Aus Politische Berichte Nr. 6/2019, S.18b • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Rechte Provokationen – Demokratische Antworten

Rechtsruck bei den Rechten im EU-Parlament

Von Thilo Janssen, Brüssel

Die Europäerinnen und Europäer haben ein neues EU-Parlament gewählt.1 Nun konstituieren sich die Fraktionen. Das Parlament muss im Herbst die neue EU-Kommission bestätigen. Deren Arbeitsprogramm wird sich auch danach ausrichten, welche politischen Mehrheiten im neuen Parlament zu erwarten sind. Geben nun die radikalen Rechten den Ton an, wie vor der Wahl von manchen befürchtet?

Bisher gab es vier rechte Gruppierungen im EU-Parlament. Im Folgenden wird betrachtet, wie diese bei den Wahlen abgeschnitten haben und welche rechten Fraktionen es (voraussichtlich) geben wird. Bei Redaktionsschluss war die Fraktionsbildung noch nicht endgültig abgeschlossen.

Gewachsen: Fraktion Identität und Demokratie (ID)

„Unser Ziel ist es, die EU-Wahlen zu gewinnen und die Regeln Europas zu ändern. Andere Parteien werden sich zu uns gesellen“ – so sprach der Lega-Chef und italienische Innenminister Matteo Salvini vor der Europawahl.2 Fest steht, dass die neue Fraktion der Nationalisten und Rassisten Namens „Identität und Demokratie“ (ID) mit 73 Mandaten nur fünfgrößte Fraktion wird. Das sind 9,7 % der Sitze im EU-Parlament. In der ausgehenden Legislatur lag die Vorgängerin „Europa der Nationen und Freiheit“ (ENF) mit 38 Abgeordneten noch bei 4,8 % der Sitze. Eine Steigerung, aber weit entfernt von einem Wahlgewinn.

Nationale Wahlgewinnerin in der ID-Fraktion ist die italienische Lega. Sie konnte mit 34 % der Stimmen um 28 % im Vergleich zu 2014 zulegen (von 6 auf 28 Sitze). Die belgische Vlaams Belang legte um 8 % auf 12 % zu (von 2 auf 3 Sitze). Moderater verbesserten sich die AfD, die um 4 auf 11 % zulegte (von 7 auf 11 Sitze). Die Finnen gewannen knapp 1 % dazu und liegen bei 14 % (weiterhin 2 Sitze).

Neu ins EU-Parlament gewählt wurde die tschechische SPD mit 9 % (2 Sitze) und die estnische EKRE mit knapp 13 % (1 Sitz).

Doch nicht alle Parteien in der ID-Fraktion konnten ihr Ergebnis verbessern. Marine le Pens Rassemblement National hat mit 23 % zwar wie schon 2014 die Wahl in Frankreich gewonnen, dabei jedoch 1,5 Prozentpunkte eingebüßt (von 24 auf 22 Sitze). Deutlich verloren hat die Dänische Volkspartei, die im Vergleich zu 2014 von 26,6 auf 10,8 % abstürzte (von 4 auf 1 Sitz). Nach dem „Ibiza-Skandal“ um Heinz-Christian Strache verlor auch die FPÖ 2,5 % und kommt auf 17 % der Stimmen in Österreich (von 4 auf 3 Sitze).

Der ID-Fraktion ist es gelungen, neue Parteien in die gemeinsame Fraktion zu integrieren, darunter die deutsche AfD. Die letzte AfD-Delegation im EU-Parlament hatte sich nach der Europawahl 2014 schnell aufgelöst. Die Finnen und die Dänische Volkspartei haben sich nach der Wahl 2019 aus der Fraktion Europäische Konservative und Reformisten (EKR) verabschiedet und der ID-Fraktion angeschlossen. Mit den Neulingen SPD aus Tschechien (Freiheit und direkte Demokratie (EU-skeptisch) und EKRE (patriotische Estnisch Konservative Volkspartei) aus Estland hat die ID-Fraktion nun drei osteuropäische Mitglieder.

Auf eine früher prominente Partei aus den Niederlanden muss die ID-Fraktion verzichten: Geert Wilders PVV rutschte auf 3,5 % ab und verlor alle vier Abgeordneten. Dafür zog die radikal rechte Partei Forum voor Democratie (FvD) unter dem Parteivorsitzenden Thierry Baudet mit 11 % und drei Mandaten ins EU-Parlament ein. Sie schloss sich jedoch der EKR-Fraktion an (siehe unten).

Verschwunden: Fraktion Europa der Freiheit und direkten Demokratie (EFDD)

Nigel Farages neue Brexit Party hat die Europawahl in Großbritannien mit knapp 31 % der Stimmen gewonnen. Im Vergleich zu seinem Wahlsieg vor fünf Jahren mit UKIP konnte Farages neue Partei um 5 % zulegen. Mit nunmehr 29 Mandaten ist die Brexit Party die größte nationale Einzelpartei im EU-Parlament. Nur CDU und CSU aus Deutschland kommen zusammen auf ebenso viele Mandate. Wie lange der ehemalige Investmentbanker Farage noch in Brüssel bleiben kann, ist unklar. Noch gibt es keinen Austrittsvertrag zwischen EU und Vereinigtem Königreich.

