Aus Politische Berichte Nr. 03/2019, S.22 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Kalenderblatt: 21.Dezember 1848 deutschland

01 Versammlungsfreiheit? – Wichtig!

02 Das Hambacher Fest

03 Robert Blum

04 Die Tradition des Freiheitsbaums als lebendes Symbol für individuelle Freiheit und gegen Tyrannei …

01

Versammlungsfreiheit? – Wichtig!

1848 gefordert – 1849 versagt: Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubnis bedarf es nicht.

Von Thomas Birg, Hattingen

Von der Bedeutung her sind moderne Verfassungen grundlegende Gesetzestexte, auf denen das Rechtssystem eines Staates aufbaut. Ideengeschichtlich entstanden diese Verfassungen in vordemokratischen Zeiten als Schutzanspruch gegenüber den Herrschenden, die über dem Gesetz standen. Eine solche Möglichkeit zur Willkür konnte nur durch ein Gesetz begrenzt werden, an das auch die Herrschenden gebunden wurden.

Damit es soweit kommen konnte, mussten die Untertanen gegen Gesetze verstoßen. Das Freiheitsrecht sich versammeln zu dürfen, wurde von den Herrschenden schließlich nicht immer eingeräumt. Um politische Meinungsbildung und bürgerschaftliche Selbstartikulation zu betreiben, traf man sich gezwungenermaßen im Geheimen und Illegalen.

Es war eine Zeit, in der große Bevölkerungsteile nach politischen und gesellschaftlichen Veränderungen strebten. Da sie keine politische Teilhabe ausüben konnten, insbesondere die Machtlosen, dienten Versammlungen dazu, Auffassungen im kollektiven Zusammenwirken Ausdruck zu verleihen. Sie waren Motoren der Veränderung und damit aus Sicht der Herrschenden auch bedrohlich.

Europaweit fand die Verbreitung des Verfassungsgedankens und der Demokratie, der Kampf um Grundrechte, zur Zeit der Aufklärung mit der Französischen Revolution von 1789 und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ihren Ausgang. So brachten die französischen Revolutionstruppen nicht nur politische Ideen, sondern auch Symbole, z.B. Freiheitsbäume zu pflanzen, 1792 nach Deutschland mit.

Wie auch in anderen Gesellschaftsordnungen gab es Möglichkeiten zu selbst organisierten Versammlungen in Deutschland lange vor dem politischen Kampf um die Versammlungsfreiheit und deren rechtlicher Anerkennung. Schon im mittelalterlichen Recht gab es Korporationen zur Selbst-Herrschaft und Selbstversammlung. Eine davon abgeleitete allgemeine Versammlungsfreiheit existierte jedoch nicht. Gab es dies dennoch, reagierten die Herrschenden mit Verboten von Zusammenschlüssen und Vereinigungen. Mit der Reichsexekutionsordnung von 1555 wird die Behandlung solcher Angelegenheiten, wie heute noch üblich, in die Hände der zuständigen regionalen Polizeibehörden gegeben.

Außerhalb geschlossener Verbände erhalten Versammlungen im 18. und 19. Jahrhundert als Zusammenkunft zur Diskussion öffentlicher Angelegenheiten zunehmend an Bedeutung. Es geht einher mit dem Streben nach gesellschaftlichen Veränderungen und politischer Emanzipation vor dem Hintergrund der Ablösung mittelalterlich geprägter Sozialverbände und den immer stärker zu Tage tretenden sozialen Konflikten.

Die noch weitgehend absolutistisch geprägte Obrigkeit versucht sich dem mit Hilfe des Polizeirechts, als Mittel obrigkeitlicher Gegenwehr, zu widersetzen: „Allem Zusammenlaufe des Volks an ungewöhnlichen Zeiten und Orten, besonders aber nächtlichen Schwärmereyen, und Beunruhigungen der Einwohner eines Orts, soll von der Obrigkeit durch ernstliche Mittel gesteuert werden.“

Auch die Demagogenverfolgung im späteren Deutschen Bund diente der Unterdrückung von Freiheitsbestrebungen. Die Karlsbader Beschlüsse (Hyperlink zu Wikipedia) von 1819 zementierten die Überwachung und Bekämpfung nationaler und liberaler Tendenzen und waren Ausdruck der Revolutionsangst an manchen deutschen Fürstenhöfen.

So erklärt sich auch die Reaktion der bayerischen Regierung, die 1832 die erste politische Großveranstaltung der deutschen Demokratiegeschichte verbieten wollte.

