Aus Politische Berichte Nr. 8-9/2018, S.20 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Ludwig Baumann: „Ich wollte einfach nur leben“

Johann Witte, Bremen

Am 5.7.2018 starb Ludwig Baumann, der Vorsitzende der Bundesvereinigung „Opfer der NS-Militärjustiz“ im 97. Lebensjahr. Er war der letzte noch lebende Wehrmachtsdeserteur. Als Marinesoldat in Frankreich desertierte er zusammen mit seinem Freund Kurt Oldenburg am 3. Juni 1942. „Wir wollten keine Verbrechen begehen. Wir wollten niemanden ermorden. Wir wollten einfach leben“ – so seine Begründung für die Desertion. Einen Tag später wurden sie gefasst und wie viele andere Deserteure zum Tode verurteilt. Von 30 000 Todesurteilen wurden von der NS-Militärjustiz 20 000 vollstreckt. Zehn Monate saß er im Zuchthaus und erwartete seine Hinrichtung, ohne zu wissen, dass sein Todesurteil in 12 Jahre Zuchthaus verwandelt worden war. Den Krieg überlebte er nach Aufenthalten im Konzentrationslager Esterwegen, im Wehrmachtsgefängnis Torgau und im „Bewährungsbataillon“ 500.

Durch die Erlebnisse traumatisiert, sah er sich nach 1945 Anfeindungen, Beschimpfungen und Drohungen als „Vaterlandsverräter“ , „Feigling“ u.a. ausgesetzt, an denen er fast zerbrochen wäre. Erst mit der Entwicklung der Friedensbewegung in den 80er Jahren fing er erneut an, sich mit „seiner“ Geschichte zu beschäftigen. Am Bremer Hauptbahnhof und vor Kasernen trat er für Frieden und Abrüstung ein. Zur Gründung der Bundesvereinigung „Opfer der NS-Militärjustiz“ trug er 1990 wesentlich bei und war ihr Vorsitzender bis zu seinem Tod. Die Wiederherstellung seiner Würde, die Rehabilitierung seiner Person und die seiner Freunde erreichte er über einen langen Weg. Mit großer Überzeugungskraft erreichte er mit wachsender Zustimmung in der Gesellschaft und gegen viele Widerstände auch im Bundestag in drei Etappen die moralische, juristische und politische Rehabilitierung der Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und „Wehrkraftzersetzer“(1998 und 2002) und schließlich der „Kriegsverräter“ (2009).

Der Historiker Wolfram Wette wies in seiner Trauerrede auf Ludwig Baumann als Vorbild hin, „wenn er bei vielen Auftritten das Wort ergriff: Bei Gedenkfeiern und der Einweihung von Denkmälern für Deserteure der Wehrmacht… vor Ausschüssen des Bunderstages, in Gesprächen mit Gewerkschaftlern, Kirchenleuten und Friedensbewegten, mit Schülerinnen und Schülern“. Besonders letzteres bereitete ihm besondere Freude und es gelang ihm immer, Schülerinnen und Schüler durch seine Überzeugungskraft zu fesseln. Seine Überzeugung war, dass er mit seiner Desertion das Richtige getan hatte.

Die Abgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, machte darauf aufmerksam, dass der Kriegsverrat für Ludwig „nicht nur eine Sache aus der Vergangenheit, sondern auch ein Auftrag an die Gegenwart“ war. Weiter sagte sie in ihrer Ansprache: „Und so hat er im Ausschuss schonungslos zusammengefasst, warum Deserteure nicht schon 1998 rehabilitiert wurden – weil nämlich SPD und Grüne damals mit dem Krieg gegen Jugoslawien anfingen, ohne ein UN-Mandat und gegen das Völkerrecht“.

Der Vorsitzende des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung F. Schneider wies darauf hin, dass Menschen wie Ludwig Baumann „die Entwicklung einer neuen Erinnerungskultur vorangebracht haben, die zivilisierende Kontrapunkte setzt zu einer militärisch dominierten Rückbesinnung auf die Konflikte der Vergangenheit“.

Abb.(nur im PDF): Foto Denkmal

Abb.(nur im PDF): (Lit.: Ludwig Baumann: „Niemals gegen das Gewissen“; Freiburg; 2014), Taschenbuch/Hörbuch-Cover (Abb.)https://www.amazon.de/Niemals-gegen-das-Gewissen-Wehrmachtsdeserteurs/dp/B00JH05AMW