Aus Politische Berichte Nr. 02/2019, S.21 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Grenzwertig: Die technische Überwachung der Industrie

Martin Fochler, München

Wirtschaftlich gesehen ist Umgebungsluft zunächst ein freies Gut. Bereitstellungkosten fallen nicht an. Der Zugang ist unerschöpflich. Luft kann nicht angeeignet und folglich nicht verkauft werden. Das gilt, so lange der Gebrauch der Luft durch technische Prozesse die Eigenschaften des Gesamtvorrats nicht verändert. Diese Voraussetzung stimmt nicht mehr, und deswegen ist eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen entstanden, die die Verwendung von Umgebungsluft einschränken.

Verbrennungsmotoren brauchen Sprit und den Sauerstoff aus der Luft. Dieselmotoren arbeiten mit so hoher Verdichtung, dass beim Verbrennungsvorgang nicht nur der Sauerstoff der Luft reagiert, sondern auch der dort vorhandene Stickstoff. Mit der Abluft gehen Stickoxide in die Umgebungsluft. Auch die vorindustrielle Luft war von Stickoxiden nicht frei. In technikfernen Berglagen werden heute Monatsmittelwerte um 4,5 µg/m³ gefunden. Das ist ungefähr ein Zehntel der umstrittenen Grenzwerte. Die Verweildauerdauer von Stickoxiden im Luftraum ist kurz, sie wird nach Stunden und Tagen gemessen. Das ist nicht umstritten und bedeutet, dass ein Stopp von NOx-erzeugenden Prozessen sich unmittelbar auf die Luftqualität auswirkt.

So stellt sich der Gesetzgebung eine Güterabwägung: Zwischen dem Nutzen, den die Industrie und Nutzer aus dem Gebrauch der Umgebungsluft ziehen, und dem Schaden, der dabei für der Allgemeinheit entsteht. Solche Entscheidungssituationen sind in unserer reifen Industriegesellschaft nicht selten. Als das mit dem Einsatz von Asbest als Werk- und Baustoff verbundene Krebsrisiko entdeckt wurde, kam es zum Verbot. Der Einsatz der Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe (FCKW) als Treibmittel in Spraydosen und Betriebsmittel von Kühlschränken wurde 1987 in einem multilateral vereinbarten völkerrechtsverbindlichen Umweltabkommen – es war das erste überhaupt – verboten, weil die Ozon-Schutzschicht der Atmosphäre gefährdet wurde.

Für diese beiden Stoffe konnte ein Grenzwert = Null durchgesetzt werden, weil sie durch andere ersetzt werden können. Dieser Weg ist bei den NOx-auswerfenden Verbrennungsmotoren technisch gangbar, aber teuer. Muss es sein? Sind die NOx-Gase wirklich so schädlich?

Anders als beim Asbest, wo letzten Endes am traurigen Beispiel konkreter Erkrankungen gezeigt werden konnte, dass diese Fasern und Stäube die Erkrankung ausgelöst hatten, erhöht die NOx-Belastung das allgemeine Risiko von Erkrankungen z.B. des Kreislaufs und der Atemwege und verschlechtert deren Verlauf. Ein derartiger Wirkungszusammenhang ist in der unmittelbaren Arzt-Patientenbeziehung nicht sichtbar. Beim Zigarettenrauchen hat es z.B. Studien mit Hundertausenden von Probanden und über Jahrzehnte gebraucht, bis die Schädlichkeit nicht mehr zu leugnen war. Eine solche restlose Klarheit würde sich auch beim NOx-Gehalt der Umgebungsluft erst mit der Zeit einstellen. Da jedoch bereits seit den Anfängen der Freisetzung nitroser Gase durch technische Prozesse gesundheitsschädliche Effekte bekannt sind, genügten der Weltgesundheitsorganisation WHO und in der Folge auch der EU die Hinweise, dass auch kleine Konzentrationen, wenn sie dauerhafter Bestandteil der Umgebungsluft sind, schaden.

Man stellt sich den jetzigen Wert von 40 µg/m³ im Jahresdurchschnitt am besten als Zielvorgabe vor. Die Politik ging davon aus, dass die Abgabe von NOx durch Verbrennungsmotoren in absehbarer Zeit sehr verringert würde. Diese Annahme konnte sich auf die Angaben der Hersteller von Dieselfahrzeugen stützen. Hätten diese Angaben gestimmt, so wäre wohl die Belastung der Luft im vorgegebenen Zeitraum unter den Grenzwert gesunken. Das war jedenfalls der Plan der Behörde und übrigens auch die Hoffnung der Städte. Der Streit um die Grenzwerte wird sich nicht „wissenschaftlich“ lösen. Weniger NOx in der Umgebungsluft ist allemal besser als mehr. Der 40er-Grenzwert zieht der Nutzung der Atemluft durch technische Prozesse eine Grenze. Diese Prozesse können verbessert oder durch andere ersetzt werden. Die interessante Frage ist: Wer haftet, wer zahlt? Bekanntlich brauchen Automobilmodelle eine Zulassung. Wenn die Zulassung unter falschen Angaben erschwindelt werden konnte, hat der Staat versagt, um genauer zu sein, die beauftragten technischen Prüfeinrichtungen, zu Deutsch: der TÜV. Eine Reform dieser Prüfeinrichtungen wird dringlich.

Abb. (PDF): Dampfkesselexplosion 1881. Lithographie des Bayerischen Dampfkessel-Revisionsvereins – Vorläufer des TÜV. Der Verein wurden von den Dampfkesselbetreibern kontrolliert, nicht etwa von den Herstellern.