Eine Fraktion muss mindestens 25 Abgeordnete aus einem Viertel der EU-Länder aufweisen. Doch fünf von sieben nationalen Parteien der alten Fraktion Europa der Freiheit und direkten Demokratie (EFDD) sind nicht länger im EU-Parlament vertreten. Nur die Brexit Party und die Fünf-Sterne-Bewegung mit knapp 18 % (minus 3 %, von 17 auf 14 Sitze) sind noch da. Der ID-Fraktion hat Farage bereits abgesagt. Sollte der Brexit tatsächlich Ende Oktober stattfinden, ist es für die Brexit Party wohl zu verschmerzen, für wenige Wochen keiner Fraktion anzugehören. Die Fünf Sterne hingegen brauchen eine neue Fraktion, wenn sie im neuen EU-Parlament nicht marginalisiert werden wollen.

Geschrumpft: Europa der Konservativen und Reformer (EKR)

Die Fraktion Europa der Konservativen und Reformer (EKR) war bisher die drittgrößte Fraktion im EU-Parlament. Diesen Status hat sie mit derzeit 61 Abgeordneten verloren. Die alte EKR wurde von der polnischen PiS und der britischen Conservative Party dominiert. Die anderen Mitglieder stammten weitgehend aus nationalkonservativen bis radikal rechten Parteien aus Osteuropa und Skandinavien. Während die PiS mit einer Steigerung um 13 % (von 19 auf 26 Sitze) die Europawahl in Polen gewann und so ihre Dominanz in der Fraktion ausbauen konnte, fuhren die britischen Tories eine historische Niederlage ein. Sie verloren im Vergleichen zur letzten Europawahl 14 % und kommen noch auf knapp 9 % (von 19 auf 4 Sitze). Der Brexit wird somit keinen großen Effekt mehr auf die EKR-Fraktion haben.

Neue Mitglieder in der EKR-Fraktion kommen von der bereits erwähnten niederländischen FvD (11 %, 3 Mandate) und von der spanischen Partei Vox, die 6 % (3 Sitze) erreichte.

Verlässt die Partei Fidesz des ungarischen Premiers Viktor Orbán am Ende doch noch die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) und schließt sich der EKR an? Mit 52 % der Stimmen in Ungarn und nunmehr 13 Abgeordneten für die Fidesz würde dies die EVP empfindlich schwächen. Noch liegt die EVP mit 182 Abgeordneten recht komfortabel vor den Sozialdemokraten (S+D) mit 153 Abgeordneten.

Noch da: Fraktionslose Neonazis

Die neonazistischen Parteien im EU-Parlament werden weiterhin keiner Fraktion angehören. Die NPD verlor mit nur 0,3 % der Stimmen in Deutschland ihr einziges Mandat. Jobbik bekam rund 6 % der Stimmen in Ungarn, ein Minus von 8 % (von 3 auf 1 Sitz). Die griechische Partei Goldene Morgenröte fiel von knapp 10 auf rund 5 % (von 3 auf 2 Mandate). Neu hinzu kommt im Spektrum der Neonazis die slowakische Partei Kotleba, die mit 12 % der Stimmen zwei Mandate erhielt.

Radikalisiert: Rechtsruck bei den Rechten

Belegte die heterogene Gruppe der nationalkonservativen bis neonazistischen Parteien in EKR, EFDD, ENF und bei den Fraktionslosen vor der Wahl etwa 23 % der Sitze, so sind es im neuen Parlament rund 25 %. Sollte der Brexit im Oktober tatsächlich stattfinden und sich die Sitzordnung im EU-Parlament ändern, wird der Anteil der Abgeordneten von Rechtsaußen auf etwa 20 % der Sitze sinken, also von einem Viertel auf ein Fünftel.

Die Rechtsaußenparteien im EU-Parlament sind weit davon entfernt, die EU-Politik zu dominieren. Doch es gibt einige besorgniserregende Entwicklungen: Die erneute Wahlsiegerin Le Pen ist eine politische Konstante in Frankreich. In Italien hat Salvinis Lega tatsächlich die Europawahl gewonnen. Als starker Mann in der Regierungskoalition mit der schwächelnden Fünf-Sterne-Bewegung beeinflusst Innenminister Salvini die europäische Migrationspolitik auf dem Mittelmeer maßgeblich – tausende Tote und die Kriminalisierung freiwilliger Retterinnen und Retter sind die Folge. Mit der gestärkten AfD zieht 2019 eine radikalere Partei ins EU-Parlament ein, als dies 2014 der Fall war. Insgesamt verfügt die ID-Fraktion über starke parlamentarische Präsenz aus den drei größten EU-Ländern der künftigen EU-27. Das könnte ihr mehr politische Bedeutung verleihen, als es die 9,4 % der Mandate im EU-Parlament vermuten ließen. Die PiS als nunmehr unangefochten dominante Kraft in der EKR-Fraktion und die Fidesz (noch) in der EVP bilden die gefestigte EU-parlamentarische Plattform der autoritären Regierungen in Polen und Ungarn. Insgesamt konnten die Rechtsaußenparteien die Zahl ihrer Mandate kaum ausbauen. Doch innerhalb des rechten Lagers sind nicht länger die britischen Konservativen in der EKR, sondern die radikaleren Nationalisten und Rassisten um Salvini, Le Pen und die AfD die tonangebende Kraft. Dies wird politisch nicht ohne Folgen bleiben.

1 https://europawahlergebnis.eu/

2 https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/europa/2003676-Salvini-stellt-rechte-Allianz-vor.html?em_cnt_page=2

Abb. (nur im PDF): Das neue Europäische Parlament