Aus Politische Berichte Nr. 05/2019, S.22 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

KALENDERBLATT – 5. Februar 1919 Spanien

01 Durchsetzung des Acht-Stunden-Tages in Spanien

02 Barcelona nach dem Streik von La Canadiense

03 Salvador Seguí

01

Durchsetzung des Acht-Stunden-Tages in Spanien

Von Maria Ángeles Romero, Madrid

Im Jahr 1919 erreichte der Kampf der Arbeiter von „La Canadiense“, der größten Elektrizitätsgesellschaft in Barcelona, die Festschreibung des Acht-Stunden-Arbeitstages. Damit war Spanien das erste Land der Welt, das dieses Recht gesetzlich verankerte.

Spanien erlebte am Ende des Ersten Weltkriegs eine schwere Wirtschaftskrise, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: Rückgang der Nachfrage mit der Schließung von Unternehmen, Anstieg der Arbeitslosigkeit und vermehrte Lohnkürzungen. Dies führte zur Eskalation sozialer Konflikte, die Russische Revolution war im Gange. Mit dem Ende des Krieges 1918 kam es zu einem drastischen Produktionseinbruch, die sozialen und arbeitsrechtlichen Bedingungen der Arbeiter verschlechterten sich weiter. Es gab weniger Arbeit, gleichermaßen niedrige Löhne und quälende Schufterei, gleichzeitig aber auch eine enthusiastische Begeisterung für europäische Bewegungen und die Konsolidierung des bolschewistischen Triumphes. Die Gewerkschaften UGT (Unión General de Trabajadores, allgemeine Arbeitergewerkschaft) und CNT (Confederación Nacional del Trabajo, nationale Arbeiterkonförderation) griffen die Unzufriedenheit der Arbeiter auf und verstärkten sie durch Ausweitung ihrer Aktionen auf dem Land, in Industriegebieten und Großstädten.

In Barcelona kam es zwischen 1919 und 1923 zu sehr gewalttätigen Auseinandersetzungen: eine starke CNT traf auf harte Reaktionen der Arbeitgeber. Dabei spielte eine Rolle, dass das Arbeitgeberlager gespalten war: zum einen die Textilindustrie, deren Besitzer eher dazu neigten, mit den Gewerkschaften zu verhandeln und sich offen für Arbeitsreformen zeigten; zum anderen die Bauwirtschaft, deren Unternehmer eine harte Reaktion vertraten. Die Führer der beiden Industriezweige trafen sich mit dem Regierungschef in Madrid, dem Grafen von Romanones, noch bevor die Aktionen und Streiks an Umfang zunahmen. Der Regierungschef, der eigentlich bei dem Konflikt neutral bleiben wollte, gab den Forderungen von Milans de Bosch, dem Generalkapitän von Katalonien, und des Zivilgouverneurs González Rothwos nach. Sie forderten die Aufhebung der Verfassungsgarantien in der Stadt solange, bis sich die Situation entspannt hätte und die aufrührerische Fernwirkung der deutschen Spartakistenrevolte vorbei wäre. Am 16. Januar 1919 trat der Ausnahmezustand in Kraft. Warum ihn wieder beenden? Örtliche Arbeiter wurden in der Folge in großer Zahl verhaftet und weggesperrt.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Auseinandersetzungen bei La Canadiense der beherrschende Konflikt in Barcelona. Der Konflikt entstand, als die Arbeiter beschlossen, sich zu organisieren. Der Manager des Unternehmens fühlte sich provoziert und wollte Arbeiter entlassen, an der Gründung der Gewerkschaft Beteiligte wurden gefeuert.

Das Unternehmen wird dann ab dem 5. Februar 1919 bestreikt, in Solidarität mit acht drei Tage zuvor entlassenen Büroangestellten. Bald streikt die gesamte Belegschaft. Sie gehen auf die Straße, sprechen mit dem Gouverneur, der wiederum verspricht zu intervenieren. Als sie aber zu ihrem Arbeitsplätzen zurückkehren, sehen sie sich der Polizei gegenüber, die sie am Zugang zum Betrieb hindert. Diese Ereignisse lösen in Barcelona eine Kettenreaktion aus. Am 21. Februar wird der Streik in allen Unternehmen der Gruppe unterstützt, und am 27. Februar schließen sich Arbeitnehmer aus dem gesamten Elektrizitätssektor und einer Vielzahl anderer Sektoren an, 70 % der Industrie in Katalonien werden lahmgelegt. Der Streik bringt Straßenbahnen zum Stillstand, Zeitungen erscheinen nicht, die Wasserverteilung ist blockiert u.v.m.

Der General Captain Milans del Bosch erläßt daraufhin ein Dekret, dass die Armee die Fabriken kontrollieren sollte, „um die Versorgung wiederherzustellen“. Als der Befehl erteilt wird, unternimmt jedoch keiner der Arbeiter und Angestellten in Uniform einen Schritt, ihn auszuführen. Zwischen achthundert und fünftausend werden verhaftet, dreitausend Arbeiter werden inhaftiert. Mitte März wird der Kriegszustand erklärt und die Medien unter die Kontrolle der Regierung gebracht. Der Widerstand erlahmt jedoch nicht.

