei über die Feindschaft gegen konkrete Personen hinaus und dient als eine Form der Welterklärung, die Juden für ökonomische und soziale Prozesse verantwortlich macht. Insbesondere der Welterklärungsanspruch des Antisemitismus unterscheidet diesen von anderen diskriminierenden und menschenfeindlichen Haltungen und Denkweisen. Judenfeindschaft hat eine sehr lange Geschichte und aktuelle Formen greifen immer wieder auf lange tradierte antisemitische Bilder und Stereotype zurück.

Verbreitung von Antisemitismus in Deutschland

Auffällig ist die unterschiedliche Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden und nicht-jüdischen Deutschen, wenn es um die Frage der Einschätzung der Verbreitung von Antisemitismus in Deutschland geht. Wie aus dem Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus an die Bundesregierung 2017 hervorgeht sehen 76% der befragten Jüdinnen und Juden in Deutschland Antisemitismus als ein weitverbreitetes Phänomen an, während ein ebenso hoher Anteil nicht-jüdischer Deutscher vom Gegenteil ausgeht. Etwa der gleiche Anteil von Jüdinnen und Juden empfindet, dass antisemitische Einstellungen in Deutschland innerhalb der letzten fünf Jahre gestiegen sind, während die nicht-jüdisch Deutschen im gleichen Umfang der Aussage zustimmen „In Deutschland darf man nichts schlechtes über Ausländer und Juden sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden.“ Diese Diskrepanz deutet auf eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung der Lebensrealität von Jüdinnen und Juden in Deutschland hin.

Die Erfassung der Verbreitung antisemitischer Ressentiments in Deutschland beruht derzeit noch auf einer dünnen Datenlage und unzuverlässigen Quellen. Häufig werden als Beleg die Statistiken antisemitischer Straf- und Gewalttaten des Bundesinnenministeriums herangezogen. Im Jahr 2016 wurden 1.468 antisemitische Straftaten in die Statistik aufgenommen, wovon 34 als Gewalttaten einzustufen seien. Die Tendenz ist steigend, gegenüber dem Vorjahr stieg die Zahl polizeilich registrierter politisch motivierter Straftaten mit antisemitischem Hintergrund 2017 auf 1.495. Es ist jedoch bekannt, dass die Dunkelziffer an Straftaten wesentlich höher liegen muss, weil sie entweder nicht gemeldet werden, etwa aus Furcht, nicht ernstgenommen zu werden, oder weil sie von den Behörden nicht als antisemitisch eingestuft werden. Worüber die Statistiken jedoch zumindest der Tendenz nach Aufschluss geben, ist das Verhältnis der unterschiedlichen Motivationen antisemitischer Straftaten: Das Innenministerium unterscheidet zwischen politisch motivierter Kriminalität (PMK) von „rechts“, „links“, „Ausländern“ und „Sonstigen“. Die Anzahl der Straftaten, die aus rechtspolitischer Motivation begangen wurden, sind seit spätestens 2010 im vierstelligen Bereich und dominieren damit das Straftatenregister deutlich.

Oftmals findet Antisemitismus in den großen Studien zur Einstellungsforschung lediglich als ein Faktor des übergeordneten Konstrukts der sogenannten gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, neben Rassismus, Sexismus und anderen Entwertungen, Eingang in die Statistiken.

