Aus Politische Berichte Nr. 02/2019, S.20 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Brasilien nach der Wahl Bolsonaros

Achim Wahl*

Mit 55 Prozent aller Wählerstimmen wurde der ehemalige Hauptmann Jair Bolsonaro der Partido Social Liberal zum neuen Präsidenten Brasiliens gewählt. Für seinen Konkurrenten der Arbeiterpartei Fernando Haddad stimmten 44 Prozent. Insgesamt blieben 31 Millionen (21 Prozent) Menschen der Wahl fern. Wie wird sich die Innen- und Außenpolitik Brasiliens unter diesem Präsidenten verändern?

Die Position Bolsonaros im Wahlkampf war antisystemisch, vor allem trat er gegen die Arbeiterpartei (PT) auf und bevorzugte eine aggressive antifeministische, machistische, fremdenfeindliche Sprache.

Zugleich verherrlichte er die Militärdiktatur (1964–1995). Die Wahl bescherte der Fraktion der Boi, Biblia und Bala (BBB = Ochse, Bibel und Kugel – als Synonyme für Agrobusiness, Evangelikale und Militär) die Mehrheit im Kongress und Senat. Bolsonaros Partei hat die zweitstärkste Fraktion im Kongress. Immerhin stellt die PT die stärkste Fraktion, wird aber gegenüber der sich formierenden Fraktion Partido Social Liberal (PSL) evangelikaler und rechter Parteien in der Minderheit bleiben. In 16 von 27 Bundesstaaten, u. a. in São Paulo, Minas Gerais und Rio, gewannen Bolsonaro und rechte Parteien die Gouverneursposten.

Im Nordosten konnte hingegen die PT Stimmen und vier Gouverneure gewinnen, was darauf hindeutet, dass Brasilien ein gespaltenes Land ist.

Das „linke Lager“ trat nicht geschlossen auf. Der brasilianische Staat gilt als zu schwach und wird vom Justiz- und Polizeiapparat und der Staatsanwaltschaft beherrscht, die die Antikorruptionskampagne „Lava Jato“ dominant realisierten. Die Wahlkampagne war geprägt durch die massenhafte Verbreitung von Fake News über WhatsApp und Facebook.

83 Prozent der brasilianischen Bevölkerung nutzen die sozialen Medien, sodass diese Kampagne sichtbare Erfolge erzielte. Eine Untersuchung zur Verbreitung massenhafter Fake News wurde – wie auch andere Forderungen demokratischer Kräfte – von Gerichten abgelehnt. Der Einsatz von WhatsApp im Wahlkampf war beispiellos und wurde von externen Kräften aktiv unterstützt. Faktisch gelang es auf diese Weise, das Rechtssystem außer Kraft zu setzen und das demokratische System auszuhebeln. Dieses Machtkartell wurde zu einem neuen Instrument des „sanften Putsches“ gegen die Präsidentin Dilma Rousseff, was 2016 zu ihrer Amtsenthebung führte, und ein Instrument des Wahlkampfes zugunsten Bolsonaros.

Zum Charakter der Regierung Bolsonaros

So wie die Wahlkampagne von Androhungen über „Säuberungen“ und der Diffamierung sozialer Bewegungen als „terroristische Organisationen“ geprägt war, gestaltet sich aktuell die Formierung der Regierung. Bolsonaro ist nicht schlechthin ein „Trump Südamerikas“, denn seine Haltung wird geprägt von faschistoiden Zügen, die mit einer völligen Ablehnung der Politik der Vorgängerregierungen einhergehen. In Brasilien steht ein Prozess zur Umorientierung des Landes bevor. Dem brasilianischen Kapital und Teilen der brasilianischen Bourgeoisie, die mit internationalem Kapital verbunden sind, geht es um uneingeschränkte Ausübung der Macht. Eine Politik des Ausgleichs, die der ehemalige Präsident Luiz Inãcio Lula da Silva (2003–2011) realisiert hatte, ist vorbei und wird durch einen Klassenkampf von oben ersetzt. Das wird unterstützt durch die neue Rechte, die nicht nur in Brasilien entstand. Grundsätzlich sind drei wesentliche Veränderungen zu erwarten:

Erstens eine verstärkte Annäherung an die USA und Entwicklung der militärischen Beziehungen zu den USA und Israel, verbunden mit einer sich intensivierenden Tätigkeit militärischer Unternehmen in Brasilien. Schon mit der Durchführung des Manöver AmazonLog im Amazonasgebiet im November 2017 durch den De-facto-Präsidenten Michel Temer wurde eine Hinwendung zu den USA eingeleitet. Unter Bolsonaro wird sich diese Zusammenarbeit verstärken und die bisherige Ablehnung der Präsenz des US-Militärs oder die Teilnahme an gemeinsamen Manövern aufgehoben. Das kann besonders den Zugriff auf die brasilianische Militärbasis in Alcantra (Staat Maranhão) an der Grenze zu Venezuela betreffen.

Zweitens wird Bolsonaro, unterstützt und gefördert durch seinen zukünftigen Wirtschaftsminister Paulo Guedes, einem gelernten Chicago-Boy, offen zur neoliberalen Agenda zurückkehren, Kurs auf die Einschränkung sozialer Rechte nehmen und eine drastische Einschränkung der Tätigkeit des Staates vornehmen. Auf der Tagesordnung stehen umfassende Privatisierungen. Die Öffnung Brasiliens gegenüber dem internationalen Kapital wird durch den Verkauf der Zentralbank (Banco Central) an die Bank of America, die Umorientierung der Entwicklungsbank BNDES auf Profiterwirtschaftung für Privatbanken, den Verkauf des Flugzeugunternehmens Embraer an Boeing und die Vergabe von weiteren Ölfeldern an US-Unternehmen erheblich erleichtert werden.