Nach 44 Tagen endet der Streik mit einer Vereinbarung, die die Freilassung der Häftlinge, die Wiedereinsetzung der Entlassenen, den Acht-Stunden-Arbeitstag, die Erhöhung der Gehälter und die Zahlung der Hälfte der durch den Streik verlorenen Tage vorsieht. Dieser Erfolg war der berechtigten Furcht vor einem Generalstreik im ganzen Land geschuldet, der drohte, wenn der Barcelona-Konflikt nicht gelöst werden könnte. Sobald alle inhaftierten Arbeiter freigelassen werden und nachdem die Vereinbarung 20 000 Arbeitern durch Gewerkschaftsführer Salvador Seguí am 19. März 1919 vorgelesen worden war, galt die Vereinbarung als angenommen.

Am 3. April 1919 unterzeichnete der Graf von Romanones das Dekret, das ab Oktober desselben Jahres den achtstündigen Arbeitstag für alle spanischen Arbeiter vorsah. Er trat zurück, nachdem er seine Unterschrift unter das Dokument gesetzt hatte. Der Streik von La Canadiense wird als großer Triumph der Arbeiterklasse und als Organisationsmodell für die Gewerkschaftsbewegung in Erinnerung bleiben. Spanien war somit das erste Land der Welt, das per Gesetz den achtstündigen Arbeitstag einführte.

Aber wie ging die Entwicklung des achtstündigen Arbeitstages weiter? Die Festsetzung von acht Stunden Tagesarbeit in Spanien war der Höhepunkt einer globalen Bewegung, die sich seit Jahrzehnten entwickelt hatte. Aber es stellt sich die Frage, ob die Begrenzungen des Arbeitstags tatsächlich in die Praxis umgesetzt worden sind und ob dies bis heute unverändert geblieben ist? Die Antwort von Antonio Rivera, Professor für Geschichte an der Universität des Baskenlandes lautet: Auf dem Papier, ja. Auch während der Diktatur von Primo de Rivera noch unter Franco wurde sie nicht abgeschafft. Es wurde jedoch im Zuge der Umsetzung des Dekrets diskutiert, welche Unternehmen und Branchen von Ausnahmen profitieren und wie mit Überstunden umgegangen werden sollte. Tatsächlich war die Frage der Dauer des Arbeitstages vom gewerkschaftlichen Druck abhängig. Nach Ansicht des Professors: „So wie heute“. Es steht und fällt mit der Stärke und den Fähigkeiten der Organisation, dass die Arbeiter am Ende nicht zehn oder zwölf Stunden arbeiten müssen, obwohl auf dem Papier nur acht vorgesehen sind.

Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Eva Detscher, Karlsruhe/ Rolf Gehring, Brüssel

Quellen in spanischer Sprache: http://escuelasindical.ccoo.es/noticia:359933--Lucha_por_las_8_horas_de_trabajo | https://www.elconfidencial.com/cultura/2019-01-19/jornada-ocho-horas-huelga-canadiense-centenario_1767114/ | https://www.nuevatribuna.es/articulo/historia/huelga-canadiense/20160216195450125464.html | https://www.eldiario.es/catalunya/huelga-Canadiense-consiguio-jornada-laboral_0_863014014.html| https://anarquismoanarcosindicalismoyotrostemas.wordpress.com/2015/07/06/el-pistolerismo-y-el-terrorismo-patronal-en-la-rosa-de-foc/ | Video des Streiks (in spanischer Sprache): https://www.youtube.com/watch?v=xDTeR93w8kU

Abb (PDF): La Canadiense. Die wichtigste Elektrizitätsgesellschaft in Barcelona, Riegos y Fuerzas del Ebro, allgemein bekannt als La Canadiense, weil ihr Hauptaktionär die Canadian Bank of Commerce von Toronto war (zitiert nach Wikipedia).

Verfügbar unter: https://www.elconfidencial.com/cultura/2019-01-19/jornada-ocho-horas-huelga-canadiense-centenario_1767114/

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Barcelona nach dem Streik von La Canadiense

Maria Ángeles Romero. Der Konflikt in La Canadiense polarisierte, es gab keine Zwischenpositionen. Die Patronal Federation of Barcelona, die die industrielle Elite vertrat, hatte ein Bündnis mit den extremsten Teilen der Armee in der Region besiegelt. Auf Anregung des Arbeitgeberverbandes weigerte sich der damalige Generalkapitän von Barcelona, Joaquin Milans del Bosch, die CNT-Mitglieder aus der Militärhaft zu entlassen. Er wollte das Abkommen von La Canadiense zu Fall bringen, eine Konfrontation mit den Gewerkschaften provozieren.