Vorteil dabei ist, dass quantitative Aussagen über den Zusammenhang von Antisemitismus mit anderen Feindbildern getroffen werden können, allerdings geht dabei allzu oft die Spezifik des antisemitischen Ressentiments verloren. Antisemitismus ist ein komplexes Phänomen, das sich immer wieder neue Ausdrucksformen sucht und sich unterschiedlichen gesellschaftlichen wie individuellen Bedürfnissen anpasst. In Studien, die versuchen möglichst viele Formen der Diskriminierung abzuhandeln, wird zumeist versucht dieses komplexe Phänomen auf wenige Fragen einzustampfen. Es wird dann etwa gefragt, ob die Studienteilnehmer*innen der Aussage zustimmen würden, die Juden hätten zu viel Macht in Deutschland oder etwas Eigentümliches an sich. Insgesamt ist die Zustimmung zu solchen Fragen seit einigen Jahren rückläufig. So stellen etwa Oliver Decker und Kollegen in der vielbeachteten Studie „Die enthemmte Mitte“ 2016 fest, dass der Anteil von Antisemiten in der deutschen Gesamtbevölkerung unter 5% gefallen sei. Diese Zahlen, so beruhigend sie auch sein mögen, sind nur mit großer Vorsicht zu genießen, denn sie beruhen gerade mal auf drei Fragen, in welchen sekundäre Formen des Antisemitismus, israelbezogener Antisemitismus oder Verschwörungstheorien, überhaupt nicht abgefragt werden. Das Instrumentarium ist daher lediglich dazu in der Lage manifest antisemitische Aussagen zu untersuchen und ignoriert verdeckte Formen des Antisemitismus, wie sie seit 1945 am häufigsten geäußert werden. In einem späteren Interview räumt Decker diese Unzulänglichkeit der produzierten Zahlen ein und gibt an, man könne mit einem gesamtgesellschaftlichen Anteil von 20 bis 30% Antisemit*innen rechnen. Tatsächlich scheinen diese von Decker nachträglich angegebenen Werte um einiges plausibler zu sein. In der großangelegten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von Andreas Zick und Kollegen „Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016“ kommen die Autoren unter Berücksichtigung von sekundärem und israelbezogenem Antisemitismus zu ähnlichen Ergebnissen. Hier stimmen 25% der Befragten den Aussagen zu „Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches ihren Vorteil zu ziehen“ und „Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts Anderes, als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben.“ Noch höher ist mit rund 40% der Anteil an Personen, die der Aussage zustimmen „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich verstehen, dass man was gegen Juden hat.“

Diese erschreckend hohen Anteile machen deutlich, dass Antisemitismus kein Problem ist, das an den sogenannten sozialen Rändern der Gesellschaft zu verorten ist, kein Problem, das allein der extremen Rechten oder Islamisten zugeschrieben werden kann. Antisemitische Ressentiments ziehen sich historisch wie aktuell durch sämtliche sozioökonomischen Milieus, Bildungsschichten, Geschlechter und politischen Orientierungen.

Bei Judenfeindschaft allgemein und besonders deutlich im israelbezogenen Antisemitismus bilden sich immer wieder die merkwürdigsten politischen Allianzen, denn trotz noch so großer politischer Unterschiede wird man sich im Hass auf Juden und Israel offenbar schnell einig.1 Aus den unterschiedlichsten politischen Richtungen wird immer wieder behauptet der Vorwurf des Antisemitismus werde politisch instrumentalisiert und man könne Israel nicht kritisieren. Dabei ist schon allein der Begriff Israelkritik auffällig, denn niemand spricht etwa von Frankreich- oder Türkeikritik und die Kritik der israelischen Politik gehört zum Tagesgeschäft deutscher Medien. Dennoch kommt immer wieder die Frage auf, was denn nun israelbezogener Antisemitismus und was legitime Israelkritik sei. Eine Hilfestellung gibt dabei der sogenannte 3D-Test Natan Scharanskis. Die 3Ds an denen man israelbezogenen Antisemitismus demnach erkennt lauten: Dämonisierung, Delegitimierung, also die Infragestellung des Existenzrechts des israelischen Staates, und Doppelstandards – damit ist die Tatsache gemeint, dass bezogenen auf Israel oft mit zweierlei Maß gemessen wird, etwa was die Kritik von Menschenrechtsverletzungen betrifft. Nicht dass Menschenrechtsverletzungen nicht kritisiert gehören, aber es ist doch auffällig, dass diese überdimensional häufig bezogen auf Israel kritisiert werden, während das bezogen auf andere Staaten nicht der Fall ist. So hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (Gründung 2006): zwischen 2006-2015 insgesamt 117 Resolutionen wegen Menschenrechtsverletzungen verabschiedet. Davon richteten sich 62 Resolutionen, gegen Menschenrechtsverletzungen im demokratischen Rechtsstaat Israel und nur 55 Resolutionen gegen alle anderen Staaten der Welt einschließlich aller Autokratien, Despotien und Diktaturen. Weitere Beispiele für israelbezogenen Antisemitismus sind die Gleichsetzung israelischer Politik mit NS-Verbrechen oder wenn alle Juden in der Welt für israelische Politik verantwortlich gemacht werden.