Die Einladung zum Hambacher Fest besaß nach Auffassung der Obrigkeit, einen aufrührerischen Charakter. Ein großer Proteststurm zwang die Regierung zur Rücknahme des Verbots.

In Süddeutschland und in einigen mitteldeutschen Staaten werden in Folge erste Verfassungen erlassen, die zugleich im Bürger ein Engagement für den neuen Staat wecken sollen. Einzelne Konstitutionen enthalten auch Grundrechte, wie die Verfassung Badens von 1833. Doch insgesamt agierte die Obrigkeit zu langsam und unterdrückend. Der gewaltsame Umsturz und die Befreiung aus der Unterdrückung brach sich in ganz Europa in Revolutionen Bahn.

Nach der Märzrevolution in Deutschland 1848 verkündet die Frankfurter Nationalversammlung in der Deklaration der Grundrechte des deutschen Volkes:

„Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; einer besonderen Erlaubnis bedarf es nicht. Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.“

1849 scheiterte die Märzrevolution, und die Annahme des Entwurfs für die Verfassung des deutschen Reichs wurde vom preußischen König und anderen Fürsten abgelehnt, die politischen Auseinandersetzung und die praktische Ausübung des Versammlungsrechts blieben auf der Tagesordnung. Erst mit der Weimarer Verfassung von 1919 wurde für Deutschland ein Gesetz umgesetzt, welches einen Grundrechtekatalog enthielt. Mit der Übertragung der Macht auf die Nationalsozialisten und der Reichstagsbrandverordnung von 1933 wurde dieser wieder außer Kraft gesetzt.

Erst durch die Befreiung vom Nationalsozialismus am 8. Mai 1945 wurde der Weg für den Schutz der Beherrschten wieder möglich. Am 23. Mai 1949 erließ der Parlamentarische Rat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) für die drei westlichen Besatzungszonen und zementierte damit eine Spaltung, die nach 40 Jahren von sich versammelnden Menschen beendet wurde.

Mit dem als Brokdorf-Beschluss bekannt gewordenen Urteil von 1985 bekräftigt das Bundesverfassungsgericht den Stellenwert dieses Freiheitsrechts. Es erkennt die Verzerrungen des demokratischen Willensbildungsprozesses vor dem Hintergrund sozialökonomischer Bedingungen an. Die Bürger sind an der Willensbildung in unterschiedlichem Maß beteiligt. Der ohnmächtige Staatsbürger sieht sich mit einer Übermacht aus großen Verbänden, finanzstarken Geldgebern oder Massenmedien konfrontiert. Neben der organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden bleibt ihm nur noch die kollektive Einflussnahme durch Nutzung der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen.

Mit dieser Begründung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit als unentbehrliches Funktionselement eines demokratischen Gemeinwesens gab das Gericht dem Gesetzgeber vor, dieses Freiheitsrecht beim Erlass grundrechtsbeschränkender Vorschriften zu beachten. Die Vorgabe bezog sich auch auf die Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte und schrieb eine „versammlungsfreundliche“ Orientierung vor.

Es lohnt gerade heute wieder daran zu erinnern. Die Auseinandersetzungen um die Waage zwischen Schutz- und Abwehrrecht des Rechtträgers und der Schutzpflicht des Hoheitsträgers gehen weiter.

02

Das Hambacher Fest

Rolf Gehring, Brüssel. Gewissermaßen ein Kristallisationspunkt des Kampfes um den öffentlichen Raum, besser gesagt seiner Neubesetzung in einer dynamischen gesellschaftlichen Umbruchsituation war das Hambacher Fest, auf dem die neuen Gesellschaftsklassen den öffentlichen Raum und symbolträchtige Plätze besetzen.

Freiheitsrechte, Nationalstaatsbildung und die Vorstellung eines geeinigten Europa waren tragende Ideen und Ziele der Zeit, aber auch die beginnende geistige und soziale Ausdifferenzierung der bürgerlichen Gesellschaften verlangten nach Ausdrucksformen und neuen Praktiken, die nur durch individuelle Rechte, eben bürgerliche Freiheiten, gesichert werden konnten.

20 000 bis 30 000 Männer und Frauen aus allen deutschen Landen und aus anderen Ländern kamen nach Neustadt, um das Fest am 27. Mai 1832 zu feiern.