Das Jahr 1919 zeigte, wie Fragen im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen von einem großen Teil der Behörden als Problem der öffentlichen Ordnung behandelt wurden. Jeder Versuch der Republikaner und Sozialisten, der ablehnenden Haltung der Geschäftsleute gegen die internationalen Übereinkommen, wie sie von der ILO beschlossen waren, entgegenzuwirken, scheiterte an deren Feindseligkeit gegenüber Intervention des Staates in die Industrie sowie an den autoritären Positionen der reaktionärsten Gruppen der spanischen Gesellschaft.

Die Stadt wurde militarisiert, Ausgangssperre nach 23 Uhr verhängt und fast 10 000 mit Gewehren bewaffnete Männer, die Somatén, jagten Gewerkschafter. Es entwickelte sich der umfangreichste Streik in der Geschichte der Stadt – von Straßenbahnfahrern über Dockarbeiter bis hin zu Fabrikarbeitern, Bestattern, Händlern und Hotelkellnern. Am Ende jedoch waren die Arbeiter erschöpft, sie kehrten an ihre Arbeitsstellen zurück.

Die Arbeitgeber fühlten sich legitimiert, den Druck zu verstärken und begannen mit Aussperrungen und Unternehmensschliessungen. Zwischen 150 000 und 300 000 Arbeiter wurden aufgrund dieser Taktik der Arbeitgeber im Dezember 1919 wochenlang arbeitslos.

In den folgenden Jahren führte diese Verhärtung der Fronten zu gewaltsamen Angriffen beider Seiten. Sie forderten bis 1923, dem Jahr des Beginns der Diktatur des Primo de Rivera in Spanien, mehr als 250 Todesopfer.

Quellen in spanischer Sprache: https://www.elsaltodiario.com/anarcosindicalismo/efectividad-accion-directa-huelga-canadiense | https://www.eldiario.es/catalunya/huelga-Canadiense-consiguio-jornada-laboral_0_863014014.html

Abb (PDF): Das Militär kontrolliert die Arbeiten im Elektrizitätswerk. © Fondo Josep Maria Sagarra i Plana

Verfügbar unter: https://www.eldiario.es/catalunya/huelga-Canadiense-consiguio-jornada-laboral_0_863014014.html

03

Salvador Seguí

Maria Ángeles Romero. Seguí war einer der herausragenden Köpfe, was das Erreichen der Ergebnisse des Canadiense Streiks anbelangt. Geboren wurde Salvador Seguí 1886 in der Provinz Lleida in einer bäuerlichen Familie, die im folgenden Jahr nach Barcelona emigrierte. Der „noi del sucre“ (der Zuckerknabe) verließ die Schule im Alter von 12 Jahren, um das Handwerk des Malers zu erlernen, mit dem er bis zum Ende seiner Tage seinen Lebensunterhalt verdiente. Kulturell konnte er das riesige Netzwerk liberaler Bibliotheken und der Universität, das damals mit vielen Standorten die Landkarte von Barcelona überzog, für seine Ausbildung nutzen, so dass er ein ausgezeichneter und scharfzüngiger Redner und Autor mehrerer Werke über das Gewerkschaftsleben wurde, einen kurzen Roman („Schule der Rebellion“) schrieb und unzählige Artikel in Zeitschriften unterschiedlicher Provenienz veröffentlichte.

Die beiden Ideen – Kultur als Hebel für die persönliche Befreiung und die Organisation als Werkzeug der kollektiven Befreiung – prägten Seguís Auffassungen, und die Früchte seiner Arbeit ließen nicht lange auf sich warten. Er schlug die Abschaffung von handwerklichen Verbänden und die Schaffung einheitlicher Gewerkschaften vor, um alle Beschäftigten eines produktiven Zweiges zusammenzufassen. Dies ermöglichte es dem Arbeiteranarchismus, sich von einer Strategie des Widerstands zu lösen und sich für eine Gesellschaft einzusetzen, die ausschließlich auf Gewerkschaften basierte, welche in der Lage seien, alle Aspekte der wirtschaftlichen Produktion und des sozialen Lebens zu organisieren.

Seguí spielte in vielen wichtigen Vorgängen in Barcelona eine Rolle, bis er 1923, initiiert von der Arbeitgebervereinigung „Fomento del Trabajo Nacional“ („Förderung der nationalen Arbeit“) von Bewaffneten ermordet wurde. Das wohl wichtigste Vermächtnis von Seguí bleibt jedoch das Gewerkschaftsnetzwerk, das er ins Leben gerufen hatte.

Quellen in spanischer Sprache: “¿Sabes por qué trabajas 8 horas? Los 44 días que cambiaron la historia de España“ | https://www.elconfidencial.com/cultura/2019-01-19/jornada-ocho-horas-huelga-canadiense-centenario_1767114/ | “Salvador Seguí, el chico que hizo madurar al sindicalismo“ | https://www.elsaltodiario.com/anarcosindicalismo/quien-fue-savador-segui-noi-sucre Abb (PDF): Salvador Seguí. Verfügbar unter: www.elconfidencial.com/cultura/2019-01-19/jornada-ocho-horas-huelga-canadiense-centenario_1767114/