1 Zwar bedienen sich die Neue und die populistische Rechte teilweise auch der Rhetorik vom „christlich-jüdischen Abendland“, allerdings erscheint das als rein strategisches „Bündnis“, welches gegen Muslime und den Islam gerichtet ist. Immer wieder wird auch deutlich die gegenteilige Position artikuliert, etwa wenn Björn Höcke auf einer Veranstaltung der Jungen Alternative verlautbart „Christentum und Judentum stellen einen Antagonismus dar. Darum kann ich mit dem Begriff des christlich-jüdischen Abendlands nichts anfangen.“

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Als landesweites Zentrum entwickelt die Bildungsstätte Anne Frank innovative Konzepte und Methoden, um Jugendliche und Erwachsene für die aktive Teilhabe an einer offenen und demokratischen Gesellschaft zu stärken. Mit Ausstellungen, Seminaren, Workshops, Trainings und Beratungsangeboten erreicht die Bildungsstätte ein breites und heterogenes Publikum. Sie unterstützt und vernetzt sowohl Bildungseinrichtungen als auch lokale Initiativen und Selbstorganisationen von marginalisierten Gruppen. Dabei sieht es die Bildungsstätte als Aufgabe, sie dabei zu unterstützen, ihre Stimmen, Positionen und Belange hör- und sichtbar zu machen.

https://www.bs-anne-frank.de/ueber-uns/ueber-uns/

Abb.(nur im PDF): over

dok: Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

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Rock gegen Rechts in Frankfurt a.M. Für den 1. September, den Antikriegstag, haben sich 92 politische, kirchliche und soziale Organisationen unter der Schirmherrschaft der Vizepräsidentinnen des Deutschen Bundestags Claudia Roth und Petra Pau sowie des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann und der Stadträtin Sylvia Weber, Dezernentin für Integration und Bildung der Stadt Frankfurt am Main, zusammengeschlossen. Das Konzert soll eine politische Kundgebung sein für und mit allen Menschen, die ein Zeichen gegen Rechts und für den Frieden setzen wollen. Die Musik steht dabei im Vordergrund. Im Mittelpunkt der Kundgebung stehen kurze Redebeiträge bzw. Videobotschaften und Livemusik als Statements gegen Rassismus und Ausgrenzung, für Frieden und Menschenrechte, Vielfalt und Solidarität in Frankfurt und in der Rhein-Main-Region. Kultur als Botschafter der politischen Inhalte. Millionen Menschen flüchten heute vor Krieg, Verfolgung, Gewalt und Hunger. Diesen Menschen gebührt unsere Solidarität. Die Abschottung Europas unter Hinnahme von Tausenden Todesopfern im Mittelmeer ist menschenverachtend. Die Veranstalter fordern eine Politik des Friedens, der Abrüstung und der Solidarität – so können Nationalismus, Ausgrenzung, Antisemitismus und alle andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit überwunden werden. „Wir wollen hier vor Ort, aber auch weltweit, in einem friedlichen und respektvollen Miteinander leben. In einem großen Bündnis wollen wir gemeinsam deutlich machen: Bei uns ist kein Platz für fremdenfeindliches und chauvinistisches Gedankengut. Menschenrechte sind nicht verhandelbar.“ Wir engagieren uns – für Frieden und Solidarität.

http://rock-gegen-rechts.info/buendnis/

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Identitäre verdoppeln ihre Mitglieder in Hessen. Laut hessischem Verfassungsschutzbericht von 2017 stiegen die Mitgliedszahlen der Identitären in Hessen von 40 auf 80.

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AfD ging zum Angriff auf DGB über. Auf einer Kundgebung am 20.7.18 gegen eine AfD-Versammlung in Hanau-Steinheim griffen zwei AfD-Anhänger einen Ordner wegen eines Platzverweises von hinten an und würgten ihn so lange, bis dieser bewusstlos zusammenbrach. Vorausgegangen war die Ablehnung eines AfD-Gesprächsangebotes vom DGB mit der Begründung, die AfD sei ein politischer Gegner sowie ein anschließender AfD-Protestmarsch auf das Hanauer Gewerkschaftshaus. Ziel des Marsches war, die Öffentlichkeit über politische Straftaten und Linksextremismus im Kreis Hanau zu informieren.