Abb. (PDF): Hambacher Fest

03

Robert Blum

„Es hätte nie ein Christentum und nie eine Reformation und keine Staatsrevolution und überhaupt nichts Gutes und Großes gegeben, wenn jeder stets gedacht hätte: Du änderst doch nichts!“ (Brief an seine Schwester, 1844)

Von Thomas Birg, Hattingen. Robert Blum wird am 10. November 1807 in Köln geboren. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, aber hochbegabt bildet er sich z.T. autodidaktisch weiter. Nach dem er vom Gymnasium abgehen muss, ergreift er verschiedene Gelegenheitsberufe.

Als Gelbgießer auf der Walz und für die Laternenfabrik Schmitz tätig, siedelt er schließlich nach Berlin über. Er besucht als Nichtstudent Vorlesungen bis zur Einberufung durch das Militär. Wegen angeborener Sehschwäche schnell wieder entlassen, verliert er auch seine Anstellung aufgrund der Wirtschaftslage und zieht zurück nach Köln.

1832 zieht er als Theatersekretär nach Leipzig und wird journalistisch und verlegerisch tätig. Im Vormärz wird er in liberal-demokratischen Vereinigungen politisch aktiv und veröffentlicht Anfang der 40er Jahre die oppositionellen „Sächsischen Vaterlandsblätter“. Nach dem Verbot der Zeitung gibt er die „Constitutionelle Staatsbürgerzeitung“ heraus.

Er kritisiert öffentlich die Kleinstaaten und behördliche Unterdrückungsmaßnahmen. Anfangs noch Anhänger des Liberalismus, entwickelt er sich zum Republikaner und Demokraten und wird 1845 zum Mitbegründer der deutschkatholischen Bewegung.

1848 als Mitglied des Frankfurter Vorparlaments und der Deutschen Nationalversammlung wird er zum herausragenden Sprecher der linken Abgeordneten und Führer der demokratischen Fraktion im „Deutschen Hof“.

Sein politisches Wirken (Ablehnung der konstitutionellen Monarchie; Emanzipation der Arbeiterklasse durch Bildung und Beteiligung an politischen Entscheidungen; gegen die Vormachtstellung von Nationen und für ein in allen Teilen freies Europa) führt zu Angriffen von liberalen und konservativen Kräften, als Gegner der Gewalt sucht Blum aber immer den politischen Kompromiss.

Die Wiener Revolution am 6. Oktober führt Blum als Leiter einer Delegation vor Ort, und er nimmt an der Verteidigung Wiens teil. Nach dem Sieg der kaiserlichen Truppen verhaftet, wird er trotz bestehender Immunität am 8. November zum Tode verurteilt. Das Urteil wird am nächsten Tag vollstreckt.

„Der Gedanke der Befreiung und Erlösung der Völker […] Das Ziel der Verbrüderung des freigewordenen oder freiwerdenden Westens, das ist es, dem ich meine Stimme leihe. Mit der Erreichung dieses Ziels ist die Freiheit und der Friede in Europa gesichert, mit der Erreichung dieses Zieles ist die größte und intelligenteste Abteilung der europäischen Staatenfamilie in einer unbesiegbaren Vereinigung zusammen […]“

(22. Juli. 1848, Frankfurter Paulskirche)

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Die Tradition des Freiheitsbaums als lebendes Symbol für individuelle Freiheit und gegen Tyrannei …

… geht auf eine Bostoner Ulme zurück, die ein Versammlungspunkt für den wachsenden Widerstand gegen die englische Herrschaft kurz vor der amerikanischen Revolution war. Die Tradition kam in Folge auch nach Europa und wurde als Zeichen des Protests und Bekenntnis zu den Idealen der Revolution von der Obrigkeit bestraft. Sie war gewissermaßen das Symbol der Besetzung des (nun) öffentlichen Raumes, das Sichtbarwerden sozialer Gruppe, die öffentliche Präsentation von sozialen Interessen. Thomas Birg, Hattingen

Oben: „Der Freiheitsbaum. Die Französische Revolution in Schilderungen Goethes und Forsters, 1792/1793. Buchumschlag, div. Antiquariate, zvab.com, bookloker.de.

Rechts: Hendrick Joseph Dillens (belgischer Künstler, 1812–1872) Kinder pflanzen den Freiheitsbaum, 1832–1832, http://www.artnet.com/artists/hendrick-joseph-dillens/kinder-pflanzen-den-freiheitsbaum-2DwKmv0uYNWSUOERHkEH3Q2

Abb. (PDF): Freiheitsbaum - Buchcover

Abb. (PDF): Gemälde Kinder pflanzen des Freiheitsbaum