Aus Politische Berichte Nr. 6/2019, S.03a • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Frankreich: Dekret zur Arbeitslosenversicherung

Matthias Paykowski, Karlsruhe

Die französische Regierung hat die Umsetzung von Änderungen bei der Arbeitslosenversicherung zum Ende dieses Jahres angekündigt. Im November 2018 hatte Unédic (1) einen Bericht vorgelegt zum Zustand der Arbeitslosenversicherung und Vorhaben der Regierung (2). Die Regierungspläne sind von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften im Februar abgelehnt worden. Eine Einigung mit den Gewerkschaften war an den Arbeitgeberverbänden gescheitert, sie hatten eine geplante Besteuerung von Kurzzeit-Arbeitsverträgen kategorisch abgelehnt. Die Regierung will ihr Vorhaben nun per Dekret in Kraft setzen.

Einige Eckpunkte: Im ersten Halbjahr 2019 war die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr. Sie lag bei 8,7 %, damit im EU-Vergleich aber immer noch hoch. Demgegenüber ist die Beschäftigungsquote ist eine der niedrigsten der OECD-Länder. Vor allem Niedrigqualifizierte, Jugendliche und Ältere sind nach wie vor überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen: 26 % der beim Arbeitsamt Gemeldeten sind unter 30 Jahren, 25 % über 50. Eine Qualifikation niedriger als das Bac (vergleichbar dem Abitur) haben 54 %. (3) Auf der anderen Seite hat die seit Jahren verschuldete Arbeitslosenversicherung bis Ende 2018 insgesamt knapp 36 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft. Das Gesetzesvorhaben der Regierung setzt hier an: ab November sollen für mindestens drei Jahre 1 bis 1,3 Milliarden Euro pro Jahr eingespart werden.

Änderungen für Arbeitslose und Beschäftigte: Die Frist, um Anspruch auf Zahlungen aus der Arbeitslosenversicherung zu erhalten, soll verlängert werden. Bisher mussten vier Monate Beschäftigung in einem Zeitraum von 28 Monaten vorgewiesen werden, in Zukunft sind dafür sechs Monate in einem Zeitraum von 24 Monaten nötig. Als weitere Maßnahme werden Zahlungen aus der Arbeitslosenversicherung stärker vom vorherigen Einkommen abhängig, um einen Effekt abzuschwächen, dass Arbeitslose mehr aus der Versicherung erhalten, als sie durch eine reguläre Tätigkeit erhalten würden. Für höhere Einkommen – ab 4500 Euro im Monat – soll ab dem 7. Monat der Bezug von Versicherungsleistungen um 30 % gekürzt werden.

Änderungen bei Unternehmen: Das von den Arbeitgeberverbänden in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften abgelehnte Bonus-Malus-Verfahren wird eingeführt. Damit können Unternehmen identifiziert werden, die auffallend häufig und intensiv Beschäftigte mit befristeten Verträgen in die Arbeitslosigkeit schicken. Die Hoffnung ist, den seit einigen Jahren beobachteten Trend, dass Arbeitsverträge immer häufiger für eine Dauer von weniger als einem Monat abgeschlossen werden, eindämmen zu können. Unternehmen, die solche Kurzzeitverträge nutzen, sollen Zusatzbeiträge in die Kassen leisten müssen (von der Höhe zunächst eher symbolisch), die anderen sollen steuerliche Vorteile erhalten.

Dieses Verfahren wird zunächst in sieben Branchen eingeführt, u.a. in Gastronomie und Tourismus sowie in der Lebensmittelbranche. Hier ist ein Drittel der Arbeitsverträge befristet. Ausgenommen sind das Gesundheitswesen und die Baubranche. Nach Angaben der Regierung haben 70 % der neu eingestellten Beschäftigten Verträge mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat, und 85 % dieser Einstellungen würden von immer den gleichen Unternehmen getätigt. (4)

Kritik aus der CFDT: „Wenn die Regierung der Meinung ist, dass der Bonus-Malus ein gutes System ist, warum sollte man ihn nicht auf alle Unternehmen anwenden? Warum sollten öffentliche Arbeitgeber, die die Prekarität weitgehend missbrauchen, ausgenommen werden?“ fragt Marylise Léon, stellvertretende Generalsekretärin der CFDT. „Durch die Begrenzung des Systems ist die Regierung Verhaltenseffekten ausgesetzt, die die Maßnahme ineffektiv machen könnten. Die CFDT fordert weiter, „massive und personelle Ressourcen“ für die Arbeitsverwaltungen, „um Arbeitssuchende, insbesondere die am stärksten gefährdeten und jungen Menschen mit Integrationsschwierigkeiten, besser und personalisierter zu unterstützen“. (5)

Zum 25. und 26. Juni rufen Gewerkschaften zu Kundgebungen und Demonstrationen gegen das Gesetzesvorhaben auf.

1] Unédic, die Organisation, die die Arbeitslosenversicherung verwaltet, berät die Sozialpartner. Diese handeln die Regeln der Arbeitslosenversicherung aus und die politischen Entscheidungsträger müssen sie bewilligen. Unédic stellt dann die Umsetzung der getroffenen Entscheidungen sicher. Die letzte Vereinbarung trat 2014 in Kraft. Unédic: (Union nationale interprofessionnelle pour l‘emploi dans l‘industrie et le commerce, übersetzt: nationale berufsübergreifende Union für die Beschäftigung in Industrie und Handel).

[2]https://www.unedic.org/sites/default/files/2018-11/10%20-%20Annexes.pdf

[3] Zahlen aus 2017: https://www.unedic.org/sites/default/files/2019-02/Chiffres%20qui%20comptent%20-%20décembe%202017.pdf

[4] Tagespresse: Le Monde 19.6.2019; FAZ 20.6.2019, NZZ 19.6.2019

[5] https://www.cfdt.fr/portail/actualites/l-assurance-chomage/reforme-de-l-assurance-chomage-vous-avez-dit-justice-sociale-srv2_691339