Drittens wird Bolsonaro mithilfe seines Justizministers Sergio Moro, der die Verurteilung Lulas als Richter der ersten Instanz betrieb, den Ausbau des Polizei- und Justizapparates vorantreiben.

Außenpolitische Zukunft

Nach Ansicht Bolsonaros muss „Brasilien sich von der globalistischen Ideologie befreien und im Geiste Jesu Christi den Kampf gegen den Globalismus führen, dessen einziges Ziel darin besteht, Mensch und Gott zu entfremden“. Konkret heißt das: Kampf gegen die bolivari- sche Revolution und das „maoistische China, das die Welt beherrschen will“. In diesem Sinne wurde der Außenminister, der Karrierediplomat Ernesto Araüjo, nominiert. Dieser bezeichnet die PT als „terroristische Partei“ und ist überzeugt, dass „Trump und Bolsonaro den Westen retten werden“. Sein politisches Projekt heißt, sich „in der Politik und der Geschichte gegenüber der Anwesenheit Gottes zu öffnen.“ Bolsonaro wird mit seiner Regierung die „Außenpolitik von ideologischen Zügen“ befreien. Seine Äußerungen bezogen sich vornehmlich auf China, Kuba und arabische Staaten, die er als „terroristische Gefahr“ betrachtet. Er will Brasilien in der westlichen Welt verankern und auf Werte wie Familie und Gott aufbauen, um die westliche Welt vor dem Verfall zu retten. Zu Bolsonaros Plänen gehören etwa die Verlegung der brasilianischen Botschaft nach Jerusalem (nach Protesten arabischer Länder trat er den Rückzug an); der Aufbau neuer Beziehungen zu Israel (der Staat steht auf der Liste der zuerst zu besuchenden Länder nach Chile und den USA); die Positionierung gegen das „Dogma des Klimawandels“, womit die weitere Beteiligung Brasiliens am Pariser Klimaabkommen infrage gestellt wird. Ähnliche Äußerungen betreffen die Erhaltung des Amazonasgebietes. Für die Beziehungen Brasiliens zu Lateinamerika heißt das, in gemeinsamer Front mit Kolumbien — das inzwischen assoziiertes Mitglied der Nato ist – gegen Venezuela vorzugehen. Die kubanische Regierung hat die seit 2013 in Brasilien befindlichen 8 000 Ärzte zurückberufen, nachdem herabwürdigende Äußerungen Bolsonaros zur deren Tätigkeit bekannt wurden. Bolsonaro wird offensichtlich auch die diplomatischen Beziehungen zu Kuba infrage stellen. Mit einer Orientierung auf die Öffnung Brasiliens gegenüber der Pazifischen Allianz wird die Zusammenarbeit mit Argentinien im Rahmen des Mercosur (Mercado Común del Sur, gemeinsamer Markt Südamerikas) hintenangestellt. Mit dem Abschluss eines Freihandelsvertrages mit Chile noch durch Temer wurde damit bereits begonnen.

Diese Politik ist auch gegen die Integrationsbestrebungen der latein-amerikanischen Länder gerichtet, die in Zusammenschlüssen wie der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) realisiert wurden. Zu China äußerte sich Bolsonaro folgendermaßen: „China kann uns mit seinen Kapitalinvestitionen nicht aufkaufen, aber die Handelsbeziehungen werden wir aufrechterhalten.“ Allerdings positionierte er sich gegenüber China, indem er während seiner ausländischen Werbetour Taiwan besuchte. Offen ist, wie sich die Beziehungen zu China gestalten werden, da das Land seit 2009 Hauptwirtschaftspartner Brasiliens ist. Sollte Bolsonaro dies einschränken wollen, muss er mit einer Reaktion des Agrarbusiness rechnen. Allerdings kann die Konkurrenzsituation USA — China in Brasilien schon mit der Wahl Bolsonaros vorzeitig entschieden sein. Darüber hinaus wird die Mitarbeit Brasiliens im Rahmen der BRICS infrage gestellt werden. Dieses Szenarium ist beunruhigend, denn nach Nixons Ausspruch gilt: „Wohin Brasilien geht, dahin geht auch der Rest Lateinamerikas.“ Es formiert sich eine neoliberale, rechte Front, die sich beginnend mit Mauricio Macri in Argentinien über Chile, Peru und Kolumbien bis nach Mittelamerika erstreckt. Was Trump und andere Kräfte umtreibt, ist die bröckelnde Dominanz der USA in Lateinamerika. Die Existenz linksgerichteter Regierungen und Bewegungen war für die USA eine schwer hinzunehmende Situation. Die Monroe-Doktrin kann durch diese Entwicklungen eine Wiederbelebung erfahren. Es droht in Lateinamerika eine Welle politischer Destabilisierung und ökonomischer Zerrüttung.

Abb. (PDF): * Achim Wahl. geb. 1936, Politikwissenschaftler und Lateinamerikanist, Mitarbeit im Gesprächskreis Frieden und Sicherheit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Mail: wahl_achim@yahoo.de

Dieser Beitrag erschien in der Nr. 148 der Welttrends (Februar 2019). Wir danken dem Autor für die freundliche Genehmigung
zum Nachdruck.

Abb. (PDF): Bolsonaro orchestriert die rechte Wende